Zwickmühle Nachtdienste
Teleradiologische Nachtdienstbefunde haben eine hohe Qualität, bergen aber auch die Gefahr von Nachteilen für die Ausbildung der Radiologen.
Eine steigende Anzahl von Untersuchungsanforderungen, die Sicherstellung der Versorgung in dünn besiedelten Regionen und Änderungen der Arbeitszeitgesetze – zum Beispiel die Umsetzung der EU-Arbeitszeitdirektive – erhöhen den Druck auf die Radiologen, Lösungen für die Befundung in den Randzeiten zu finden.
Noch größer als in Deutschland ist dieses Problem in Großbritannien, wo der Mangel an Radiologen wesentlich ausgeprägter ist und die Umsetzung der EU-Arbeitszeitdirektive einen höheren Einfluss auf die Ausbildungsstrukturen in der Radiologie hat. Einige Krankenhäuser im englischsprachigen Raum haben sich deshalb entschlossen, ihre Befundung während der Nacht durch einen teleradiologischen Provider vornehmen zu lassen. So auch das University College Hospital in London, in dem Dr. Joachim Hohmann im Jahr 2010 als Leiter des Akutteams Radiologie gearbeitet hat.
Der Radiologe wollte mehr über die Qualität der teleradiologischen Befunde wissen. Deshalb betrachteten er und sein Team die Bilder am darauffolgenden Morgen selbst; sie nahmen eine eigenständige Befundung vor und verglichen diese dann mit den Ergebnissen der Nacht. „Bei der Überprüfung der CT-Bilder von 1.028 Patienten gab es nur geringe Abweichungen bei den Diagnosen, entsprechend auch keine Behandlungsfehler, höchstens Therapieverzögerungen. Ein erfreuliches Resultat also. Für den Vergleich der Befunde zog Hohmann eine Disagreement-Skala heran, die von Kategorie 5 für keine Abweichungen bis zu Kategorie 1 für eine signifikante Abweichung mit lebensbedrohlichen Folgen für den Patienten reicht. Mit Kategorie 1 wurde kein Befund bewertet und bei 79 Prozent der Patienten teilten Hohmann und sein Team die Einschätzung der teleradiologischen Kollegen (Kategorie 5). Eine Divergenz im Hinblick auf Stil oder Darstellung des Befunds (Kategorie 2) lag bei 16 Prozent der Patienten vor, in Kategorie 3 differierten die Meinungen bei 4 Prozent der untersuchten Patienten und in Kategorie 2 noch bei 1,3 Prozent, also bei genau 13 Patienten. Da diese Patienten über sechs Monate nachverfolgt wurden, konnte eine Aussage darüber getroffen werden, welcher Befund richtig war. „Bei acht von 13 Patienten hatten mein Team und ich mit unserem Befund Recht, bei zwei Patienten die teleradiologischen Dienstleister und bei drei Patienten war das Ergebnis nicht eindeutig. Die Fehlerquote für den teleradiologischen Provider lag hier bei 0,8 Prozent und ist damit nicht höher als bei normalen Befunden“, schildert der Radiologe.
Mit diesen Ergebnissen liegt die Qualitätskontrolle noch unter dem Wert vergleichbarer Studien von über 1,6 Prozent. Hohmann hatte bei dem teleradiologischen Provider allerdings auch einen hohen Qualitätsanspruch, da die Befundung von 19 bis 21 Uhr ausschließlich von radiologischen Fachärzten in Großbritannien und zwischen 21 und 8 Uhr durch fachärztliche Kollegen aus Australien im Tagdienst erfolgte. „Die Teleradiologie ist in Großbritannien und den übrigen englischsprachigen Ländern sehr viel systematischer und verbreiteter, da die gesetzlichen Regularien weniger restriktiv sind als beispielsweise im deutschsprachigen Raum und Sprachbarrieren geringer beziehungsweise nicht vorhanden sind“, so Hohmann.
Dennoch gibt es auch negative Auswirkungen der Teleradiologie. In London hat man sich für die Teleradiologie entschieden, um die Nachtdienste für Assistenzärzte abschaffen zu können. Denn nach Umsetzung der EU-Arbeitszeitdirektive können die angehenden Ärzte ihre Ausbildung nicht mehr im vorgegebenen Zeitrahmen absolvieren, da die Nacht- und Wochenenddienste jetzt ausgedehnter kompensiert werden müssen. „Kurzfristig ist die Teleradiologie durch professionelle Anbieter eine gute Lösung, langfristig verschlechtert sich dadurch möglicher- weise auch das Ausbildungsniveau in der Radiologie. Als angehender Arzt ist es wichtig, eigene Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, wie es im Nachtdienst verlangt wird“, so Hohmann. Weitere Probleme sieht er in einem Preiskampf beziehungsweise auch in der Arbeitsplatzsicherheit für Radiologen im Krankenhaus. Zudem befürchtet er, dass die Kommodifizierung der Radiologie zunimmt. „Ich bin jedoch auch davon überzeugt, dass sich ein Mittelweg finden wird, denn bei 10 bis 15 Prozent steigenden Anforderungen, aber nur etwa 2 Prozent mehr Radiologen pro Jahr kommt man nicht umhin, teleradiologische Befundungen durchzuführen“, so Dr. Hohmann abschließend.
IM PROFIL
Nach Studium und Promotion in Medizin und Physik an der Freien Universität Berlin absolvierte Dr. Joachim Hohmann an der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin der Humboldt- Universität, Campus Benjamin Franklin, seine Facharztausbildung zum Radiologen. 2006 wechselte er als Oberarzt an das Universitätsspital Basel. Hier wurde er nach einem einjährigen Gastaufenthalt am University College Hospital in London 2011 stellvertretender Leiter der abdominellen und onkologischen Bildgebung.
Veranstaltungshinweis
Raum Hounsfield
Do, 30.05., 11:45 – 11:55 Uhr
Qualitätskontrolle der teleradiologischen CT Nachtdienstbefundung an einem Londoner Universitätsklinikum
Hohmann J/Basel
Session: IT/Software
30.05.2013