Interview • Kleine Nachhilfe

Die Angst des Radiologen vor den Räumen

Einer beträchtlichen Anzahl an Radiologen jagt die Bildgebung im Kopf-Hals-Bereich Angst ein. Denn dieses Gebiet wird in der Radiologie selten ‚geübt‘ und ist zudem äußerst filigran und kleinteilig.

Wie man sich im Hals orientiert und zurechtfindet, fällt vielen nicht leicht, mutmaßt Prof. Dr. Birgit Ertl-Wagner, Leiterin des Bereichs Magnetresonanztomographie, Institut für Klinische Radiologie, Klinikum Großhadern, LMU. 

Im Interview mit dieser Zeitung beschreibt sie die Schwierigkeiten und hat sich außerdem die Mühe gemacht, eine Art Google Map der wichtigsten „Spaces“ in der HNO-Radiologie zusammenzustellen.

Was ist so schwierig an der HNO-Radiologie?

Der Hals und besonders die Kopf-Hals-Bildgebung jagen Radiologen auch deshalb Angst ein, weil der Mensch in seinem Querschnitt an dieser Stelle so schmal ist, wie sonst nirgends.

Prof. Dr. Birgit Ertl-Wagner

In der Radiologie und auch in der Chirurgie des Kopf-Hals-Systems unterscheidet man im Halsbereich unterschiedliche Räume (‚Spaces‘). Das sind voneinander abgegrenzte Bereiche unterschiedlicher Größe und unterschiedlichen Inhalts im Hals, die einen topographischen Zusammenhang haben und in der Regel von einer Faszienkomponente umgeben sind. Der Hals und besonders die Kopf-Hals-Bildgebung jagen Radiologen auch deshalb Angst ein, weil der Mensch in seinem Querschnitt an dieser Stelle so schmal ist, wie sonst nirgends. Alle dort vorhandenen Strukturen und alles was „hindurchlaufen“ muss, sind auf engsten Raum gepackt. Und da läuft so einiges durch, von unten nach oben und umgekehrt: alles, was das Gehirn versorgt – arterielles und entsorgt-venöses Blut, das Rückenmark, die Wirbelsäule. Wir finden zusätzlich eine sehr komplexe Haltungsmuskulatur vor, die die für den Hals typische flexible Haltung und Wendung erlaubt. Und Atmung und Ernährung gehen auch noch durch den Hals.

Um das Maß voll zu machen, läuft auch noch alles gleichzeitig und mit niedrigem Querschnitt ab: es gibt wenig Fläche und Volumen für so viele Prozesse. Um der Lage einigermaßen Herr zu werden, gruppiert man die Strukturen in Räume ein, ähnlich wie bei einem Bauplan für ein Haus. Die Raumwände entsprechen im Hals den Faszien, die die Grenzlinien zwischen den einzelnen Spaces markieren.

Abb. 1: Raumfordernde Läsionen des Visceral Space (gelb) verlagern den Carotid...
Abb. 1: Raumfordernde Läsionen des Visceral Space (gelb) verlagern den Carotid Space (rot) nach lateral
Abb. 2: Raumforderungen des Pharyngeal Mucosal Space (rosa) verlagern das Fettgewebe des Paraharyngealraums (orange) nach lateral
(grüne Pfeile)

Das klingt enorm kompliziert …

Der ganze Bereich sieht auf den ersten Blick aus wie eine furchtbar verwirrende Landkarte.

Prof. Dr. Birgit Ertl-Wagner

Ist es auch. Viele, vor allem die nicht auf HNO-Radiologie spezialisierte Radiologen, tun sich schwer, diese Räume zu lokalisieren, weil sie eben nicht rechtwinklig aufeinander liegen, wie bei einem Hausplan, sondern ineinander verschachtelt und verstülpt sind. Die Faszien-Strukturen erkennt nur, wer sich gut auskennt. Der ganze Bereich sieht auf den ersten Blick aus wie eine furchtbar verwirrende Landkarte. Doch ist es umso wichtiger, die Läsionen den richtigen Räumen zuzuordnen, da man ansonsten die falsche Diagnose stellt.

Was bedeuten diese Sisyphos-Strukturen für die Diagnostik?

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Tumoren des Masticator Spaces (lila) können sich entlang des Mandibularis-Anteils des N. trigeminus (V3) nach intrakraniell ausbreiten

Die Differentialdiagnosen sind unterschiedlich, je nach dem in welchem dieser Räume ich mich befinde. Wichtig ist zu wissen, welche Pathologie vorliegt, weil Tumore unterschiedliche Ausbreitungswege gehen. In manchen Räumen droht eine Ausbreitung von Tumoren oder Infektionen nach intrakraniell, in anderen nicht. Dafür haben andere wiederum Verbindungen zum Mediastinum, durch etwas, das passenderweise „Danger-Space“ heißt und einer Art Verbindungstür in das Mediastinum hinein ist, die es Tumoren oder Infektionen ermöglicht, sich mediastinal auszubreiten. Kennt man diese Wege nicht, wird man diese Prozesse übersehen und/oder falsch bewerten.

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Prof. Dr. Birgit Ertl-Wagner

Profil:
Seit 2009 leitet Prof. Dr. Birgit Ertl-Wagner den Bereich Magnetresonanztomographie am Institut für Klinische Radiologie, Klinikum Großhadern.Im November 2012 folgte die Berufung auf die W2-Professur für klinische und experimentelle Magnetresonanztomographie. Seit 2005 führt die Münchnerin die Schwerpunktbezeichnung für Neuroradiologie. Die Fachärztin für diagnostische Radiologie forschte mehrfach in den USA, zuletzt 2012 als William R. Eyler Fellow der RSNA. 2013 wurde Ertl-Wagner mit dem Therese von Bayern Preis und dem Felix-Wachsmann-Preis der Deutschen Röntgengesellschaft ausgezeichnet.

30.01.2015

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