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Artikel • Mobile Datenübertragung
5G macht die Tele-Chirurgie fit für die Zukunft
Wenn auf dem Smartphone das 4G-Symbol neben dem Empfangsbalken leuchtet, kann man sich über schnelle Datenübertragung freuen. Die Nachfolger-Technologie 5G steht bereits in den Startlöchern und könnte ein neues Zeitalter der Telechirurgie einläuten, ist PD Dr. Michael Kranzfelder überzeugt. Doch bevor es soweit ist, müssen noch einige Hürden überwunden werden.
Bericht: Wolfgang Behrends
Im Vergleich zu 4G mit einer möglichen Datenrate von 100 Mbit/s rüstet 5G auf die hundertfache Geschwindigkeit, also 10 Gbit/s auf, erläuterte der Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Chirurgie am Klinikum rechts der Isar, TU München auf dem diesjährigen Chirurgenkongress der DGCH in Berlin. „Dadurch werden viele neue Einsatzbereiche geschaffen, für die der bisherige mobile Datenübertragungs-Standard einfach nicht schnell genug war.“ Bei der Entwicklung von Virtual und Augmented Reality spielt das ebenso eine Rolle wie beim autonomen Fahren, dem Einsatz von professionellen Drohnen und Robotern sowie in der Telechirurgie.
Schon 4G reicht unter Idealbedingungen für die Echtzeitübertragung von hochauflösenden Videoaufnahmen (z.B. HDTV) aus, in der Praxis ist die Datenrate jedoch meist niedriger oder wird durch Verzögerungen (die so genannte Latenzzeit) eingeschränkt. Gerade letzteres Phänomen ist bislang ein großes Problem beim Einsatz mobiler Datenverbindungen in der Chirurgie, denn jede Verzögerung stellt ein Risiko für den Patienten dar. Der 5G-Standard, der voraussichtlich 2019/20 eingeführt werden soll, verspricht eine Reduktion der Latenz um den Faktor 10 auf ca. eine Millisekunde – damit rückt der Einsatz im OP in greifbare Nähe.
Mobile Datenübertragung ermöglicht Tele-Chirurgie auch in abgelegenen Gebieten
Über 5G könnte eine intelligente Echtzeiterfassung von Personen und Gegenständen realisiert werden
Michael Kranzfelder
„Die Geschwindigkeit und Latenz von 5G werden erstmals den Anforderungen der Telepräsenz bis hin zu echter Telechirurgie gerecht“, erläutert Kranzfelder. Im Gegensatz zur passiven Telekonsultation kann der Chirurg dann aktiv in die Behandlung eingreifen. „Ein Beispiel dafür ist die Fernsteuerung eines Kameraführungsarmes, welcher das Laparoskop bei einem minimal-invasiven Eingriff bewegt.“ Auch hier muss eine Echtzeit-Übertragung nicht nur der Fernsteuerung, sondern auch des Videosignals erfolgen, damit der Chirurg die Auswirkungen seiner Aktionen ohne Verzögerung sieht und sofort reagieren kann. Das Modell wäre unter anderem geeignet, die chirurgische Versorgung in abgelegenen Gegenden enorm zu verbessern, da auch Spezialisten aus der Ferne an fast jedem Ort der Welt hinzugezogen werden könnten.
Der schnelle Mobildaten-Standard eröffnet zudem neue Möglichkeiten bei der Prozessoptimierung im OP: „Über 5G könnte eine intelligente Echtzeiterfassung von Personen und Gegenständen – das sogenannte Track & Trace – realisiert werden“, sagt Kranzfelder. Die Auswertung solcher Daten kann zur Verbesserung des operativen Workflow führen, sodass beispielsweise unnötige Wege und Handgriffe im OP vermieden werden. Auch in der Ausbildung sieht der Chirurg Potenzial: So könnte die Echtzeit-Einblendung von hilfreichen Markierungen bei einem Eingriff das Augenmerk des Operateurs auf wichtige Strukturen lenken.
Die Weichen werden jetzt gestellt
Um die Möglichkeiten und Grenzen der neuen Technik zu testen, haben die Forscher an der TU München einen Test-OP mit Prototypen von 5G-fähigen Access Points und Endgeräten ausgestattet. Mit diesem Aufbau wird überprüft, ob Steuerbefehle an Roboter schnell und zuverlässig übertragen und verarbeitet werden oder endoskopische Bilddaten verzögerungsfrei zu sehen sind.
Die bisherigen Ergebnisse stimmen Kranzfelder zuversichtlich: „5G ist eine richtungsweisende Technik, sie wird in der Chirurgie eine wichtige Rolle spielen. Ob dadurch der kabellose OP Realität wird, bleibt aber abzuwarten.“ Unklar ist auch, ob die Störanfälligkeit bei massenhaftem Einsatz ansteigt. Deshalb gilt es jetzt, aktiv den Standardisierungsprozess mitzugestalten, damit der Datenstandard auch bei seiner Markteinführung die Anforderungen für die Chirurgie erfüllt. „Das ist ein enorm kritisches Anwendungsgebiet und wird mit ähnlich kritischen Augen betrachtet werden wie aktuell das autonome Fahren“, betont der Experte.
Profil:
PD Dr. Michael Kranzfelder ist Facharzt für Allgemeine Chirurgie an der Rechts der Isar Hospital, Technischen Universität (TU) München. Dort gehört er der Forschungsgruppe Minimal-invasive therapeutische Interventionen (MITI) an. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Einsatz intelligenter, kooperativer OP- Systeme, sensorbasierter Echtzeit Workflow Analyse und Prädiktion, Radiofrequenz Identifikation (RFID) sowie navigierter Diagnostik (Ultraschall/Endoskopie).
11.11.2018