doctor and female patient discussing treatment options
Dr. Martin Dusch mit Schmerz-Patientin Dagmar Huth

© Karin Kaiser/MHH

News • Moderne Behandlungsmethoden

Schmerz lass nach! Was eine Schmerztherapie leisten kann

Wenn die einfache Schmerztablette nicht mehr hilft und der Schmerz zur Dauerbelastung wird, führt das oft zu Einschränkungen in Alltag und Lebensqualität. Soziale Abgrenzung und depressive Verstimmung können die Folge sein. Das kann den Schmerz noch verstärken.

Für die Zahl der Betroffenen gibt es keine Statistiken. Die Deutsche Schmerzliga schätzt, dass bis zu 15 Millionen Deutsche an länger andauernden oder wiederkehrenden Schmerzen leiden. Vier bis fünf Millionen davon sind stark eingeschränkt. Viele von ihnen wissen gar nicht, dass ihnen geholfen werden kann. Dr. Martin Dusch, Leiter der Schmerzmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), erklärt die modernen Behandlungsmöglichkeiten.

Wann brauche ich eine Schmerztherapie?

Dr. Dusch: "Schmerz ist nicht gleich Schmerz. Bei Akutschmerzen, wobei die Ursache klar ist, sind die Patienten schon mit der Regelbehandlung meistens gut versorgt. Allerdings gibt es auch Akutschmerz-Erkrankte, bei denen die Ursache ihrer Schmerzen - zum Beispiel eine Operation oder eine Grunderkrankung - ein hohes Risiko birgt, dass die Schmerzen chronisch werden. Da sollte schon früh eine gezielte Schmerztherapie eingeleitet werden, um dieser sogenannten Chronifizierung vorzubeugen. Bei chronischen Schmerzen gibt es oft ein hohes Maß an Einschränkungen in der Lebensqualität, körperliche Behinderungen, die Privat- und Berufsleben immer stärker beeinträchtigen. Auch hier sollte deshalb so früh wie möglich eine spezielle Schmerztherapie begonnen werden."

Was heißt "früh" im Fall von chronischen Schmerzen?

Dr. Dusch: "Als chronische Schmerzen werden Schmerzen bezeichnet, die seit etwa sechs Monaten fast immer vorhanden sind oder häufig wiederkehren. Das heißt ab diesem Zeitraum ist eine Therapie geboten."

Warum sollte man gezielt zu einem Schmerztherapeuten gehen und nicht zu anderen Fachärzten?

pincushion with needles

Bildquelle: LeoNeoBoy auf Pixabay

Dr. Dusch: "Bei chronischen Schmerzen ist die sogenannte multimodale Behandlung der Schlüssel zum Erfolg. Der speziell ausgebildete Schmerztherapeut kann diese Art der Behandlung am besten initiieren. Multimodal bedeutet, dass die Behandlung verschiedene Bausteine hat, die kombiniert werden. Die Behandlung besteht aus der Gabe von Medikamenten, aus physikalischen Elementen wie zum Beispiel Massagen, Ergotherapie und anaerobes Ausdauertraining, und aus psychologischen Elementen wie Entspannungstechniken und Verfahren zur Schmerzbewältigung. Die Summe all dieser Elemente hat einen wesentlich größeren Effekt, um den Schmerz nachhaltig zu behandeln, als jedes Element für sich allein. Der Schmerztherapeut hat die Aufgabe, diese Verfahren richtig zu kombinieren."

Viele Patienten haben trotz teilweise zahlreicher Arztbesuche über Jahre hinweg noch gar keine Diagnose. Wie kann es sein, dass Betroffene so lange warten?

Dr. Dusch: "Das kann viele Gründe haben. Zum einen können es seltene Schmerzerkrankungen sein, die schwierig zu diagnostizieren sind. Zum anderen können die Leiden in der allgemeinen medizinischen Versorgung auch schlichtweg durchs Raster fallen, weil das Wissen um die Schmerztherapie nicht weit verbreitet ist. Schmerztherapeut ist keine eigene Facharzt-Richtung, sondern eine spezielle Zusatzausbildung, die Ärzten und Therapeuten machen können. Aber nur eine Minderheit tut das bislang. Daher haben wir eine großen Mangel und zugleich eine große Nachfrage. Andererseits wissen aber viele Betroffene auch gar nicht, dass sie zu einem Schmerztherapeuten oder einer Schmerztherapeutin gehen können.

Die Operation eines Bandscheibenvorfalls wird nicht viel bringen, wenn das nur der Nebenbefund ist und die Schmerzen eine andere Ursache haben

Martin Dusch

Ein grundsätzliches Problem bei der Diagnose ist die Unterscheidung zwischen Strukturschäden und Funktionsstörungen. Der Kreuzschmerz ist ein gutes Beispiel. Viele Menschen mittleren Alters mit diesem Leiden haben Veränderungen im Wirbelsäulen-Bereich. Die Frage ist, sind diese Veränderungen tatsächlich ursächlich für die Schmerzen oder sind sie nur ein Nebenbefund. Sind sie ursächlich, dann ist das ein Strukturschaden, wobei die entsprechende Behandlung dann gut hilft. Das ist so bei einem Bandscheibenvorfall, wenn dieser auf die Nervenwurzel drückt. Die Schmerzursache können aber auch Funktionsstörungen sein. Das sind muskulöse Dysbalancen, also Muskelverkürzungen, die entstehen, wenn man etwa durch Schmerzen eine Fehlhaltung einnimmt, die dann zu Muskelabbau führt, der den Schmerz noch verstärkt. Hier muss man bei der Diagnose genau unterscheiden, um die richtige Therapie zu wählen. Die Operation eines Bandscheibenvorfalls wird nicht viel bringen, wenn das nur der Nebenbefund ist und die Schmerzen eine andere Ursache haben."

Welche Ziele für eine Therapie sind realistisch? Was kann sich der Betroffene erhoffen?

Dr. Dusch: "Das hängt natürlich von der Grunderkrankung ab. Es gibt durchaus chronische Schmerzerkrankungen, bei denen der Betroffene auf vollständige Heilung hoffen kann. Bei vielen Fällen hat die zugrunde liegende Störung allerdings bleibenden Charakter. Diabetiker zum Beispiel klagen oft über brennende Füße, weil die Nervenfasern geschädigt sind. Das lässt sich nicht rückgängig machen. Diese Patienten können wir dann nur symptomatisch bestmöglich behandeln, damit die Schmerzen auf ein erträgliches Maß gelindert werden.

Wichtig für den Therapieerfolg ist die Eigenmotivation. Nur wenn der Betroffene aktiv mitmacht, können langfristige Verbesserungen erzielt werden. Beim chronischen Schmerzen nimmt der Anteil der medikamentösen Behandlung stetig ab, und der eigenverantwortliche, rehabilitative Umgang des Erkrankten mit seinen Schmerzen und seiner Grunderkrankung zu. Dementsprechend brauchen die Betroffenen viel Geduld und dürfen keine Effekte über Nacht erwarten."


Quelle: Medizinische Hochschule Hannover

01.08.2021

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