Business intelligence
Ein Datensee – so tief und blau
An den Genfer Universitätsspitälern tritt die Data Science-Abteilung unter Christian Lovis an, Google und Apple die Stirn zu bieten. Seit Beginn des Jahres schwimmen die Daten, und zwar ALLE Daten der vergangenen zehn Jahre des HUG in einem gigantischen Datensee.
Report: Claudia Dirks
„Es ist ein riesiges Projekt, von dem wir noch nicht hundertprozentig wissen, wohin es uns führt.“ Christian Lovis, Direktor der Medizinischen Informationswissenschaften an den Genfer Universitätsspitälern, erzählt gutgelaunt von seinem neuesten Vorhaben, dass ihn nach seinen Worten zum Schatzgräber im eigenen Hause macht: „Wir haben hier in Genf ein sich selbst organisierendes System kreiert, von dem wir noch nicht in Gänze wissen, wie es letztendlich funktionieren wird. Aber es ist nicht mehr so, dass der Mensch die Grenzen definiert – wir lernen mit und auch von der Maschine.“ Seine Aufgabe und die seines Teams ist es fortan, Brücken in andere Systeme zu bauen, Wissen zu generieren und Grenzen zu überschreiten.
Neue Investitionsstrategie
Er hat Jahre darauf verwendet, seinem Management den Ansatz näher zu bringen, den er nun verfolgen darf: In IT zu investieren, um IT abzuschaffen. Lovis meint das ganz pragmatisch. Er wollte nicht mehr länger alle Jahre wieder Millionen Schweizer Franken in neue Produkte investieren, um dann doch nur immer wieder vor dem Problem zu stehen, wie die Daten für das Produkt passend aufbereitet werden können. Also überzeugte er die Verantwortlichen davon, die Millionen statt in neue Produkte, in die eigenen Datenschätze zu investieren. Et voilà. Das Ziel ist Sammeln, Sammeln, Sammeln und Wege finden, das HUG-eigene Wissen abrufen zu können – für die Mediziner, die Controller, die Forschung und auch die Bürger im Sinne von Public-Health-Management-Programmen.
Interoperabilität ist nicht vertikal
Welche Fragen mithilfe der eigenen Daten schon jetzt beantwortet werden können, zeigt sich beim Blick auf das eigens programmierte vektorielle 3D-Modell des HUG, programmiert in Kooperation mit den Architekten des Hauses, gefüttert mit den Daten des Spitals. Nicht nur mit den klinischen Daten, sondern ebenso mit denen der Gebäudetechnik, der Logistik, der Administration, der Personalabteilung, der Infektiologen, der Pharmazeuten bis hin zu den Daten, die der Patient von sich aus mit ins Spital bringt.
„Daten sind dort interessant, wo sie beginnen, komplex zu werden – und diese Komplexität müssen wir lernen, zu beherrschen“, erklärt Lovis, „Interoperabilität wie wir sie bis dahin verstanden hatten, drehte sich um die medizinischen Daten verschiedener Kliniken. Aber nicht die vertikale Interoperabilität ist entscheidend. Sie muss sich durch das ganze Spital ziehen, kreuz und quer und sogar Antworten auf noch nicht gestellte Fragen geben.“
Ziel: ein neues Ecosystem
Die Fragen, die nur das 3D-Modell beantworten konnte, waren schon weit über das hinaus, was sich sonst in schwer lesbaren Statistiken wiederfindet: auf einmal konnten Infektionen, ob Grippe oder MRSA, zurückverfolgt werden, die Arzneimittelsicherheit wurde signifikant gesteigert etc. Das 3D-Modell kann wochenlange Verläufe geografisch und personell zuordnen.
War die Motivation für diese Entwicklung eher eine betriebswirtschaftliche, ist die Idee des Datensees anderen Ursprungs. Hier geht es um organisatorische Veränderungen, die ein völlig neues Ecosystem zum Ziel haben, die auch den Umgang mit den Daten neu definieren wird. Da, wo so viele Antworten schlummern, werden Fehler mitunter weniger vergeben. Doch die Brückenbauer sind schon am Werk, um das Wissen in medizinisch messbaren Erfolg zu verwandeln.
25.04.2017