Artikel • Gesundheitspolitik

Digitalisierung: Neue Technik ist nicht alles

Die „Digital Health Conference“ in Berlin, die der Digitalverband Bitkom Ende letzten Jahres zum vierten Male in Folge veranstaltete, stand diesmal unter dem Motto „Update for our Healthcare System“. Damit will man zur Lösung der anstehenden Probleme, die sich insbesondere aus dem zunehmenden Fachkräftemangel, dem demografischen Wandel sowie der steigenden Urbanisierung und dem Auftreten von Multimorbidität ergeben, beitragen.

Bericht: Cornelia Wels-Maug

Vor ungefähr 500 Teilnehmern beleuchteten 41 Experten aus verschiedensten Perspektiven, wie eine solche Modernisierung des deutschen Gesundheitssystems mithilfe der Digitalisierung gelingen kann.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn appellierte an die Mediziner, die...
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn appellierte an die Mediziner, die Notwendigkeit einer obligatorischen Verbindung zur Telematik-Infrastruktur zu akzeptieren

Aufgeschlossenheit gegenüber der Digitalisierung

Dass solche Maßnahmen auch innerhalb der Bevölkerung Deutschlands auf Interesse und Offenheit stoßen, bezeugen die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, die im Auftrag des Bitkom durchgeführt wurde. Sie spiegelt eine positive Haltung der Bundesbürger gegenüber digitalen Angeboten im Gesundheitswesen wider – und das über alle Altersgruppen hinweg: Unter anderem wollen 65 Prozent der 1.005 Befragten die elektronische Patientenakte nutzen, 63 Prozent würden ein eRezept einlösen und 30 Prozent würden ihrem Arzt bei einer Online-Sprechstunde ihre Symptome schildern, statt dafür in die Arztpraxis zu gehen. Diese Aufgeschlossenheit ist eine wichtige Voraussetzung, dass eine Aktualisierung des Gesundheitssystems auch in der Bevölkerung ankommt.

Digitalisierung als politischer Auftrag

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn appellierte in seiner Keynote, dass er „viel Tempo bei der Digitalisierung“ mache, um dadurch eine „flächendeckende und möglichst effiziente Gesundheitsversorgung“ zu schaffen. Die Digitalisierung soll außerdem helfen, das Vertrauen „zu erhalten und zurückzugewinnen“, welches insbesondere im Debakel um die elektronische Gesundheitskarte, die er als „den Berliner Flughafen des Gesundheitswesens“ bezeichnete, innerhalb der Bevölkerung verloren ging. Gleichzeitig warb er bei den Ärzten um Akzeptanz für den obligatorischen Anschluss an die Telematikinfrastruktur, die im Alltag die Kommunikation mit den Patienten erleichtern soll. Spahn drängte auch darauf, dass sich durch die Digitalisierung eröffnende Innovationspotenzial wahrzunehmen und es nicht durch eine einseitig, nur auf die Bedenken hinsichtlich Datenschutz und -souveränität fokussierte Diskussion, auszubremsen. Zu diesem Zweck forderte Spahn zu einer aktiven, ausgewogenen Kultur des Debattierens in der Gesellschaft auf, um dadurch auszuloten, wie wir Technologie zu unserem Nutzen und für eine bessere Gesundheitsversorgung einsetzen können.

Vorschläge zur Modernisierung des Gesundheitswesens

Diabetes ist eine Datenmanagementerkrankung

James Fischer

Welche diesbezüglichen Angebote sind besonders erfolgversprechend? Die Digitalisierung diene als Mittel zum Zweck, eine bessere medizinische Versorgung zu verwirklichen, betonte Dr. Barbara Holtz, Expert Business Consultant, Dassault Systèmes, und fragte, „Wie jedoch sieht besser aus?“ Einige Beispiele gelungener, digital unterstützter Angebote wurden während der Konferenz vorgestellt:

Thomas Friese, SVP Digital Platform von Siemens Healthineers, erläuterte das Potenzial von klinischen Entscheidungsunterstützungssystemen beim Ordern von relevanten bildgebenden Verfahren zur Unterstützung einer Diagnosefindung. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund wichtig, dass laut einer Untersuchung beispielsweise in den USA 26 Prozent der beauftragten Imagestudien nicht der Diagnose entsprächen, da Behandler nicht immer die richtigen Schlüsse aus der vorliegenden Patienteninformationen ziehen würden.

Holtz referierte über die Entwicklung personalisierter Therapien unter Einbezug des Konzepts eines digitalen Zwillings sowie Apps zur Datenerhebung. Mithilfe dieser Daten will die Industrie mögliche Wirkungen von und Reaktionen auf Medikamente im Vorfeld modellieren, um Prozesse zu verbessern bzw. Risiken im Vorfeld auszuschließen. Dies geschieht in Anlehnung an die Automobilbranche, die die ersten fünf Modelle einer Produktionslinie routinemäßig crasht, um schneller zu besseren Produkten zu gelangen und Kosten einzusparen. 

Holger Müller, Business Solutions Architect, Cisco Systems, legte dar, dass das Wissen um IT-Sicherheit immer noch nicht umfassend genug sei: Etwa 90 bis 95 Prozent des IT-Budgets würde in „Block and Protect“ investiert, aber nicht genug in die Fragestellung, was geschehen muss, wenn ein Sicherheitsproblem entstanden ist. Müller machte auf die Notwendigkeit einer „Data-Lost-Prevention-Strategie“ aufmerksam, denn nicht alle Daten seien gleich schützenswert. Außerdem betonte er, wie wichtig ein Applikation-Policy Life Cycle sei, da dieser einen kontinuierlichen Audit festlege, der in Echtzeit verifiziert, dass eine Anwendung sich auch gemäß ihrer ursprünglichen Zertifizierung verhält, sodass sofort erkannt werden kann, wenn eine Anwendung Verkehr erzeugt, den sie vorher nicht erzeugt hat.

James Fischer, Geschäftsführer, Roche Diabetes Care Deutschland, verwies auf die großen Vorteile, die sich für Diabetiker durch die Verwendung eines digitalen Tagebuches am Beispiel der mySugr App gegenüber einer händischen Aufzeichnung ergeben. „Diabetes ist eine Datenmanagementerkrankung“, erläuterte Fischer, für eine optimale Einstellung eines Patienten bedürfe es der Erfassung von dessen Daten, gerade in Bezug auf die zu sich genommenen Kohlehydrate sowie der übrigen Ernährung, als auch der Länge des Schlafs. Studien wiesen darauf hin, dass durch die Verwendung der mySugr App die Blutzuckerwerte im Durchschnitt um 10.4 Prozentpunkte gesenkt werden konnten.

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Technologie ist nur ein Aspekt der Modernisierung

Zum Abschluss der Konferenz resümierte Prof. Dr. Jörg F. Debatin, Chairman des Health Innovation Hub des Bundesgesundheitsministeriums, dass Digitalisierung weit über reine technologische Innovationen hinaus gedacht werden müsse. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens brauche Akzeptanz, aber auch digitale Werte und digitalen Humanismus. Außerdem erfordere sie ein breiteres Training im Umgang mit anonymisierten Daten sowie Transparenz hinsichtlich der Werte, denen die auf künstlicher Intelligenz basierenden Algorithmen unterliegen.

Bis wir so weit sind, werden wahrscheinlich schon mehrere Updates erfolgt sein.

21.07.2020

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