Vertrauen minimiert Risiken

Mit den Hintergründen, Anforderungen und Voraussetzungen für ein erfolgreiches klinisches Risikomanagement beschäftigte sich die Session 8 am zweiten Kongresstag der conhIT. Wie schafft man den Sprung vom Verschweigen hin zum Vertrauen, von Vorwürfen hin zu Verbesserungsstrategien? Dipl. Inform. Med. Timo Baumann, Abteilungsleiter Service-Center IT und Organisation, Kliniken des Landkreises Göppingen gGmbH, Vorstand des Bundesverbandes der Krankenhaus-IT-Leiterinnen / Leiter e.V. und Dr. med. Matthias Schäg , Leiter Medizincontrolling, Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R. führten durch eine ebenso spannende wie praxisbezogene Veranstaltung.

Dr. Maria Ines Cartes, Risikomanagerin an der Medizinischen Hochschule Hannover
Dr. Maria Ines Cartes, Risikomanagerin an der Medizinischen Hochschule Hannover

Eine gelungene Einführung in die Problematik gab die erste Referentin Dr. Maria Ines Cartes, Risikomanagerin an der Medizinischen Hochschule Hannover: Laut Auswertungen des Robert-Koch-Institutes können mehr als 30 % der jährlich rund 40.000 Meldungen über Behandlungsfehler nachgewiesen werden. Das entspricht etwa 12.000 Patienten, die während ihres Krankenhausaufenthaltes einem Fehlverhalten zum Opfer fallen. Die Gründe für solche Fehler sind vielschichtig. Zum einen spielt der allgemeine Bettenabbau und die damit verkürzte Verweildauer eine Rolle, die zu einer starken Arbeitsverdichtung führt. Auch die zunehmende Komplexität der Medizintechnik birgt Risiken. Und schließlich hat die Unanfechtbarkeit der Medizin in den vergangenen Jahren stark gelitten, immer mehr Patienten wagen den Schritt an die Öffentlichkeit bzw. zum Anwalt, um etwaige Fehlbehandlungen zu melden.
Die Zeiten, Fehler im System totzuschweigen sind vorbei – dieser Meinung war an diesem Vormittag nicht nur Maria Ines Cartes. Denn es steht viel auf dem Spiel: Neben der Patientensicherheit geht es auch um wirtschaftliche Faktoren wie beispielsweise Mitarbeiterversicherungsprämien.
Risikomanagement in Kliniken, so Cartes, zielt auf drei zentrale Bereiche: Patientensicherheit, Ethos und Unternehmenssicherheit. In der MHH bedeutete dies konkret: Erhöhung der Patientensicherheit, Gewährleistung der Haftpflichtversicherung aller Mitarbeiter und die Einhaltung rechtlicher Standards und Sicherheitsstandards. Zur Erfüllung dieser Ziele sieht Cartes neben Erkennungstools wie Befragungen, Schadenslisten oder externen Qualitätssicherungen vor allem einen Switch der Fehlerkultur der Kliniken als essentiell an. „Die Sicherheitskultur muss an oberster Stelle verankert sein. Neben Transparenz geht es vor allem darum, Vertrauen bei den Mitarbeitern zu schaffen. Dazu gehört, die Wahrnehmung der Mitarbeiter für Risiken zu sensibilisieren und diese in die Risikoanalyse, -handhabung und –überwachung einzubeziehen“, so die Expertin.
In Hannover ist dies bereits gelungen und die Schadensfälle konnten spürbar gesenkt werden.

CIRS am UK Essen

Von der Einführung von CIRS am UK Essen berichtete Simone Böttcher, Risikomanagerin im Haus. Mit der freiwilligen Einführung des Critical Incident Reporting Systems zunächst in der Kinderheilkunde stellte das Klinikum eine anonyme Möglichkeit der „Vor-Ort-Berichterstattung“ zur Verfügung, deren Analyse in das Risikomanagement einfließt.

