Rot eingefärbte stäbchenförmige Escherichia coli-Bakterien auf blauem...
Das Darmbakterium Escherichia coli unter dem Rasterelektronenmikroskop.

Bildquelle: CDC/National Escherichia, Shigella, Vibrio Reference Unit at CDC

News • Neue Form mit weniger Nebenwirkungen

Antibiotikum mit „Klick-Trick“ wird erst beim Erreger aktiv

Click-to-Release-Technik umgeht die stark nierenschädigende Wirkung von Colistin

Colistin ist ein Reserve-Antibiotikum, das in der Regel nur bei schweren Infektionen mit resistenten Bakterien eingesetzt wird. Grund dafür sind seine stark nierenschädigenden Nebenwirkungen, die bei rund 30% der Behandelten auftreten. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) konnte nun eine inaktivierte, unschädliche Form des Colistins herstellen, die im Körper erst mithilfe chemischer Schalter aktiviert wird. Bei dieser sogenannten Click-to-Release-Technik sind die chemischen Schalter spezifisch an die krankheitsverursachenden Bakterien gebunden. Das verabreichte maskierte Colistin wird daher gezielt am Ort des Geschehens aktiviert. So könnten Nebenwirkungen geringer ausfallen, hoffen die Forscher. Die Studie ist im Fachjournal Angewandte Chemie erschienen.

„Aufgrund zunehmender Resistenzen kommt es immer häufiger vor, dass gängige und gut verträgliche Antibiotika nicht mehr gegen gefährliche bakterielle Krankheitserreger wirken“, sagt Prof. Mark Brönstrup, Leiter der Abteilung „Chemische Biologie“ am HZI und Wissenschaftler im DZIF-Forschungsbereich „Neue Antibiotika“. „Das Reserve-Antibiotikum Colistin ist hier ein wichtiger Helfer in der Not. Doch seine Verabreichung ist mit Risiken für schwere Nebenwirkungen verbunden: Es wirkt stark nierenschädigend, auch Langzeitfolgen sind nicht ausgeschlossen.“ Das in den 1950er Jahren entwickelte Antibiotikum wurde aufgrund seiner hochgradig nierenschädigenden Wirkung recht schnell und über viele Jahrzehnte nicht mehr beim Menschen eingesetzt. Der Mangel an wirksamen Antibiotika macht seinen Einsatz heute aber notwendig: etwa bei der Behandlung von gefährlichen Krankenhauskeimen wie Carbapenem-resistenten Enterobakterien oder Acinetobacter baumanii. Colistin steht auch auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO). 

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Vorteilhaft wäre, wenn Colistin chemisch so modifiziert werden könnte, dass es nicht mehr so stark nierenschädigend wirkt und dabei gleichzeitig seine hohe antibiotische Wirksamkeit beibehält. „Solchen Forschungsansätzen wurde in verschiedenen Studien nachgegangen, mit wechselhaftem Erfolg“, sagt Brönstrup. „In unserer aktuellen Studie haben wir daher eine andere Herangehensweise gewählt: Wir wollten Colistin in einer maskierten, unschädlichen Form über die Blutbahn durch den Körper schicken und es mit einem Schaltersystem, das auf den Krankheitserregern platziert wird, gezielt aktiv werden lassen.“ Diese sogenannte Click-to-Release-Technik basiert auf einem chemischen Wirkprinzip, dass eine aus zwei Komponenten zusammengesetzte Wirksubstanz unter Einwirkung eines chemischen Schalters in diese zwei Komponenten zerfällt, und die gewünschte Wirksubstanz auf diese Weise aktiviert wird. Im Bereich der Krebsforschung wird diese Technik seit etwa zehn Jahren verfolgt.

[Durch die Click-to-Release-Aktivierung] ist es möglich, Colistin nur dort hochkonzentriert einzusetzen, wo es benötigt wird – nämlich direkt am Erreger selbst. Nebenwirkungen können so vermieden oder reduziert werden

Mark Brönstrup

Um die Click-to-Release-Technik für ihren Forschungsansatz nutzen zu können, benötigten die Forscher zunächst eine für Colistin passende zweite Komponente, die an Colistin bindet, es dadurch unschädlich macht und die sich mithilfe eines Schalters wieder vom Wirkstoff trennen lässt. Hierfür kamen verschiedene chemische Varianten einer Substanz namens trans-Cycloocten (TCO) infrage, das mithilfe des chemischen Schalters Tetrazin wieder von Colistin gelöst werden kann. Die Forscher führten Zellkulturversuche mit Nierenzellen durch, um die Toxizität des mit verschiedenen TCO-Varianten modifizierten Colistins zu testen. „Es war leider so, dass mit TCO maskiertes Colistin eine deutlich höhere Toxizität aufwies als reines Colistin, was zunächst eine herbe Enttäuschung für uns war“, sagt Dr. Jiraborrirak Charoenpattarapreeda, HZI-Forscher in der Abteilung „Chemische Biologie“ und Erstautor der Studie. „Dieses Problem konnten wir aber lösen, indem wir TCO weiter modifizierten: mit Aspartat. Dadurch wurde die Ladung des veränderten Colistins ins Negative verschoben, was eine Bindung an Nierenzellen mit einhergehenden toxischen Wirkungen weitestgehend verhindert.“ 

Im Mausmodell haben die Wissenschaftler ihr Click-to-Release-Konzept geprüft. Es lagen zwei Infektionsherde mit dem Bakterium Escherichia coli vor: einer im Oberschenkel und einer in der Lunge. Das maskierte Colistin wurde über die Blutbahn verabreicht, die chemischen Schalter inhalativ über ein Nasenspray. So sollte sichergestellt werden, dass sich das maskierte Colistin überall gleichmäßig im Körper verteilt, sich die Schalter aber nur an die Bakterien in der Lunge anlagern können. „Mit diesem Versuchsansatz wollten wir prüfen, ob das maskierte Colistin im Körper tatsächlich nur dort aktiv wird, wo es auf die Schalterkomponente trifft“, erklärt Charoenpattarapreeda. Und genauso war es: Die Bakterien in der Lunge wurden abgetötet, die Entzündung ging zurück. Doch am Oberschenkelinfekt tat sich nichts, die Bakterien blieben unbeeindruckt vom maskierten Colistin, es zeigte dort keine Wirkung. 

„In der vorliegenden Studie haben wir das erste systemisch wirkende Zweikomponenten-Antibiotikasystem entwickelt, das am Erreger durch Click-to-Release-Chemie aktiviert wird“, sagt Brönstrup. „Damit ist es möglich, Colistin nur dort hochkonzentriert einzusetzen, wo es benötigt wird – nämlich direkt am Erreger selbst. Nebenwirkungen können so vermieden oder reduziert werden.“ Die Forscher hoffen, dass dieser Ansatz in Zukunft dabei helfen kann, die Nebenwirkungen von Antibiotika und weiteren medizinischen Wirkstoffen zu minimieren und diese für Patienten besser verträglich zu machen. „Bis dahin muss aber noch viel geforscht werden, das ist schon noch Zukunftsmusik“, sagt Brönstrup. „Doch der Aufwand könnte sich lohnen.“ 


Quelle: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung; Text: Nicole Silbermann

24.10.2024

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