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News • Effekt der inneren Uhr
Darum sind Schmerzen in der Nacht am schlimmsten
Wie stark unser Schmerzempfinden von der inneren Uhr gesteuert wird, hat nun ein französisches Forscherteam des Inserm im Forschungszentrum für Neurowissenschaften (CNRS) in Lyon herausgefunden.
Ihre jetzt im Fachjournal Brain veröffentlichte Studie zeigt, dass die Empfindlichkeit gegenüber Schmerzen ihren Höhepunkt in der Nacht und einem Rückgang am Nachmittag hat – unabhängig von äußeren Reizen und dem Schlaf-Wach-Zyklus. Diese Entdeckung könnte zu neuen Ansätzen für die Schmerzbehandlung führen.
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Viele Körperfunktionen werden durch unsere innere Uhr reguliert, die auf einen 24-Stunden-Rhythmus abgestimmt ist: das Schlaf-Wach-System, die Körpertemperatur, der Blutdruck, die Hormonproduktion, die Herzfrequenz, aber auch die kognitiven Fähigkeiten, die Stimmung oder das Gedächtnis – und eben auch der Schmerz, wie die Forscher nun zeigten: Nach ihren Erkenntnissen folgt die Schmerzintensität einer Sinuskurve über 24 Stunden mit einer maximalen Intensität zwischen 3 und 4 Uhr morgens und einer minimalen Intensität um 15 und 16 Uhr nachmittags, unabhängig vom Verhalten und allen äußeren Umweltfaktoren.
Um dies nachzuweisen, untersuchten die Forscher zwölf junge Erwachsene im Labor. Sie hielten die Probanden 34 Stunden lang wach, ohne dass externe Signale oder Umweltrhythmen auf sie einwirkten: kein Zeitplan, keine Mahlzeiten zu festen Zeiten, sondern jede Stunde ein Snack, konstante Temperatur und wenig Licht. Die Teilnehmer verblieben weitgehend unverändert in einer halb liegenden Körperhaltung, ohne Wechsel im Aktivitäts- und Ruherhythmus. Ziel war es, festzustellen, ob die Schmerzwahrnehmung unter diesen Bedingungen rhythmisch ist, um daraus schließen zu können, dass sie von der inneren Uhr gesteuert wird.
In dieser Situation setzten die Forscher die Unterarme der Teilnehmer alle zwei Stunden einer Wärmequelle aus. Zum einen sollten die Teilnehmer angeben, wann der Reiz bei steigender Temperatur von ihnen als schmerzhaft empfunden wurde, zum anderen sollten sie die Intensität des Schmerzes auf einer Skala von 1 bis 10 bewerten, wenn eine Temperatur von 42, 44 oder 46 Grad Celsius angewendet wurde. Mit diesen beiden, sich ergänzenden Ansätzen sollte die Übereinstimmung der Ergebnisse überprüft werden.
Die Forscher beobachteten bei allen Probanden eine Rhythmisierung der Schmerzempfindung im Verlauf von 24 Stunden. „Die Ergebnisse sind sehr homogen und stimmen auf einer signifikanten Ebene überein“, erklärt Inserm-Forscher Claude Gronfier. Das Team konnte zudem einen vermuteten, aber bislang unbewiesenen Zusammenhang nachweisen: Die Schmerzempfindlichkeit steigt linear mit dem Schlafmangel an – je ausgeprägter der Schlafmangel, desto höher auch die Intensität des empfundenen Schmerzes. „Es wird oft behauptet, dass Schlaf eine schmerzlindernde Wirkung hat. Aber durch die mathematische Modellierung unserer Ergebnisse zeigen wir, dass die innere Uhr für 80% der Veränderung des Schmerzempfindens innerhalb von 24 Stunden verantwortlich ist, während der Schlaf nur 20% ausmacht“, verdeutlicht er.
Diese zirkadiane Variation des Schmerzempfindens hat laut Gronfier möglicherweise einen physiologischen Nutzen. „Es ist unklar, warum die Empfindlichkeit mitten in der Nacht am höchsten ist. Der evolutionäre Sinn dahinter ist vermutlich, dass man bei einem Schmerzreiz schnell wach wird, um eine lebensbedrohliche Situation zu vermeiden. Tagsüber ist man sich normalerweise der Umgebung bewusst, Verletzungen passieren häufiger; das Warnsignal könnte zu dieser Zeit also als weniger dringend eingestuft werden.“
Die neuen Erkenntnisse fügen sich in das Konzept der personalisierten Medizin, genauer gesagt der zirkadianen Medizin, ein. Diese noch junge Disziplin widmet sich der Bedeutung biologischer Rhythmen bei der Behandlung von Patienten. „Die Ergebnisse legen nahe, dass eine Verbesserung der Synchronisation biologischer Rhythmen und/oder der Schlafqualität bei chronischen Schmerzpatienten zu einer besseren Behandlung beitragen könnte“, sagt Gronfier. Außerdem könnte die Anpassung einer Schmerzbehandlung unter Berücksichtigung des individuellen Biorhythmus deren Wirksamkeit erhöhen – bei gleichzeitiger Verringerung der benötigten Dosis und potenzieller Nebenwirkungen verringern. Nach diesem Muster hat sich bereits die Chronotherapie bei Krebs als wirksamer und weniger toxisch erwiesen, wenn Medikamente zu bestimmten Tageszeiten verabreicht werden. „Diese Hypothese muss jedoch noch durch klinische Studien bestätigt werden, bevor man Patienten diesen chronobiologischen Ansatz anbieten kann“, warnt der Experte abschließend.
Quelle: Inserm
12.09.2022