Die flächendeckende Einführung von CIRS stellt eine große Herausforderung dar: Mit 27 Kliniken, 20 Instituten, 1.291 Planbetten und weit über 5.000 Mitarbeitern ist es essentiell, dass eine möglichst flexible, für verschiedenste Bedürfnisse greifende Lösung für die Meldung von Beinahe-Ereignissen gefunden werden kann.
Für die Melderinnen und Melder ist es wichtig, dass ein einfacher, intuitiver Zugriff auf das
Meldewesen möglich ist. Die Meldungen müssen anonym getätigt werden können, da es vielerorts noch ein Tabu ist, Fehler oder Beinahe-Ereignisse offen zu kommunizieren. Dennoch sollten die Melderinnen und Melder über die Möglichkeit verfügen, auch anonym getätigte Meldungen zu verfolgen.
Aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen ist es für die einzelnen Kliniken und Institute
ausschlaggebend, eine hohe Flexibilität bei der Erstellung der Meldebögen zu besitzen. Dies soll der einfachen Erstellung von Reports dienen (automatische Erstellung von Zusammenfassungen und Statistiken). Eine einfache Übersicht über aktuelle Meldungen sowie die Möglichkeit der Durchführung unterschiedlicher Analysen sollten in einem System möglich sein. Außerdem sollten die Meldungsbearbeitung sowie die Darstellung abgeleiteter Maßnahmen transparent und verfolgbar sein.
Für Mitglieder von Vorständen, Aufsichtsräten sowie das zentrale Klinische Risikomanagement sind die systematische Auswertung und Klassifizierung der eingegangenen Meldungen, einfache Überwachung der Maßnahmen, strukturiertes Reporting sowie die Möglichkeit der Datenaufbereitung zum internen und externen Benchmark als Anforderungen zu nennen.
Grundsätzlich gilt, dass Meldungen über möglichst wenig Freitext verfügen sollten, da sonst der Aufwand für ein strukturiertes Reporting zu viel personelle Ressourcen erfordert, die optimaler eingesetzt werden können.

Ist CIRS nun ein Erfolgsmodell? Die Software unterstützt das Risikomanagement zwar, eine Erfolgsgarantie gibt es jedoch nicht. Denn der Schlüssel zum Erfolg liegt auch hier im Vertrauensaufbau der Mitarbeiter – und um das aufzubauen, bedarf es harter und ehrlicher Arbeit.

SAP in Aachen
Im letzten Vortrag gab MR Dipl-Kfm. Jürgen Norbisrath, IT-Koordination der Universitätskliniken NRW, Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie NRW, Einblicke in die Anwendung und den Nutzen eines SAP-gestützten Risikomanagements. Die Konstellation des Hauses, die neben dem Vorstand auch Gesellschafter umfasst, bedingt eine Prüfung nach Aktiengesellschafts-Richtlinien (dies betrifft alle Universitätskliniken). Entsprechend professionell war der Angang und die Umsetzung: Beraten ließen sich die Aachener vom renommierten Wirtschaftprüfer PricewaterhouseCoopers. Die Lösung lag schließlich in einem alle Unternehmensbereiche umfassendes Risikomanagementsystem: SAP BusinessObjects Risk Management, das nach ungewöhnlich kurzer Implementierungsdauer in Betrieb genommen wurde. Damit hat das Universitätsklinikum Aachen, das weit über Europa hinaus einen exzellenten Ruf genießt, auf dem Gebiet der IT erneut eine Vorreiterrolle übernommen. Das System erlaubt, Risiken so frühzeitig zu identifizieren und zu bewerten, dass Gegenmaßnahmen noch rechtzeitig eingeleitet werden können. Im Ergebnis wurde der Führungsprozess völlig neu fundiert und dadurch die Basis für eine nachhaltige Unternehmenswertsteigerung geschaffen. Auch die Wettbewerbssituation und die Bestandssicherheit für die Zukunft konnten deutlich ausgebaut werden. Der Beitrag zeigt, unter welchen Rahmenbedingungen das Projektkonzept entwickelt und das komplexe Projekt realisiert worden ist. Aber auch offene Fragen werden angesprochen. Er liefert damit eine wichtige Informationsquelle (Bündel von Handlungsanleitungen), wenn bei ähnlicher Problemsituation Aufbau- und Betrieb eines SAP-basierten Risikomanagementsystems voll gelingen sollen.

21.04.2010

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