Artikel • Gesundheitswesen

Frankreichs Start ins digitale Zeitalter

Das erfolgreiche Pilotprojekt TERR-eSanté wird nun in ganz Frankreich ausgerollt.

Bericht: Jane McDougall

Die Franzosen genießen den Ruf der Vorreiter bei telemedizinischen Anwendungen, getrieben vom Wunsch, den Gesundheitssektor zu modernisieren und neueste Technologie auf umsichtige Weise einzusetzen. Das zeigte sich schon 1998 bei der Einführung der ersten „carte vitale“ (nationale Gesundheitskarte) mit einem Mikrochip. Da die Informationen auf der Karte mit der Zeit zunahmen, führte man 2011 ein sicheres System für den Transfer dieser Daten ein und etablierte NOEMIE, eine Plattform zum Datenaustausch von Behandlungscodes und Zahlungen zwischen Patienten und Dienstleistern, die auf der Sozialversicherungsnummer basiert.

Fluch und Segen der Internetabhängigkeit

Das System funktioniert in den meisten Gebieten Frankreichs und steht jedem Über-16-Jährigen offen. Die Rückerstattung der Sozialversicherung und privater Versicherungen wird damit auf zeitgemäße und schnelle Art und Weise sichergestellt. Obwohl das System eine willkommene Weiterentwicklung zu den damaligen umfangreichen Papierlösungen ist, sind Ärzte und Apotheker damit nun abhängig vom Internet und damit auch seinen Schwächen – fällt das System aus, kann dies zu etlichen Problemen und Schwierigkeiten führen. Denn nur autorisierte Techniker der Sozialversicherungen dürfen die verschlüsselte Plattform einsehen und reparieren. Verzögerungen können kostspielig werden und in administrativem Stau und potentiellen Fehlern enden.

Obwohl der Weg oft schmerzhaft und mit Verzögerungen gepflastert war, hat die französische Regierung die Digitalisierung stets als Weg gesehen, die Gesundheitsadministration zu rationalisieren und so gegebenenfalls auch Kosten einzusparen. Inzwischen wird die Digitalisierung und Konnektivität des Gesundheitswesens auch als Wachstumsmarkt für aufkommende Biotechnologiefirmen gesehen, die mit neuen Ideen den traditionellen Gesundheitssektor transformieren und Patienten die Kontrolle über ihre medizinische Daten ermöglichen.

Heute ist ein kleines medizinisches Dossier auf dem Chip gespeichert, das Informationen über den Patienten, seinen Hausarzt und die Medikation bereithält

Ursprünglich war die carte vitale auf das Speichern medizinischer Daten und den Austausch zwischen Dienstleistern ausgerichtet. Und tatsächlich ist heute ein kleines medizinisches Dossier auf dem Chip gespeichert, das Informationen über den Patienten, seinen Hausarzt und die Medikation bereithält.

Die ursprüngliche Idee wurde aus verschiedenen Gründen modifiziert: Schwierigkeiten bei der technischen Umsetzung und der Kompatibilität der unterschiedlichen IT-Systeme, die von Ärzten, Radiologen und Apotheken genutzt werden sowie Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes gaben dafür den Anstoß. So wurde 2017 ein neues System geschaffen, das den Datenaustausch über einen sicheren Internetserver ermöglicht, kontrolliert vom Data Protection Act TERR-eSanté. Die Idee hinter TERR-eSanté ist es, die Gesundheit verschiedener Patientengruppen im Blick zu behalten. Das System koordiniert den Austausch der Patienteninformationen zwischen den unterschiedlichen Anbietern, die in die Behandlungsstränge eingebunden sind, und natürlich den Patienten selbst. Basierend auf der Anamnese eines Patienten wird das Verfahren in sechs Schritte aufgeteilt: der erste Besuch beim Arzt oder in der Klinik, bei dem der Befund erstellt und die Diagnose dokumentiert wird, die Ergebnisse der durchgeführten Tests, wie zum Beispiel Laboranalysen und radiologische Befunde, Verschreibungen, Untersuchungs- und Besprechungstermine, ein Online-Zahlungssystem für die Anbieter und Dienstleister und ein Terminbuchungssystem, um Krankenhausaufenthalte zu managen.

