Gefährdet oder Gefordert?
Die innere Schönheit der Radiologie
Die Radiologie folgt dem Trend einer zunehmenden Aufspaltung. Subspezialitäten wie beispielsweise die Interventionelle Radiologie, Pädiatrische Radiologie oder Neuroradiologie gewinnen mit wachsender Komplexität des Fachs an Eigenständigkeit. „Ist der allgemeine Radiologe eine aussterbende Spezies?“, fragt Prof. Dr. Gerhard Mostbeck, Leiter des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Wilhelminenspital Wien, in seinem Vortrag über die „Schönheit der Radiologie“.
ECR 2016 - Don't miss
Friday 4 March 8:30–10a.m., Room E1
Radiology ten years from now: where will it be?
Gibt es ihn (noch), den allgemeinen Radiologen?
Eine konkrete Definition dieser Bezeichnung habe ich nicht gefunden. Offensichtlicht versteht man landläufig unter einem allgemeinen Radiologen jemanden, der über keine Subspezialisierung verfügt, also von jedem Bereich ein wenig versteht. Betrachten wir jedoch beispielsweise den Bereich der personalisierten Medizin etwa bei Behandlung des Mammakarzinoms, braucht es für die klinischen Spezialisten einen klinisch versierten Mammaradiologen als Partner, der sich in allen Aspekten dieses komplexen Themas auskennt: von Screening, Mammografie und Ultraschall über das Verhalten von Karzinomen über die Biopsie bis hin zum Staging, Erfassung des Therapieansprechens und Verlaufskontrolle. Die Spezialisierung ist hierbei für den Behandlungserfolg von entscheidender Bedeutung.
Leider lässt sich die Frage, ob wir den Allgemeinradiologen noch brauchen, nicht so einfach mit ja oder nein beantworten. Große Uni-Kliniken mit 50 bis 60 Radiologen halten gleich mehrere Spezialisten für jeden Bereich vor. In den kleineren Häusern mit weniger Radiologen müssen die Spezialisten schon Multispezialisten sein. Nicht jede Spezialität kann mit einem spezialisierten Radiologen personell abgedeckt werden – über den gesamten Kliniktag, in der Nacht und am Wochenende. Meiner Meinung nach ist der allgemeine Radiologe jemand, der in einer allgemeinen Ausbildung alle Basics wie Ultraschall, CT und MRT erlernt hat und beherrscht. Aufbauend darauf kann dann eine Spezialisierung erfolgen.
Jeder Spezialist sollte also auch ein kleiner Allgemeinradiologe sein?
Reines Subspezialistentum ist eine Organisationform für Großkliniken. An kleineren Häusern ist das allgemeine radiologische Wissen die Grundlage, um dort überhaupt tätig sein zu können. An meiner Klinik gibt es zu der allgemeinen Expertise eine zweite Ebene, die modalitätenspezifisch aufgebaut ist. Die Mitarbeiter sind aufgefordert, sich in mehreren Subspezialitäten weiterzubilden. Dann wird allerdings auch erwartet, dass sie diese Bereiche abdecken. Es muss aber ebenfalls sichergestellt sein, dass etwa der Kinder- oder Neuroradiologe ein Unfallopfer Samstagnacht befunden kann.
In den ländlichen Regionen, wo nicht für jede Subspezialität ein Spezialist tätig sein kann, bieten heute Teleradiologie und Telekonsultation neue Möglichkeiten, die Patientenversorgung sicherzustellen. Jeder Radiologe - selbst in einem kleinen Krankenhaus - sollte die Möglichkeit zur Telekonsultation und damit Zugang zu Spezialwissen haben. Der Bilddatentransfer für diesen Austausch hat sich vielfach schon etabliert. Lediglich bei Patienten, die interventionell-radiologisch behandelt werden, muss sich entweder der Patient der oder Arzt bewegen.
Hat sich die radiologische Landschaft verändert?
Ja, vor allem im niedergelassenen Bereich. Radiologische Einzelpraxen sterben aus, während sich Großinstitute und Gruppenpraxen formieren, um dem ökonomischen Druck standzuhalten. In diesen Formationen sind zunehmend radiologische Spezialisten und Multi-Spezialisten tätig. Dieser Trend wird sich verstärken, eine „Public-Private-Partnership“ wie man es beispielsweise in Deutschland findet, können wir in Österreich allerdings noch nicht feststellen. Der politische Wandel ist jedoch erkennbar und gewollt.
Allerdings gilt sowohl für den niedergelassenen als auch den klinischen Bereich: Den aus den Vereinigten Staaten herüberschwappenden Trend der Subspezialisten, die sich nur mit einem Organ auskennen, halte ich außerhalb der radiologischen Forschung für absurd. Meine Botschaft lautet: die allgemeine Radiologie sollte die Grundlage für jede Spezialisierung sein. Das Schöne an der Allgemeinradiologie ist, dass man viele Bereiche überblicken und einschätzen kann; mit einem ausgewiesenen Superspezialisten, der nur einen Ausschnitt beherrscht, kann nur ein Universitätsinstitut etwas anfangen.
PROFIL:
Univ.-Prof. Dr. Gerhard Mostbeck ist Vorstand des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Wilhelminenspital, und des Instituts für Röntgendiagnostik, Otto-Wagner-Spital, Wien. Ausbildung zum Facharzt für Radiologie an der Medizinischen Universität Wien. Seine Habilitation schrieb er zu 1990 zu einem sonographischen Thema. Von 2006 bis 2008 war er Präsident der Österreichischen Röntgengesellschaft; von 2002 bis 2005 Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (ÖGUM). Zudem war er Tagungspräsident des Ultraschall-Dreiländertreffens 2000 in Wien, des WFUMB-EFSUMB und Ultraschall-Dreiländertreffens 2011 in Wien und des ESGAR-Annual-Meetings 2014 in Salzburg.
29.02.2016