ePA: Schritt für Schritt in die digitale Zukunft

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Artikel • Implementierung der elektronischen Patientenakte im Krankenhaus

ePA: Schritt für Schritt in die digitale Zukunft

Europaweit sieht sich Deutschland seit Jahren abgeschlagen bei der Implementierung der elektronischen Patientenakte (ePA). Der EMRAM-Score deutscher Krankenhäuser ist sowohl im internationalen als auch im europäischen Vergleich noch nicht nennenswert. Prognostizierte EMRAM-Stufen zeigen jedoch Fortschritte und lassen hoffen.

Bericht: Dr. Christian Heitmann und Dominik Weis, Curacon

Viel zu häufig sind Papierakten immer noch alltäglicher Standard in deutschen Krankenhäusern. Dabei ist die Patientenakte in elektronischer Form die Basis und der Dreh- und Angelpunkt der Digitalisierung. Mit der Förderung einer durchgehenden, strukturierten digitalen Dokumentation im Fördertatbestand 3 des KHZG wird die ePA nun ins Zentrum der KHZG-Förderung gerückt und die Einführung massiv forciert. Die Themen Digitalisierung der Behandlungs- und Pflegedokumentation, die Digitalisierung der Medikation und die vor- und nachstationäre Anbindung der Patienten über das Patientenportal stehen dabei im Fokus. Eine Auswertung von Curacon zeigt darüber hinaus, dass über die Hälfte (54 Prozent) der beantragten Fördermittel dem Ausbau der elektronischen Dokumentation dienen. Dies ist auch insofern erklärbar, dass die Einführung der ePA einem strafbewährten Fördertatbestand unterliegt und somit drohende Sanktionen Krankenhäuser das Thema ePA hoch priorisieren lassen. 

Bis 2023 ist ein entsprechender Umsetzungsfortschritt über das Digitalradar nachzuweisen. Für ein solch komplexes Projekt ist das nicht viel Zeit. Entsprechend stehen die Häuser unter Implementierungsdruck. Die Erfahrung zeigt, dass die Einführung einer ePA in einem Krankenhaus ein sehr komplexes Unterfangen ist. Das liegt vor allem daran, dass fast alle Mitarbeitenden im Versorgungsprozess davon betroffen sind. Darüber hinaus haben sich in der Regel in den verschiedenen Fachabteilungen und Stationen unterschiedliche Dokumentationsstandards etabliert, die mit Einführung der ePA zu harmonisieren sind. Vor allem aber ändert sich der Prozess der Dokumentation. Die Führung einer analogen Akte funktioniert ganz anders als die einer digitalen. So werden beispielsweise viele Informationen künftig automatisch von den Medizingeräten oder vom Labor direkt in die ePA überführt. Zudem muss keine Akte mehr gesucht oder herangeholt werden. Andererseits ist die digitale Dokumentation an bestimmten Stellen manchmal aufwendiger, z.B. bei der Medikation, wo zunächst ein Medikament auszuwählen und dann sehr detailliert die Dosierung festzulegen ist. Darüber hinaus bedarf es bestimmter technischer Voraussetzungen, um an jedem Ort Zugriff auf die ePA haben zu können. Entsprechend lassen sich vier zentrale Erfolgsfaktoren ableiten, die bei der Einführung einer ePA unbedingt zu berücksichtigen sind:

1. Schaffung der technischen Voraussetzungen

Da die Infrastruktur der deutschen Krankenhäuser mitunter sehr veraltet ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass bereits alle Häuser vollständig mit WLAN ausgestattet sind. Dies ist aber zwingend notwendig, um mobile Peripheriegeräte wie Tablets, Visitenwagen aber auch Smartphones und mobile Medizingeräte einsetzen zu können. Die Nachrüstung der Infrastruktur mit WLAN ist kostspielig, da erhebliche Meter an teurem Netzwerkkabel verlegt und zahlreiche Accesspoints aufgehängt und angeschlossen werden müssen. Diese Basistechnologie sowie die dafür notwendige Netzwerkstruktur sollten als erstes geschaffen werden. Häufig ist die Umsetzung so zeitaufwändig, dass die eigenen Abteilungen im Bereich Technik und IT zu lange brauchen würden, so dass gegebenenfalls auch externe Dienstleister damit zu beauftragen sind. 

