Artikel • 4D-Bilder, Strukturierte Befundung und mehr
Aufstieg der Maschinen – KI beim Thorax-CT
Die Radiologie als hoch innovative Fachrichtung in der Medizin macht sich die Möglichkeiten der Artificial Intelligence (AI) zusehends zu Nutze. Eine Gefahr für die Zukunft des Faches besteht dabei nicht. Zu komplex, zu kommunikativ sind die Anforderungen an diese Disziplin.
Maschinen werden radiologische Fachärzte daher bis auf weiteres nicht ersetzen können – so die Überzeugung von Uwe Joseph Schöpf, Professor für Radiologie, Kardiologie und Kinderheilkunde und Direktor der Abteilung für Kardiovaskuläre Bildgebung der Medizinischen Universität South Carolina (USA). Was die künstliche Intelligenz den Radiologen aber zu bieten hat, erläutert er anhand einiger eindrucksvoller Beispiele.
Es stimmt, die Popularität der Radiologie hatte bei jungen Medizinabsolventen in den USA in den letzten Jahren abgenommen. Zu groß war die Sorge, in ein Fach einzusteigen, das es aufgrund der Fortschritte im Bereich der Artificial Intelligence vielleicht bald nicht mehr geben könnte. Inzwischen hat sich der Trend wieder umgekehrt, denn dazu wird es voraussichtlich nicht kommen. Grund sind die vielen zwischenmenschlichen Kompetenzen, die unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche radiologische Tätigkeit sind: Kommunikation mit Patienten und Zuweisern, interdisziplinäre Arbeitsweise und der ganzheitliche Blick auf die aktuelle Situation des Patienten und nicht nur auf ein spezifisches Bildmuster. „Das sind Fähigkeiten, die kein noch so guter Computer übernehmen kann, dazu brauchen wir nach wie vor fähige und gut ausgebildete Fachleute“, ist Schöpf zutiefst überzeugt.
AI übernimmt die Zeitfresser
Für ihn stellt künstliche Intelligenz eine hochpotente Möglichkeit dar, die Diagnosestellung mit den Mitteln einer immer weiter perfektionierten Bildauswertung gravierend zu verbessern. Wie kann man sich das konkret vorstellen? Zunächst ist da die immense Zeitersparnis durch AI zu nennen – vor allem bei Messungen der quantitativen Bildgebung. So ist ein entsprechend trainierter Computer in der Lage den Agatston-Score für die Kalzifizierung von Koronararterien innerhalb von Sekunden automatisch und präzise zu erstellen. Einen Radiologen in Ausbildung oder auch einen Facharzt kostet die gleiche Messung je nach Kalzifizierungsgrad 15 bis 20 Minuten.
Ein weiteres Beispiel ist die automatische Vermessung der Mitralklappendimensionen. „Das ist für den menschlichen Begutachter eher schwierig, weil er sich dabei in einem dreidimensionalen, unter Berücksichtigung des Herzschlages, sogar vierdimensionalen Raum bewegt“, erläutert Schöpf.
Das 2D-Bild auf der Workstation ist für diese Art präziser Messung nicht besonders gut geeignet.“ Der Computer kennt da keine Restriktionen. Er misst automatisch, schnell und voraussichtlich auch besser.
Echter Mehrwert
Damit ist die Künstliche Intelligenz noch nicht am Ende. Sie kann Befunde mit zusätzlichen Ergebnissen anreichern und damit aufwerten. Das sogenannte opportunistische Screening liefert wichtige Informationen, nach denen routinemäßig nicht gesucht wurde, die aber die Diagnosestellung entscheidend verbessern können. Ein gutes Beispiel ist die Emphysem-Quantifizierung. Der Computer erkennt eigenständig, ob ein Lungenemphysem vorliegt oder nicht und kann zudem auch gleich seine Ausbreitung bestimmen. Ohne zusätzlichen Arbeitsaufwand erfolgt diese Messung bei jedem normalen Thorax-CT automatisiert und präzise. Das Gleiche gilt für die Knochendichtemessung. Detaillierte Aussagen über die Knochensubstanz können unter diagnostischen und therapeutischen Aspekten von hoher Relevanz sein. Einem menschlichen Beobachter, der sich bei der Untersuchung auf andere Strukturen im Thorax konzentriert, entgeht diese Auffälligkeit leicht.
Die Vermessung der thorakalen Aorta zur Feststellung eines Aortenaneurysmas ist ein drittes Beispiel. Aufgrund des kurvenreichen Verlaufs der Aorta ist die Messung für den Radiologen schwierig – kein Problem für den Computer, auch hier misst er schnell und genau.
Mehrere Fliegen mit einer Klappe
„Zurzeit arbeiten wir einerseits an der Entdeckung von Lungenrundherden, andererseits an der automatischen Erkennung von Koronargefäßen und Plaques.“ Langfristiges Ziel dabei ist es, möglichst viele potenzielle Problemfelder mit ein und derselben CT-Aufnahme zu identifizieren. Das heißt konkret: Beim Lungen-CT wird parallel und automatisch die Kalzifizierung der Herzgefäße gemessen, beim Herz-CT erfolgt indes gleichzeitig die Bestimmung von Lungenherden.
„Ein sehr effizientes Vorgehen, das ohne AI nicht möglich wäre“, so Schöpf. „Speziell in der kardiovaskulären Diagnostik arbeiten wir außerdem mit AI, um einschätzen zu können, wie schwerwiegend eine Koronarstenose ist.“ Im Fokus steht dabei die Messung der fraktionalen Flussreserve. Die bisherigen Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass diese Untersuchung schon sehr bald Eingang in die klinische Routine finden wird.
Auch jenseits der Bilderkennung ist der Einsatz von AI vielversprechend. Stichwort: Strukturelle Befundung. Auf der Basis eines vom Arzt diktierten unstrukturierten Befundes gelingt es mit künstlicher Intelligenz, die relevanten Textbausteine herauszufiltern, und sie in einen strukturierten Befund zu überführen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Befundung ist objektiver, leichter abzurechnen, besser nutzbar für Studien und ist zudem für den überweisenden Arzt wesentlich verständlicher. Schöpf dazu: „Ich sehe den Wert der strukturierten Befundung, aber auch das Problem bei der praktischen Umsetzung. Denn die Erstellung des strukturierten Befundes dauert wesentlich länger als ein freies Diktat. Der Arzt muss sich mühsam durch etliche Webseiten klicken, auf denen alle möglichen Strukturen, abgefragt werden, auch die unauffälligen.“ Seine Erfahrung: Für den radiologischen Routinebetrieb ist das nicht besonders anwenderfreundlich. Umso willkommener ist auch hier der vielversprechende Einsatz des Computers. Das Verfahren ist übrigens anwendbar auf alle Organbereiche, vorausgesetzt der Computer ist entsprechend trainiert.
Profil:
Aufgewachsen in München, studierte Prof. Dr. Uwe J. Schöpf hier Medizin und absolvierte seine Facharztausbildung am Institut für Klinische Radiologie der Ludwig-Maximilians-Universität. 2001 verließ er Bayern, im Gepäck sein leidenschaftliches Interesse an kardio-thorakaler Bildgebung und im wahrsten Sinne des Wortes bereits ausgezeichnete Kenntnisse. Schöpf siedelte an die Ostküste der USA um: Bis 2004 in Massachusetts als Radiologe am Brigham & Women’s Hospital tätig, ist er inzwischen in Charleston Professor für Radiologie, Kardiologie und Kinderheilkunde und Direktor der Cardiovascular-Imaging-Abteilung der Medizinischen Universität South Carolina.
25.01.2020