MLP Gesundheitsreport

Mehrleistungen reichen Bürgern nicht aus

Nach den Leistungsausweitungen durch die jüngsten Reformen sind 40 Prozent der Bürger zufrieden mit der Gesundheitspolitik

MLP GESUNDHEITSREPORT 2016.
MLP GESUNDHEITSREPORT 2016.

Rund 40 Milliarden Euro zusätzlich lenkt die Politik laut Rheinisch-Westfälischem Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) bis 2020 für Mehrleistungen ins Gesundheitssystem. Das führt dazu, dass mit 40 Prozent erstmals mehr Bürger einen guten Eindruck von der Gesundheitspolitik haben als einen schlechten. Gleichzeitig beurteilen Patienten und Ärzte das heutige Gesundheitswesen insgesamt weiterhin positiv. Allerdings stellen fast zwei Drittel der Ärzte der Politik nach wie vor kein gutes Zeugnis aus. Deutlich mehr Krankenhausärzte als vor zwei Jahren berichten darüber, dass sie aus Budgetgründen schon auf notwendige Behandlungen verzichtet haben; gleichzeitig haben 40 Prozent der Bürger das Gefühl, dass ihnen eine Behandlung oder ein Medikament vorenthalten wurde. Außerdem klagen 56 Prozent über zu lange Wartezeiten beim Arzt. Deshalb bewerten viele Bürger die neu eingerichteten Terminvergabestellen positiv, während niedergelassene Ärzte diese ablehnen. Für die kommenden Jahre rechnen Bürger und Ärzte mit einer deutlichen Verschlechterung der medizinischen Versorgung - vor allem in ländlichen Regionen. Die Qualität von Krankenhäusern schätzen die Bürger regional sehr unterschiedlich ein: Spitzenreiter ist Hamburg mit 51 Prozent guten Bewertungen, Schlusslicht Hessen (29 Prozent). Dies sind einige Kernergebnisse des 9.MLP Gesundheitsreports. Die repräsentative Studie im Auftrag des Finanzdienstleisters MLP hat das Institut für Demoskopie Allensbach erstellt.

Bürger und Ärzte bewerten Gesundheitspolitik sehr unterschiedlich Mit dem heutigen Gesundheitswesen sind 93 Prozent der Ärzte (2014: 90 Prozent) und 82 Prozent der Bevölkerung (2014: 79 Prozent) weiterhin zufrieden. In ihrer Beurteilung der Gesundheitspolitik unterscheiden sich Bürger und Ärzte allerdings deutlich: 40 Prozent der Bevölkerung (2012: 26 Prozent) haben einen guten Eindruck von der Gesundheitspolitik insgesamt, die Ärzte hingegen lehnen sie zu 62 Prozent (2012: 71 Prozent) ab. Entsprechend sind 66 Prozent von ihnen (2012: 73 Prozent) weiterhin der Meinung, dass das Gesundheitssystem umfassend reformiert werden muss - in der Bevölkerung sind es 41 Prozent (2012: 47 Prozent). Zugleich rechnen 88 Prozent der Ärzte damit, dass gesundheitspolitische Themen im kommenden Wahlkampf keine besondere Rolle spielen, weil sie von anderen überlagert werden.

Für die kommenden Jahre gehen insbesondere die Ärzte (62 Prozent; 2014: 64 Prozent) weiterhin von einer Verschlechterung der medizinischen Versorgung aus. Besonders problematisch aus ihrer Sicht werden die medizinische Versorgung im ländlichen Raum (91 Prozent) und die Verordnung aller medizinisch notwendiger Leistungen (84 Prozent). Mit einer Zwei-Klassen-Medizin rechnen sowohl Ärzte (70 Prozent) als auch Bürger (67 Prozent). Die Bevölkerung erwartet vor allem steigende Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (81 Prozent) und befürchtet, dass verstärkt Kosten der medizinischen Versorgung selbst zu tragen sind (72 Prozent). "Die steigende Zustimmung der Bürger zur Gesundheitspolitik darf nicht dazu führen, dass die Parteien die Zukunftssicherung des Gesundheitssystems aus den Augen verlieren. Die strukturellen Probleme des Gesundheitssystems sind nach wie vor nicht gelöst und deshalb verweisen viele Ärzte zurecht darauf, dass es weiterhin großen Reformbedarf gibt", sagt MLP Vorstandsvorsitzender Dr. Uwe Schroeder-Wildberg.

Kostendruck führt zu Einschränkungen

Fast jeder zweite Arzt (44 Prozent) gibt an, dass er zumindest in Einzelfällen aus Kostengründen auf therapeutische Maßnahmen verzichten musste (2014: 37 Prozent). Lediglich 35 Prozent der Ärzte sehen trotz dieser Einschränkungen ihre Therapiefreiheit nicht in Frage gestellt (2014: 22 Prozent). Der Kostendruck im Gesundheitswesen wird auch von der Bevölkerung wahrgenommen: Bereits 40 Prozent (2012: 31 Prozent) hatten schon das Gefühl, dass ihnen aus Kostengründen eine Behandlung oder ein Medikament vorenthalten wurde. Insbesondere gesetzlich Versicherte geben dies an (42 Prozent).

