Politik
Neue europäische Politikempfehlungen für Zytostatika
Im Europäischen Parlament wurden neue Politikempfehlungen zur Verhütung einer berufsbedingten Exposition gegenüber Zytostatika veröffentlicht; eine wichtige neue Initiative zum Schutz von medizinischem Fachpersonal in der EU.
Zytostatika, in erster Linie zur Behandlung von Krebspatienten eingesetzt, sind als gefährlich eingestuft und können nach Exposition am Arbeitsplatz zu negativen gesundheitlichen Auswirkungen führen. Es wurde berichtet, dass eine ungeschützte Handhabung von Zytostatika Krebs, Organtoxizität, Fruchtbarkeitsstörungen, genetische Schäden und Geburtsfehler verursachen kann. Die häufigsten Expositionsarten sind Berührung mit der Haut oder den Schleimhäuten, Einatmen und Verschlucken.
Da die Inzidenz der Krebserkrankungen weiterhin steigt, steigt auch der Einsatz von Zytostatika. Zytostatika werden inzwischen auch zunehmend in der Hämatologie und Rheumatologie verwendet, so dass sowohl die Anzahl, als auch die Bandbreite des medizinischen Fachpersonals, das Umgang mit Zytostatika hat, wächst – dabei tragen Krankenschwestern, Apotheker und pharmazeutische Assistenten das höchste Risiko einer Exposition.
Obwohl das steigende Risiko in Europa anerkannt wurde – durch Einrichtungen wie die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz – und in vielen Ländern Standards existieren, gibt es keinerlei europaweite Gesetzgebung, Richtlinien oder Mindeststandards zur Handhabung von Zytostatika. Im November 2015 forderte das Europäische Parlament die Kommission auf, Maßnahmen hinsichtlich chemischer Risikofaktoren, einschließlich der Exposition gegenüber gefährlichen Arzneimitteln, zu ergreifen. Im neuen Empfehlungspapier „Prävention berufsbedingter Exposition gegenüber zytotoxischen und andere gefährlichen Arzneimitteln“ wird gefordert, dass Gesetze auf den Weg gebracht werden und die bewährte Praktiken zur Vermeidung einer Exposition enthalten sollte.
Um effektiv eine Exposition gegenüber gefährlichen Arzneimitteln zu verhindern, werden eine kontinuierliche Aus- und Weiterbildung des medizinischen Fachpersonals, sowie die Nutzung einer persönlichen Schutzausrüstung und Gerätschaften zum sicheren Umgang mit Arzneimitteln als wesentlich empfohlen. Die EU-Richtlinie 2004/37/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit legt eindeutig fest: „Ist die Substitution des Karzinogens oder Mutagens durch Stoffe, Gemische oder Verfahren, die bei ihrer Verwendung bzw. Anwendung nicht oder weniger gefährlich für die Sicherheit und Gesundheit sind, technisch nicht möglich, so sorgt der Arbeitgeber dafür, dass die Herstellung und die Verwendung des Karzinogens oder Mutagens, soweit technisch möglich, in einem geschlossenen System stattfinden.“
Zum Beispiel wird in den kürzlich veröffentlichten technischen Richtlinien von SIFO, der italienischen Gesellschaft für Krankenhausapotheken und pharmazeutische Dienstleistungen für das Gesundheitswesen „Protecting healthcare professionals at risk of exposure to antineoplastic drugs“ („Schutz des medizinischen Fachpersonals vor einer Exposition gegenüber Zytostatika“) erklärt, dass „es bei der Herstellung und Verabreichung von Arzneimitteln notwendig ist, als ‚geschlossen‘ definierbare Systeme zu verwenden“ und dass es „in der Verantwortung der Krankenhausapotheke liegt, die technischen und wissenschaftlichen Berichte und die damit verbundene Zertifizierung/Konformität zu kennen, sowie Geräte zu wählen, die die größte Garantie für den Schutz des ‚geschlossenen Systems‘ bieten, zu wählen.“ Doch selbst wenn die meisten europäischen Apotheken heutzutage Zytostatika in Systemen wie biologischen Sicherheitsschränken oder Isolatoren zubereiten, bleibt die Exposition von medizinischem Fachpersonal gegenüber Zytostatika weiterhin ein Problem.
