Artikel • Mensch gegen Maschine?
Der Mensch als Dirigent des KI-Orchesters
Um die Zukunft der Radiologie ist Peter Leander nicht bang. Deshalb stellte der Professor für radiologische Diagnostik an der schwedischen Universität Lund auf dem ECR 2018 die Frage etwas anders: Die Radiologie bleibt bestehen – aber wird es künftig noch Radiologen geben? Ganz im Geiste der Gastgeberstadt Wien spielte die klassische Musik eine zentrale Rolle bei der Antwort auf diese Frage.
Bericht: Wolfgang Behrends
Die Zukunft ihres Fachgebiets bereitet vielen Radiologen Sorgen: Zwar wächst die Nachfrage an CT- und MRT-Scans in westlichen Ländern jährlich um rund 10 Prozent an, doch leider nicht die Zahl an radiologischen Fachkräften; „Die Zahl der Radiologen im Vereinigten Königreich wächst pro Jahr um gerade einmal drei Prozent“, nennt Leander ein Beispiel von vielen. Ähnliches berichtet der Experte aus seiner schwedischen Heimat. Nicht nur die Zahl der Untersuchungen steigt rapide an, auch die zugehörigen Anforderungen werden zunehmend komplexer: Moderne Verfahren benötigen mittlerweile hochspezifische Auswertungen mit detaillierten Parametern – eine Aufgabe, mit der die Radiologen zunehmend überfordert sind. Auch die immer stärker eingesetzte Telemedizin kann diesen Trend nur bedingt auffangen.
Künstliche Intelligenz (KI) könnte die Lösung des Problems sein, gleichzeitig sehen viele Radiologen in ihr jedoch auch eine der größten Bedrohungen für ihren Berufsstand. „In einigen Bereichen leistet KI bereits Erstaunliches, etwa bei der Detektion von Hirnblutungen oder Lungenknoten in CT-Aufnahmen.“ Damit treten Maschinen erstmals in eine Domäne ein, die zuvor als fest in der Hand des Menschen galt. Doch bei anderen Aufgaben sind den Algorithmen zum Teil enge Grenzen gesetzt. So haben KI-Analysetools überraschend große Probleme, Chihuahuas von Blaubeermuffins zu unterscheiden oder Pulis und Wischmopps zuverlässig auseinanderzuhalten. Was auf dem Kongress für einige Lacher sorgte, erhält im radiologischen Kontext schnell einen ernsten Hintergrund – was, wenn die KI Lunge und Leber verwechselt?
Auftritt: Johannes Brahms
Der Mensch sollte der KI die Aufgaben zuteilen, in der sie am fähigsten ist und die übrigen Schritte selbst in die Hand nehmen
Peter Leander
Kaum jemand wird Johannes Brahms als Vordenker der Künstlichen Intelligenz bezeichnen – schenkt man den Ausführungen Leanders aber Glauben, könnte der berühmte deutsche Komponist einen Ansatz liefern, wie Mensch und Maschine künftig in der Radiologie zusammenarbeiten könnten. Denn Brahms war nicht nur ein begnadeter Komponist und Dirigent, sondern spielte auch selbst das Piano. Daher wusste er bei seinen Einsätzen am Dirigentenpult genau, wo die jeweiligen Stärken und Schwächen seiner Musiker lagen. Und genau hier zog Leander die Parallele zu den modernen Radiologen: „Anstatt dem Algorithmus die komplette Diagnostik zu übertragen, sollte der Mensch selbst als Koordinator auftreten. Er sollte der KI die Aufgaben zuteilen, in der sie am fähigsten ist und die übrigen Schritte selbst in die Hand nehmen.“ Für den Dirigenten des radiologischen Orchesters wäre die KI damit ein weiteres Instrument, das er für spezifische Aufgaben einsetzen kann, um die eigenen Stärken – etwa die kontextuelle Einordnung von Daten – an anderer Stelle ausspielen zu können.
Den Radiologen riet Leander daher: „Lehnen Sie die KI nicht ab – nehmen Sie die Hilfe an, die Algorithmen bei Ihrer Arbeit leisten können.“ Ein gut aufeinander abgestimmtes Team aus Mensch und Maschine kann zu genaueren Ergebnissen und einer besseren Diagnostik beitragen.
Metadaten könnten einen neuen Beruf schaffen
Für ein effektives Zusammenspiel ist es allerdings entscheidend, die Algorithmen gut auf ihren Part vorzubereiten: „Medizinisches Bildmaterial ist aktuell noch sehr heterogen, es gibt kaum einheitliche Standards“, erklärt der Experte. Das schlägt sich auch in den Ergebnissen nieder, die eine KI-Analyse dieser Bilder liefert. Der Schlüssel zum Erfolg sind die sogenannten Metadaten, die zusätzliche Information über den Kontext einer Aufnahme liefern: wo wurde das Bild aufgenommen, welches Gerät und welche Strahlungsdosis kam zum Einsatz, wie groß und schwer ist der Patient, welche weiteren Befunde müssen bei der Auswertung berücksichtigt werden? Eine Möglichkeit besteht für Leander darin, einen ganz neuen Berufsstand ins Leben zu rufen – ein solcher „Visualisierungs-Assistent“ könnte die nötigen Hintergrundinformation zu den vorliegenden Bilddaten beisteuern, um sie für die KI lesbar zu machen.
Vom Orchesterleiter Brahms schlug Leander zum Abschluss seines ECR-Vortrags den Bogen zu einem moderneren Musiker: Donald Fagen prophezeite in seinem Song „I.G.Y.“ von 1962 ‚a just machine to make big decisions‘. Vor einer solchen Entscheidungsmaschine sollten die Radiologen jedoch keine Angst haben, sondern die KI-Analyse auf sinnvolle Weise in die eigene Befundung einbeziehen.
Session: Peter Leander: The landscape in radiology is changing: the radiologists need to adapt, ECR 2018
04.03.2018