Neues Diagnoseverfahren verkürzt 1100 Jahre auf 100 Sekunden

Den Patienten durchleuchten und dabei gezielt krankheitsrelevante Moleküle und Zellen aufspüren – an dieser Vision arbeitet eine Gruppe von Wissenschaftlern am Leibniz Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP). Nun ist ihnen ein entscheidender Durchbruch gelungen. Durch optimierte Aufnahmetechniken können sie Biomarker innerhalb von 100 Sekunden mit einer Genauigkeit abbilden, für die ein Patient bei bisherigen Techniken 1100 Jahre stillhalten müsste.

Martin Kunth, Jörg Döpfert und Dr. Leif Schröder mit einem Modell des...
Martin Kunth, Jörg Döpfert und Dr. Leif Schröder mit einem Modell des Xenon-Käfigs.
Martin Kunth, Jörg Döpfert und Dr. Leif Schröder mit einem Modell des...
Martin Kunth, Jörg Döpfert und Dr. Leif Schröder mit einem Modell des Xenon-Käfigs.

Mit Hilfe solcher „Xenon-Biosensoren“ könnten Ärzte einmal ganz neue Einblicke in den menschlichen Körper gewinnen.

Der Blick ins Innere des Körpers hat die Medizin revolutioniert – viele Erkrankungen oder innere Verletzungen erkennen Ärzte heute dank moderner bildgebender Diagnostik, indem sie den menschlichen Körper mit Radiowellen oder radioaktiven Isotopen durchleuchten. Doch dieser Blick ist noch immer beschränkt: Im Kernspintomographen (MRT) kann man zwar hervorragend unterschiedliche Gewebearten sichtbar machen, aber wenig Feinheiten wie Zelltypen oder Stoffwechselprodukte in geringer Konzentration erkennen. Das gelingt besser mit der Positronenemissions-Tomographie (PET) mit Hilfe von radioaktiven Isotopen, doch hier ist die räumliche Auflösung geringer und die Diagnose ist mit Strahlenbelastung verbunden.

Die Vorteile beider Methoden könnte einmal ein ganz neues Verfahren vereinen, an deren Grundlagen derzeit am Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) gearbeitet wird. Hier entwickelt der Physiker Leif Schröder mit seiner Arbeitsgruppe ein trickreiches Prozedere, das Ärzten einmal detailliertere Bilder als bislang bieten soll. Wie beim MRT nützt auch Leif Schröder den Kernspin von Atomkernen, die sich in sehr hohen Magnetfeldern entsprechend dem Magnetfeld ausrichten. Je nach chemischer Umgebung treten sie dann mit Radiowellen in Wechselwirkung, ein Computer kann aus den zurückgesandten Signalen ein Bild errechnen. Anders als beim herkömmlichen Verfahren messen die Forscher am FMP aber nicht die Resonanz von Wasserstoff-Atomen, die im menschlichen Körper zwar allgegenwärtig sind, aber nur schwache Signale aussenden. Stattdessen reichern sie die Proben mit „hyperpolarisiertem“ Xenon an, dessen Atomkerne in Summe weit stärkere Signale aussenden.

Die Vision geht dahin, dass Patienten einmal das ungiftige Edelgas einatmen werden, so dass es sich zunächst in der Lunge und über das Blut im Körper verteilt. Zugleich bekäme der Patient maßgeschneiderte Biosensoren injiziert, die sich je nach Fragestellung zum Beispiel an bestimmte Tumorzellen oder auch an Arteriosklerose-Plaques anheften könnten. Die Biosensoren fangen zugleich mittels einer besonderen Käfigstruktur die Xenonatome ein, und die gesuchten Moleküle oder Zellen werden so im Magnetfeld sichtbar.

Die Idee zu dieser Methode entstand bereits an der Universität von Berkeley, wo Schröder vor seiner Zeit am FMP arbeitete. Am Berliner Institut mit seiner großen technischen Ausstattung hat der Physiker eine Gruppe von Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen um sich geschart, mit deren Hilfe ihm nun ein entscheidender Durchbruch gelungen ist. „Wir mussten beweisen, dass die Methode wirklich hochauflösende Bilder liefern kann, die im Prinzip mit den bisherigen medizinischen Diagnoseverfahren konkurrieren könnte“, erklärt Schröder. Dafür musste er zunächst das Verfahren optimieren, mit dem man das benötigte hyperpolarisierte Xenon erzeugt. Das geschieht durch starke Laserstrahlen, durch welche sich die Atomkerne für eine gewisse Zeit magnetisch ausrichten,. „Wir benützen nun eine neue Laseraparatur, die erst seit vier Jahren auf dem Markt ist – normalerweise wird sie eher in der Industrie eingesetzt, man kann mit solchen Lasern zum Beispiel dicke Stahlplatten präzise zerschneiden“, erklärt Schröder. Zugleich ist es seinen beiden Doktoranden Martin Kunth und Jörg Döpfert gelungen, die Verarbeitung der Signale und damit die Auflösung der Bilder entscheidend zu verbessern.

Die Idee der neuartigen Xenon-Biosensoren hat von Beginn an für erhebliches Aufsehen in der Fachwelt gesorgt, doch da die Technik noch in den Kinderschuhen steckt, arbeiten weltweit nur einige wenige Gruppen daran. Erst kürzlich spekulierte eine französische Gruppe im Journal „Angewandte Chemie“ darüber, ob der von Leif Schröder eingeschlagene Weg die nötige räumliche Auflösung in ausreichend geringer Aufnahmezeit möglich machen könnte. „Das war für uns eine Steilvorlage“, sagt Schröder. „Zu dem Zeitpunkt verfügten wir eigentlich schon über die nötigen Nachweise,“ergänzt Kunth. „Während zuvor eine Messung noch über zwanzig Minuten dauerte, sind jetzt nur noch hundert Sekunden nötig. Und wir setzen die Biosensoren jetzt in Konzentrationen ein, wie sie für die Praxis realistisch sind.“ Selbst zeitaufgelöste „Filme“ sind laut Kunth nun machbar. „Bei konventioneller Detektion bräuchte man für eine einzelne Aufnahme 1100 Jahre“, erläutert Döpfert.

Sie reichten ihre Daten ebenfalls bei „Angewandte Chemie“ ein, und das renommierte Journal stufte die Arbeit sogleich als „Hot Topic“ ein. Der besondere Trick der Gruppe um Schröder besteht darin, dass das Signal der Xenon-Atome durch die Biosensoren „gelöscht“ wird. Da sie jeweils nur für wenige Millisekunden in den Molekülkäfig hinein diffundieren, werden während einer Aufnahme Tausende Atome quasi ausgeknipst, wodurch ein dunkler Fleck im Bild entsteht.

„Wir sind nun an dem Punkt angelangt, wo wir beginnen können, lebende Proben zu untersuchen“, sagt Schröder. Außerdem könnte man mit der Methode auch unterschiedliche Biosensoren zugleich einsetzen und sie bei verschiedenen Radiofrequenzen sichtbar machen. Damit könnte zum Beispiel die unterschiedlichen Zellentypen sichtbar machen, aus denen sich ein Tumor zusammensetzt. Der Blick ins Körperinnere – er könnte einmal sehr fein gezeichnet und zudem auch noch bunt werden.
 

16.07.2012

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