In dem Papier des Europäischen Parlaments werden 11 Hauptempfehlungen zur Schaffung einer bindenden europäischen Gesetzgebung zum Schutz des medizinischen Fachpersonals, das Umgang mit Zytostatika hat, hervorgehoben und die Europäische Kommission aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen.
In dem neuen Papier werden geschlossene Arzneimitteltransfersysteme (Closed System Transfer Devices, CSTDs) als einzige Geräte, die speziell zum Schutz von medizinischem Fachpersonal vor einer Exposition gegenüber gefährlichen Arzneimitteln entwickelt wurden, empfohlen; jedoch wird auch davor gewarnt, dass „einiger Hersteller behaupten, ihre Geräte seien geschlossen, obwohl sie Aerosole, Dämpfe und Tropfen produzieren“. Das National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH), die US-amerikanische Bundesbehörde für arbeitsmedizinische Forschung, definiert ein CSTD als „ein Arzneimitteltransfersystem, dass die Übertragung von Umweltschadstoffen in das System und das Entweichen von gefährlichen Arzneimitteln oder Dampfkonzentrationen aus dem System mechanisch unterbindet.“ Da auch das Einatmen von Zytostatika Schäden verursachen kann, fordern die Autoren des Papiers eine gemeinsame Definition für „geschlossenes Arzneimitteltransfersystem“, in der die erforderlichen technischen Anforderungen detailliert erklärt werden.
Obwohl es derzeit keine europaweiten offiziellen Richtlinien oder Gesetze gibt, hat das spanische Instituto Nacional de Seguridad e Higiene en el Trabajo (Nationales Institut für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz) in der neuen „Nota Técnica de Prevención“ (Technischer Präventionshinweis) NTP 1051 eine klare Definition eines geschlossenen Arzneimitteltransfersystems sowie die technischen Spezifikationen an ein solches Gerät veröffentlicht. In dem im Jahr 2015 veröffentlichten Dokument „Occupational exposure to cytostatic compounds: safe systems for their preparation“ („Zytostatika-Exposition am Arbeitsplatz: sichere Systeme zur Herstellung“) werden die Bedingungen, die geschlossene Arzneimitteltransfersysteme für den Umgang mit Zytostatika erfüllen müssen, dargestellt. Dazu gehören: keine Kontamination der Luft oder des Mitarbeiters, Aseptik, Zuverlässigkeit (einschließlich Sicherheit und ergonomische Aspekte), Gesamtkapazität, Universalität der Anschlüsse und Schutz gegen chemische Verunreinigung. Dies könnte eine solide Basis für europäische Behörden oder einzelne Länder sein.
Dr. Paul J. M. Sessink von Exposure ControlSweden AB, der an den Empfehlungen mitgearbeitet hat, sagt: „Mit dem weiterhin steigenden Einsatz von Zytostatika müssen wir das medizinische Fachpersonal, das Umgang mit Zytostatika hat, vor einer Exposition und Nebenwirkungen schützen. Die Gesundheit und das Wohlbefinden dieses Personals ist unser Hauptanliegen – allerdings trägt der Schutz vor einer Exposition auch zur Nachhaltigkeit des europäischen Gesundheitswesens bei, indem die Motivation gesteigert und Fehlzeiten der Mitarbeiter verringert werden.“
Johan Vandenbroucke, Senior Pharmacist Production am Universitätsklinikum Gent, ein weiterer Beitragender zu den Leitlinien, ergänzt: „Obwohl die Gefahren einer Exposition gegenüber Zytostatika seit vielen Jahren bekannt sind, gibt es in Europa keine offiziellen Richtlinien oder Gesetze. Hoffentlich sind diese Empfehlungen ein erster Schritt in Richtung EU-weiter Mindeststandards.“
Quelle: MindMetre
26.10.2016