© Johannes Pauly / Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
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Wie das Coronavirus sein Erbgut vermehrt
Wenn sich ein Mensch mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert, vermehrt sich der Erreger in dessen Zellen rasend schnell. Dazu muss das Virus sein Erbgut, das aus einem langen RNA-Strang besteht, vervielfältigen. Diese Aufgabe übernimmt die virale „Kopiermaschine“, Polymerase genannt.
Wissenschaftler um Patrick Cramer vom Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie haben nun sichtbar gemacht, wie das Coronavirus seine RNA verdoppelt und welche 3D-Struktur die Polymerase während des Kopierens einnimmt. Damit lässt sich erforschen, wie antivirale Substanzen wirken, die die Polymerase blockieren. Darunter ist auch der Hoffnungsträger Remdesivir. Außerdem können neue Wirkstoffkandidaten gesucht werden.
„Im Angesicht der derzeitigen Pandemie wollten wir helfen“, sagt Max-Planck-Direktor Cramer. „Wir verfügen über umfassende Erfahrung, Polymerasen zu untersuchen.“ So lag das Forschungsthema für die Wissenschaftler auf der Hand. „Das Überraschendste für uns war, dass der Aufbau der Coronavirus-Kopiermaschine aus der Reihe fällt, denn sie unterscheidet sich von anderen Polymerase-Strukturen“, erklärt Hauke Hillen. Die Corona-Polymerase bindet zwar so an die RNA, wie es auch von anderen Virusarten bekannt ist. Doch diese Polymerase besitzt ein weiteres Element, mit der sie sich an der RNA festklammert, bis sie das Erbgut kopiert hat. Das ist gerade für das Coronavirus wichtig, denn sein Erbgut besteht aus rund 30.000 Bausteinen und ist damit besonders lang, das Kopieren eine echte Mammutaufgabe.
Zu wissen, welche dreidimensionale Struktur die Polymerase des Coronavirus hat, während sie die RNA kopiert, eröffnet neue Möglichkeiten, den Erreger besser zu verstehen und zu bekämpfen. Im nächsten Schritt will das Forscherteam um Cramer im Detail untersuchen, wie antivirale Substanzen die Vermehrung von Coronaviren blockieren. „Auf Remdesivir, das die Corona-Polymerase direkt blockiert, ruhen viele Hoffnungen. Durch die Polymerase-Struktur könnte es möglich werden, bereits vorhandene Substanzen wie Remdesivir zu optimieren und ihre Wirkung zu verbessern. Doch wir wollen auch nach neuen Substanzen fahnden, die die Virus-Polymerase stoppen können“, so Cramer.
Ihre Ergebnisse haben die Göttinger Forscher in einem Manuskript bereits im Internet veröffentlicht. „Wir wollten unsere Erkenntnisse sofort mit der internationalen Forschungsgemeinschaft teilen, denn es muss jetzt, wo wir uns mitten in der Pandemie befinden, besonders schnell gehen,“ berichtet Lucas Farnung, der in Kürze auf eine Professur an die US-amerikanische Harvard University wechseln wird.
Wir haben auch die sogenannten Helferfaktoren im Visier, die die Virus-RNA so verändern, dass sie durch das menschliche Immunsystem nicht abgebaut werden kann
Patrick Cramer
Im Anschluss untersuchte das Team die Proben im Elektronenmikroskop bei über 100.000-facher Vergrößerung – und zunächst machte sich Enttäuschung breit: „Obwohl wir zehn Tage und Nächte rund um die Uhr Bilder aufgenommen hatten, konnten wir keine detaillierten Einblicke in die Struktur gewinnen“, erinnert sich Christian Dienemann, Experte für Elektronenmikroskopie. „Allerdings sah eine Probe anders aus, irgendwie seltsam. Unser erster Gedanke war, sie zu verwerfen. Glücklicherweise haben wir das nicht getan: Ausgerechnet diese Probe hat uns die hochwertigen Daten geliefert, die wir unbedingt brauchten,“ erklärt Dimitry Tegunov, Datenverarbeitungsexperte der Gruppe, der auch die Software programmiert hat, um schnell große Mengen von Bilddaten zu verarbeiten.
Die dreidimensionale Struktur der kopierenden Corona-Polymerase soll nicht der letzte Beitrag der Göttinger Forscher zur Bewältigung der Pandemie sein: „Wir haben auch die sogenannten Helferfaktoren im Visier, die die Virus-RNA so verändern, dass sie durch das menschliche Immunsystem nicht abgebaut werden kann“, so Cramer. „Und natürlich hoffen wir als Strukturbiologen, weitere Angriffspunkte im Virus zu finden, die mittelfristig neue Therapiestrategien eröffnen.“
Quelle: Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
29.04.2020