Neben dieser Basistechnologie ist aber auch dafür Sorge zu tragen, dass künftig alle Diagnostikergebnisse der zahlreichen Medizingeräte direkt in die Patientenakte übernommen werden. Das bedeutet, dass alle Medizingeräte entsprechend ans Netzwerk angeschlossen sein müssen, entweder kabelgebunden oder per WLAN. Entsprechend ist zu prüfen, ob überhaupt alle Medizingeräte netzwerkfähig sind. Eventuell sind diese Altgeräte neu zu beschaffen und in den Investitionskosten mit zu berücksichtigen. Auch die Ausstattung mit entsprechenden Peripheriegeräten gehört zu den technischen Voraussetzungen. Hier ist insbesondere mit dem Anbieter des Krankenhausinformationssystems zu besprechen, welche Tablets, Smartphones oder Visitenwagen mit dem KIS am besten arbeiten.

2. Entwicklung eines Dokumentationsstandards

Parallel zur technischen Ausstattung sollte der erste konzeptionelle Schritt im Projekt die Einigung auf einen gemeinsamen Dokumentationsstandard sein. Vielfach verlässt man sich hier auf das Krankenhausinformationssystem (KIS). Im Prinzip folgt dabei jedes KIS seiner eigenen Dokumentationsphilosophie, wobei die Systeme häufig frei konfigurierbar sind, so dass dann der Anwender die Vorgabe machen muss. Dies wird häufig über das Konstrukt von Pilotabteilungen oder Pilotstationen realisiert, die über ihre Hinweise meist unabsichtlich die ersten Eckpunkte des Dokumentationsstandards festgelegt haben, vielfach sogar in der Art, dass man versucht, die analoge Akte 1:1 umzusetzen. Das ist der größte Fehler, der passieren kann, da viele Strukturen und Prozesse, die mit der bisherigen Akte verbunden sind, ganz stark auf den anlogen, papiergebundenen Prozess fokussieren. Vielmehr ist von Beginn an ein multiprofessionelles Team mit medizinischem und pflegerischem Personal aufzusetzen, welches einen einheitlichen Dokumentationsstandard für die gesamte Einrichtung definiert. Daher ist es in der Regel wenig hilfreich, wenn die gesamte Leitung und Steuerung eines solchen Projekts bei der IT liegt, da die Entwicklung des Dokumentationsstandards von den Professionen kommen muss, die es künftig täglich anwenden. Der Dokumentationsstandard umfasst dabei sowohl die Patientenkurve, die Medikation sowie die medizinische und pflegerische Dokumentation.

3. Klare Projektorganisation und Verantwortung

Die Einführung einer ePA hat die vollständige Digitalisierung aller Patientendaten zum Ziel. Um dies zu erreichen, müssen alle Dokumentationsprozesse neu gedacht werden. Eine 1:1-Umsetzung analoger Prozesse führt unweigerlich dazu, dass die Effizienzsteigerungen und Erleichterungen mit der ePA nicht gehoben werden können. Da also die Prozesse im Fokus stehen, kann ein solches Projekt inhaltlich nicht durch die IT verantwortet werden, es sei denn, die IT-Abteilung hat auch einen organisationalen prozessualen Auftrag. Sollte dies nicht der Fall sein, ist die Organisationsabteilung mit der Projektleitung zu beauftragen. Allerdings ist festzustellen, dass die wenigsten Krankenhäuser über eine eigenständige Orga-Abteilung zur Neuordnung solcher Prozesse verfügen. 

Deshalb sollte die Projektleitung einem Fachspezialisten für Dokumentation und Behandlungs-/Pflegeprozesse übergeben werden. Eine solche Person ist zumeist nicht verfügbar, weshalb man ebendiese in der Organisation suchen muss. Vielfach bieten sich hier sehr erfahrene und IT-affine Pflegekräfte oder IT-affine ärztliche Mitarbeitende an, die großes Interesse an einem solchen Projekt haben. Wichtig ist auch, dass das Projekt in einer klaren Projektorganisation abgebildet wird. Wir empfehlen hier eine dreistufige Projektorganisation mit drei Teilprojekten, einer Projektleitung und einem Lenkungsausschuss. Aufgabe der Teilprojekte ist es, einerseits die technischen Voraussetzungen durch die Technik und die IT zu schaffen. Andererseits gilt es, den Dokumentationsstandard zu entwickeln. Dies sollte parallel erfolgen. Wenn beide Teilprojekte weit fortgeschritten sind, kann fließend in das Implementierungsteilprojekt übergegangen werden. 

