Bürokratieabbau bei unabhängigen klinischen Studien ist Patientenschutz

Die Situation für nicht-kommerzielle, unabhängige klinische Studien in Europa hat sich in den letzten Jahren als Folge überbordender Bürokratie dramatisch verschlechtert.

Prof. Mathias Freund, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO Deutsche...
Prof. Mathias Freund, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V.

Und der Trend hält an: Eine aktuelle Umfrage unter hämatologisch-onkologischen Studienzentren zeigt, dass jede dritte Einrichtung in Deutschland ihre Studienaktivitäten weiter zurückfahren möchte. Mit der geplanten EU-Verordnung über Klinische Arzneimittelprüfungen sollen Fehler vergangener Regulierungsrunden korrigiert werden. Die Fachgesellschaften für Hämatologie und Onkologie in Deutschland begrüßen das ausdrücklich. Mit medialer Stimmungsmache ist niemandem geholfen – am allerwenigsten den Patienten.

Die rasante Entwicklung der Onkologie in den letzten Jahrzehnten ist eng mit der Durchführung klinischer Studien verbunden. "Therapieoptimierungsstudien haben die Versorgung von Krebspatienten deutlich vorangebracht“, betont Prof. Mathias Freund, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V.. Studien bringen Sicherheit und Fortschritt in die Krebstherapie und retten damit Menschenleben. Unabhängige, von Ärzten und Wissenschaftlern initiierte klinische Studien sind unentbehrlich, um beispielsweise die Wirksamkeit bereits zugelassener Arzneimittel zu vergleichen oder die Belastungen durch Nebenwirkungen und Folgeerkrankungen zu reduzieren.

Allerdings wird die Initiierung von Therapieoptimierungsstudien stark behindert, seit die europäische Richtlinie 2011/20/EG in Deutschland mit der 12. AMG-Novelle umgesetzt worden ist. "Die aktuelle EU-Richtlinie macht keinerlei Unterschiede zwischen akademisch initiierten und von der pharmazeutischen Industrie initiierten Studien. Das derzeitige Antragswesen ist ein bürokratischer Albtraum und trifft in erster Linie Universitätskliniken und Versorgungskrankenhäuser, die den hohen Aufwand nicht leisten können“, so Freund.

Jedes dritte Zentrum will Studien verringern
Um die konkrete Situation für unabhängige Studien zur Therapieoptimierung zu erfassen, wurde eine Umfrage unter hämatologisch-onkologischen Prüfzentren in Deutschland initiiert. Die Ergebnisse sind erschütternd: "Jede dritte Einrichtung plant, die Teilnahme an Industrie-unabhängigen Studien zu reduzieren, da unter anderem für die aufwändige Organisation keine ausreichende Finanzierung besteht“, sagt Michael Fuchs, Leiter der Studienzentrale der Deutschen Hodgkin Studiengruppe. Für die Kinderkrebsmedizin kann Prof. Thomas Klingebiel von der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie e.V. (GPOH) das nur bestätigen: "Wir haben Sorge, dass die hohe Zahl unserer Studienteilnehmer bedroht ist, wenn nicht die wesentlichen Änderungen der EU-Verordnung umgesetzt werden.“ Dabei haben diese Kinder eine signifikant bessere Prognose, wenn sie im Rahmen von klinischen Studien behandelt werden.

Bürokratie verringern, Patientenschutz gewährleisten
DGHO und GPOH begrüßen vor diesem Hintergrund ausdrücklich den Entwurf der EU-Verordnung über Klinische Arzneimittelprüfungen. Bei der Formulierung der neuen Verordnung wurden Kritikpunkte von forschenden Ärzten und von Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen berücksichtigt. Die Verordnung soll Fehlentwicklungen im Zuge der aktuellen EU-Richtlinie korrigieren und die Antragsbürokratie stark verringern. Laut DGHO und GPOH ist das die richtige Konsequenz aus den Erfahrungen der letzten Jahre: "Wenn Studien ausgebremst werden, die dazu dienen, Behandlungen zu optimieren und Nebenwirkungen zu verringern, dann hat das mit Patientenschutz nichts zu tun“, so Freund.

Sachliche Auseinandersetzung statt billiger Polemik
In den letzten Wochen wurde eine Stellungnahme des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in der Öffentlichkeit weitgehend unkritisch wiedergegeben und der Entwurf der EU-Verordnung grob verzerrt dargestellt. Aus Sicht der Fachgesellschaften ist es schlichtweg falsch, dass die EU-Verordnung bei klinischen Studien keine Bewertung durch Ethik-Kommissionen mehr vorsähe. Sie überlässt diese Regelung ausdrücklich den Mitgliedsstaaten. Ethik-Kommissionen sind mit gutem Grund eine unverzichtbare Voraussetzung für die Genehmigung klinischer Studien. Das heißt aber nicht, dass es sinnvoll oder im Interesse der Patienten ist, wenn in Deutschland für klinische Studien nicht nur eine zuständige Ethik-Kommission, sondern zahlreiche weitere Ethik-Kommissionen konsultiert werden müssen.

Der Vorwurf, wonach die neue EU-Verordnung darauf abziele, die Forschung an nicht einwilligungsfähigen Patienten aus rein wirtschaftlichen Erwägungen zu erleichtern, ist aus Sicht von DGHO und GPOH haarsträubend. "Von einer Rückkehr ins wissenschaftliche Mittelalter kann keine Rede sein. Auch muss sich niemand wünschen, lieber ein Tier zu sein, wie es durch den Blätterwald ging“, so Freund.

Die Vereinheitlichung und Straffung des Verfahrens durch die geplante EU-Verordnung bringt Vorteile für länderübergreifende Multicenter-Studien, wie sie vor allem bei seltenen Tumorerkrankungen unverzichtbar sind. Ebenfalls zu begrüßen ist, dass Sponsor und Studienleiter durch die Richtlinie autorisiert werden, im Notfall sofortige Maßnahmen zum Schutz der Patienten zu treffen, wenn dies erforderlich werden sollte. Hier bestand eine Regelungslücke im Rahmen der bisherigen Richtlinie.
 

19.03.2013

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