Elf Millionen chronische Schmerzpatienten

Nur zwei Prozent werden von Spezialisten behandelt

In Deutschland leiden elf Millionen Menschen andauernd unter Kopf-, Gelenk-, Rücken-, Nerven- oder Narbenschmerzen. Aber nur zwei Prozent der Betroffenen werden von Ärzten betreut, die sich auf dem Gebiet der Schmerztherapie spezialisiert haben. Deshalb müssen viele Patienten unnötig chronische Schmerzen ertragen, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) im Vorfeld ihrer 64. Jahrestagung.

Dr. med. Susanne Stehr-Zirngibl, Chefärztin des Schmerztherapeutischen...
Dr. med. Susanne Stehr-Zirngibl, Chefärztin des Schmerztherapeutischen Zentrums am St. Vinzenz-Krankenhaus Düsseldorf

Ihnen könnte die multimodale Schmerztherapie helfen: Dabei kombinieren Ärzte Verfahren wie Medikamententherapie, Patientenschulung, Psychotherapie, Entspannungsverfahren und Schmerzbewältigungstraining bis hin zur Implantation von Elektroden. Neue Entwicklungen in der Schmerztherapie sind ein Schwerpunkt der 64. Jahrestagung der DGNC, die vom 26. bis 29. Mai 2013 in Düsseldorf stattfindet.

 „Meist bestehen die chronischen Schmerzen schon sehr lange“, erläutert Dr. med. Susanne Stehr-Zirngibl, Chefärztin des Schmerztherapeutischen Zentrums am St. Vinzenz-Krankenhaus Düsseldorf. „Jeder fünfte Patient leidet seit mehr als zwanzig Jahren.“ Zu den häufigsten Schmerzarten zählen Kopf-, Gelenk- und Rückenschmerzen. Um die Beschwerden zu lindern, setzen Ärzte bei mehr als der Hälfte der Patienten Schmerzmittel in Form von Tabletten und Tropfen sowie Massagen ein, in etwa einem Drittel der Fälle Wärmebehandlungen und Schlammpackungen. „Das allein hilft aber meist nicht weiter“, meint Schmerzspezialistin Stehr-Zirngibl. „Denn diese Therapien sind passiv, der Patient muss nicht selbst aktiv werden. Aktivierung ist aber dringend erforderlich.“

Zu den aktivierenden Verfahren gehören Krankengymnastik, Entspannungsmethoden, Schmerzbewältigungstraining und psychologische Anleitung. „Chronische Schmerzen sind häufig die späte Folge einer traumatischen Erfahrung in der Kindheit“, berichtet Stehr-Zirngibl. „Viele Menschen stecken eine solche Verletzung zunächst weg. Aber wenn später ein einschneidendes Ereignis wie der Tod des Ehepartners, Arbeitsplatzverlust oder eine Operation hinzukommt, kann das Trauma wieder aufbrechen und sich mit chronischen Schmerzen äußern.“ In solchen Fällen hilft eine Kombination aus Antidepressiva und Aktivierung sowie Psychotherapie besonders gut, belegen Studien.

Dauerschmerzen können aber auch Folge von Narbenbildung oder Nervenverletzungen bei einer Operation sein – Experten sprechen von „neuropathischen“ Schmerzen. Sie treten beispielsweise nach Leistenbrucheingriffen oder wiederholten Rückenoperationen auf. Um diese Schmerzen zu lindern, implantieren Neurochirurgen in bestimmten Fällen auch Elektroden. Dabei legen sie die Elektroden entweder in die Nähe des Rückenmarks in den Wirbelkanal oder unter die Haut. Die Elektroden werden mit einer kleinen Batterie verbunden, die ebenfalls am Bauch oder Gesäß ins Fettgewebe eingepflanzt wird. So können die Elektroden leichte Stromimpulse abgeben, die die Weiterleitung der Schmerzsignale ans Gehirn verhindern sollen. Über den Einsatz dieser sogenannten neuromodulativen Verfahren diskutieren Experten auf der 64. Jahrestagung der DGNC.

In Frage kommen Patienten, die unter ins Bein ziehenden Schmerzen nach Rückenoperationen, Morbus Sudeck oder Narbenschmerzen nach Leistenbruchoperationen leiden. „Bei bis zu 50 Prozent dieser Patienten mit neuropathischen Schmerzen haben neuromodulative Verfahren Erfolg“, erklärt Professor Dr. med. Volker Tronnier, Direktor der Neurochirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Lübeck. Ob ein neuropathischer Schmerz vorliegt, klären Neurologe oder Neurochirurg in einer umfassenden neurologischen Untersuchung, die auch den Schmerz gezielt testet und analysiert. „Verursacht bereits das Bestreichen mit einem Wattebausch über die Leistengegend Schmerz oder unangenehme Missempfindungen, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein neuropathischer Schmerz vor“, erklärt Tronnier. Bevor operative Maßnahmen wie die Implantation von Elektroden zum Einsatz kommen, sollten andere Verfahren im Rahmen der multimodalen Therapie ausgeschöpft worden sein.

Weitere Informationen sowie das Programm der 64. DGNC-Jahrestagung sind unter www.dgnc.de/2013/ abrufbar.

 

 

 

03.05.2013

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