Die Projektleitung sollte bei einem fachlichen Mitarbeitenden liegen, der sowohl die Dokumentationsprozesse als auch die Dokumentationsinhalte kennt. Aufgabe ist es, das Projekt zu leiten und den Projektfortschritt zu kontrollieren. Der Lenkungsausschuss besteht aus den zentralen Entscheidungsträgern der Einrichtung oder des Konzerns. Dieser wird regelmäßig über den Fortschritt informiert, über Probleme unterrichtet und entscheidet über zentrale Maßnahmen bei Abweichung vom Plan. So erhält das Projekt eine entsprechende Steuerungs- und Durchgriffsfähigkeit.

4. Migrationsvorgehen und Zeitplan

Häufig wird für die Einführung der ePA ein Implementierungsvorgehen gewählt, in dem mit einer Pilotstation oder Pilotfachabteilung oder auch beidem begonnen wird und dann inkrementell die weiteren Fachabteilungen und Stationen umgestellt werden. Dies wird mit dem Argument genutzt, dass man von Bereich zu Bereich die Spezifika aufnehmen kann und somit die ePA sukzessive in Bezug auf die Dokumentationsanforderungen komplettieren kann. Ebendies erfolgt insbesondere dann häufig, wenn nicht vorab ein klarer Dokumentationsstandard definiert worden ist. Aber genau hier liegen zwei zentrale Risiken, die die Einführung der ePA in der Praxis deutlich komplexer machen können: Zum einen kommen durch die sukzessive Aufnahme von Anforderungen zunehmend Sonderthemen in die ePA hinein, die möglicherweise keinem Dokumentationsstandard mehr folgen, sondern eher in Richtung einer 1:1-Umsetzung der analogen Akte gehen. Zum anderen ist ein sukzessiver Ansatz für die gesamte Organisation immer dann eine Belastung, wenn ein Patient von einer bereits digitalisierten Station auf eine analoge Station verlegt wird. In dem Moment müssen alle Dokumente wieder ausgedruckt und nachträglich eine papiergebundene Akte angelegt werden. Aus diesem Grund empfehlen wir einen Ansatz, in dem zu Beginn sehr gründlich ein Dokumentationsstandard entwickelt wird. Dieser wird auf ein bis zwei Stationen und Fachabteilungen pilotiert, um dann die ePA gleichzeitig auf allen verbleibenden Stationen einzuführen. Eine Anpassung der ePA erfolgt nur dann, wenn wirklich dringende Informationen noch nicht abgespeichert werden können. Und auch diese Anforderungen sind durch das Teilprojekt für den Dokumentationsstandard zu genehmigen. Damit die Einführung und die damit verbundene Schulung aber nicht zu komplex werden, führt man Modul um Modul ein. So sind alle Fachabteilungen und Stationen immer auf dem gleichen Stand, durchleben den Einführungsprozess gleichzeitig gemeinsam und können sich auch gegenseitig helfen.

Ausblick und weitere Herausforderungen

Forciert durch drohende Sanktionen bei der Nicht-Einführung wird es in den nächsten Monaten garantiert zu Engpässen seitens der Softwarelieferanten der Krankenhausinformationssysteme kommen. Der bestehende Fachkräftemangel auch im IT-Bereich wird diese drohenden Engpässe noch verstärken. Denn alle wollen und müssen die Anforderungen aus dem KHZG zeitnah umsetzen. Gleichzeitig müssen die Einrichtungen mitunter komplexe öffentliche Ausschreibungsverfahren durchführen, um die Gelder für die Förderung zur Einführung der ePA verwenden zu dürfen. Auch wird es bei der Etablierung einer ePA in den Einrichtungen zu temporären Doppelbelastungen der Mitarbeitenden kommen, die unter der Prämisse der aktuellen Grenzbelastung vieler Häuser zum Drahtseilakt werden könnten. Dennoch ist die Etablierung der ePA zwingend notwendig: Einerseits um die Patientenversorgung zu verbessern und gleichzeitig die Prozesse im Krankenhaus effektiver steuern zu können und andererseits sind es eben genau diese Digitalisierungsprojekte, die Einrichtungen attraktiver für neue Mitarbeitende machen.

15.11.2022

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