Muscheln (hier im Bild: Mytilus californianus) können sich mit ihren Haftfüßen bombenfest an Felsen heften, bleiben dabei aber beweglich. Forscher machen sich diese Eigenschaften jetzt zu Nutze, um Herzerkrankungen zu heilen.

Bildquelle: Unsplash/NOAA

News • Muscheln helfen Muskeln

Muschelkleber kann auch Herzen flicken

Ist der Herzmuskel geschädigt, stellt die Reparatur des stets aktiven Organs eine Herausforderung dar. Empa-Forschende entwickeln daher einen von der Natur inspirierten Gewebekleber, der Defekte im Muskelgewebe wieder perfekt zusammenfügen kann. Sie haben sich dazu die phänomenale Haftfähigkeit von Meeresmuscheln zunutze gemacht.

An Wind- und Wellen-gepeitschten Küsten haftet sie stoisch an Felsen, Booten und Stegen: die Muschel. Mit Superkräften, die Spiderman erblassen lassen, hält sich der Muschelfuß auf dem Untergrund fest, produzieren seine Drüsen doch feine Haltefäden, die im Gegensatz zur Spinnenseide auch unter Wasser standhaft und dennoch hochelastisch bleiben. Bestandteil dieser Muschelseide sind unter anderem zwei Eiweiße, mfp-3 und das besonders schwefelhaltige mfp-6. Als Strukturproteine sind sie für die Biomedizin besonders interessant aufgrund ihrer faszinierenden mechanischen Eigenschaften und der Bioverträglichkeit mit lebendem Gewebe.

Die Wissenschaftler veröffentlichten ihre Erkenntnisse jetzt im Journal ACS Applied Materials & Interfaces.

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Das neuartige Biopolymer mit Muschelproteinen weist eine filigrane und gleichzeitig robuste Mikrostruktur auf. Rasterelektronenmikroskopie, 1000-fache Vergrößerung, nachkoloriert.
Quelle: Empa

Diese Eigenschaften machten sich Empa-Forscher vom "Biomimetic Membranes and Textiles"-Labor in St. Gallen zunutze. Das Team um Claudio Toncelli war auf der Suche nach einem bioverträglichen Gewebekleber, der auch unter den herausfordernden Bedingungen am schlagenden Herzen haftet und dennoch elastisch bleibt. Denn wenn Herzmuskelgewebe, etwa durch einen Infarkt oder eine angeborene Störung, geschädigt ist, müssen die Wunden heilen können, obwohl die Muskulatur permanent weiterarbeitet.

"Eigentlich bietet sich Kollagen als Grundlage eines Wundklebers an, ein Eiweiß, das auch im menschlichen Bindegewebe und in Sehnen vorkommt", sagt Toncelli. Gelatine beispielsweise besteht aus Kollagen in einer vernetzten Struktur, die für einen Gewebekleber sehr attraktiv wäre. "Die Struktur von Gelatine kommt einigen natürlichen Eigenschaften des menschlichen Bindegewebes bereits recht nahe", so der Forscher. Allerdings ist das Hydrokolloid bei Körpertemperatur nicht stabil, sondern verflüssigt sich. Um also ein adhäsives Material zu entwickeln, das Wunden an inneren Organen fest zusammenhalten kann, mussten die Forscher einen Weg finden, der Gelatine zusätzliche Eigenschaften einzuverleiben.

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Den feinen Strukturen komplexer Oberflächen passt sich der Gewebekleber aus Muschelprotein perfekt an, wie dieser Abdruck einer herzförmigen Gussform zeigt (nachkoloriert).
Quelle: Empa

"Der muskulöse Fuß von Muscheln produziert kräftige Haltefäden, mit denen sich die Muschel im Wasser an allen möglichen Oberflächen anhaften kann", erklärt Toncelli. In dieser Muschelseide spielen mehrere darin enthaltene Eiweiße perfekt zusammen. Inspiriert von der Lösung der Natur, mit wogenden Kräften unter Wasser umzugehen, statteten die Forscher Gelatine-Biopolymere mit funktionellen chemischen Einheiten aus, die jenen der Muschelseide-Eiweiße mfp-3 und mfp-6 gleichen. Sobald das Gelatine-Muschelseide-Gel mit Gewebe in Kontakt kommt, vernetzen sich die Strukturproteine miteinander und sorgen für eine stabile Verbindung der Wundflächen.

Wie gut das neuartige Hydrogel tatsächlich klebt, haben die Forscher bereits in Laborexperimenten untersucht, mit denen sich technische Standards zur sogenannten Berstfestigkeit nachweisen lassen. "Der Gewebekleber hält einem Druck, der dem menschlichen Blutdruck entspricht, stand", so Empa-Forscher Kongchang Wei. Ebenso konnten die Wissenschaftler die gute Gewebeverträglichkeit des neuen Klebers in Zellkultur-Experimenten bestätigen. Nun arbeiten sie mit Hochdruck daran, die klinische Anwendung des "Muschelklebers" voranzutreiben.


Quelle: Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa)

19.02.2020

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