Das System unterscheidet bei der Anmeldung zwischen Patienten und Anbieter von...
Das System unterscheidet bei der Anmeldung zwischen Patienten und Anbieter von Gesundheitsleistungen.
Quelle: Terr-eSanté

Patienten behalten Kontrolle über ihre Daten

Grundsätzlich wird der Status bei fünf Krankheitsbildern abgedeckt: Diabetes, Krebs, Kardiologie, Notfallmedizin und die perinatale Versorgung. Derzeit liegt der Fokus auf Diabetes, während die kardiovaskulären Erkrankungen sowie die perinatale Versorgung noch in der Umsetzung begriffen sind. Die Leistungen von TERR-eSanté sind kostenfrei, benötigt wird lediglich ein Online-Zugang. Zwei Login-Möglichkeiten werden angeboten, einer für Anbieter und einer für Patienten. Das Pilotprojekt wurde im Pariser Raum in einer Region mit einer Bevölkerungsdichte von 370.000 Einwohnern mit generell schwachen Gesundheitsindikatoren getestet. Das Projekt lief bis Ende 2017 und wird nun seit Beginn 2018 in ganz Paris ausgerollt.

Aufgrund der server-basierten Natur von TERR-eSanté ist die Plattform mit allen IT-Systemen kompatibel, die von den diversen Anbietern und Dienstleistern zur Verfügung gestellt werden. Um TERR-eSanté zu nutzen, sind keine Investitionen in die IT-Ausstattung nötig, zudem kann von überall zugegriffen werden. Im Gegensatz zur carte vitale sind alle Informationen auch für den Patienten selbst einsehbar. Der Patient entscheidet, welchem Arzt er vertraut und wer auf die Daten zugreifen darf. Nur registrierte Ärzte und Anbieter können auf diese Seite zugreifen und auch die Identität des Patienten muss zunächst vom Arzt bestätigt werden. Der Patient hat das Recht, einem Arzt jederzeit den Zugriff zum Dossier zu entziehen. Ältere oder gebrechliche Patienten können eine Vollmacht für eine Vertrauensperson ausstellen.

Es ist davon auszugehen, dass ein patientenzentriertes Konzept wie dieses auf Ängste stoßen wird, was das öffentliche Teilen sensitiver Daten angeht, insbesondere angesichts der derzeitigen Debatte um Facebook. Sollte es gelingen, diese Ängste zu zerstreuen, ist das Potential von TERR-eSanté sehr vielversprechend, denn neue telemedizinische Anwendungen oder Apps können zum Patientendossier hinzugefügt werden. Es würde beispielsweise für Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen einen Mehrwert bieten. Denn “ORTIF Cardio” erlaubt Patienten, ihre Blutdruckwerte sowie das Gewicht und andere Daten hochzuladen, um sie direkt ihrem Arzt zugänglich zu machen. Die Bandbreite von ORTIF Home Monitoring Systems ist umfassend und bei Ärzten wie Patienten gleichermaßen beliebt, da Gesundheitsdaten einfach per Smartphone kontrolliert werden können. So bleibt zu hoffen, dass die umfassenden Leistungen von TERR-eSanté sich ebenfalls großer Beliebtheit erfreuen, da sie insbesondere Patienten mit chronischen Erkrankungen unterstützen.


Weitere Informationen:

NOEMIE, Norme Ouverte d'Echanges Maladie avec les Intervenants Extérieurs, https://www.ameli.fr/l-assurance-maladie/documentation-technique/norme-noemie/index.php

ORTIF, Outil Régional de Télémédecine en Ile-de-France, regionale, telemedizinische Lösung für das Pariser Gebiet. http://ortif.fr/

TERR-eSanté, https://www.terr-esante.fr/


16.04.2018

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