Deutlich gestiegen ist der Anteil der Bürger, die mehrmals beim Arzt eine Behandlung oder ein Medikament selbst bezahlen mussten (32 Prozent; 2012: 21 Prozent). Für eine absolute Mehrheit von 54 Prozent der Bürger kommt es aber nicht in Frage, ihre Gesundheitsdaten z. B.
via Smartphone-App einem Versicherer zur Verfügung zu stellen, um Vergünstigungen zu erhalten. Bei den Unter-30-Jährigen liegt die Ablehnung nur noch bei 30 Prozent.

Vor allem in Brandenburg hat eine Mehrheit der Bevölkerung (43 Prozent) das Gefühl, dass sich der Arzt nicht ausreichend Zeit für sie nehmen konnte. In Rheinland-Pfalz gibt dies nur jeder Vierte an. Besonders in Berlin (60 Prozent) muss die Bevölkerung lange auf einen Arzttermin warten, während dies in Rheinland-Pfalz nur 47 Prozent angeben.

48 Prozent der niedergelassenen Ärzte im ländlichen Raum berichten bereits heute von einem regionalen Ärztemangel und spüren dessen Auswirkungen (37 Prozent) direkt bei der Versorgung der Patienten. Vor allem in Thüringen (51 Prozent) klagt die Bevölkerung über zu wenige Ärzte. 59 Prozent der niedergelassenen Ärzte berichten zudem von Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von qualifiziertem Praxispersonal. Drei Viertel der Ärzte in ländlichen Regionen rechnen mit Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Nachfolger für ihre Praxis.

Reformen: Bürger sehen Terminvergabestellen positiv, niedergelassene Ärzte lehnen diese ab

Unterschiede zwischen den Ansichten von Ärzten und Bürgern zeigen sich bei den jüngst umgesetzten Reformmaßnahmen: So befürworten 58 Prozent der Bevölkerung die neuen zentralen Terminvergabestellen, während 81 Prozent der niedergelassenen Ärzte diese ablehnen. 87 Prozent der Hausärzte und 79 Prozent der Fachärzte geben an, dass sie bereits vor Einführung einen Termin binnen vier Wochen vergeben konnten. Zudem kritisieren mehr als drei Viertel der Krankenhausärzte, dass zusätzliche ambulante Untersuchungstermine das Personal im Krankenhaus überlasten würden. Im Widerspruch zur Auskunft der Ärzte sind Klagen über lange Wartezeiten in der Bevölkerung weiterhin weit verbreitet (56 Prozent, 2012: 52 Prozent), vor allem unter gesetzlich Versicherten (59 Prozent). Vor diesem Hintergrund befürworten 57 Prozent der Bürger eine Ausweitung des Terminserviceangebotes auch auf nicht dringliche Fälle. An eine solche Einrichtung haben sich nach eigener Aussage aber erst 5 Prozent bisher gewandt. 91 Prozent der Bürger betonen, dass ihnen die freie Arztwahl wichtig ist.

Das neu eingeführte Recht auf eine zweite Arztmeinung vor besonders häufigen Operationen befürworten 75 Prozent in der Bevölkerung. 79 Prozent fordern darüber hinaus, dass dies vor jeder Operation möglich sein müsse. Dabei zusätzlich entstehende Kosten für das Gesundheitssystem sind aus Sicht der hier Antwortenden genauso hinzunehmen wie auch bei einer Ausweitung der Terminvergabestelle auf nicht dringliche Fälle (57 Prozent). Die Ärzte stimmen dem neuen Recht auf eine zweite Arztmeinung für bestimmte Operationen zu (92 Prozent). Für 72 Prozent war es ohnehin bereits gelebte Praxis.

Um dem Ärztemangel in ländlichen Regionen zu begegnen, hat die Regierung auch die Gründung eines Strukturfonds für die Förderung der Niederlassung in diesen Gebieten beschlossen - eine Reformmaßnahme, die rund drei Viertel der Ärzte begrüßen. Auch den gesetzlich vorgesehenen Ausbau telemedizinischer Angebote finden die Ärzte mehrheitlich gut (61 Prozent). Es fehlen in ihren Augen aber vielfach noch die Voraussetzungen dafür: Für 81 Prozent der niedergelassenen Ärzte ist die technische Ausstattung in den Praxen und Krankenhäusern noch nicht gegeben, 65 Prozent sehen Nachholbedarf bei der Medizinerausbildung. 65 Prozent der Ärzte befürchten zudem, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis unter zunehmendem Einsatz von Telemedizin leiden würde. Aktuell gehen erst 49 Prozent der Ärzte davon aus, dass zumindest einige ihrer Patienten ein entsprechendes Angebot nutzen würden. In der Tat käme es für lediglich 22 Prozent der Bevölkerung in Frage, mittels Video-Sprechstunde einen Arzt zu konsultieren.
Erwartungsgemäß ist die Ablehnung unter älteren Menschen deutlich größer.

Bürger haben sehr unterschiedliche Eindrücke von Krankenhäusern Gespalten sind die Ärzte hinsichtlich des Krankenhausstrukturgesetzes: Nur eine knappe Mehrheit befürwortet Qualitätsmessungen, die veröffentlicht werden (53 Prozent) und Auswirkungen auf die Honorierung haben (53 Prozent). Vor allem an kleinen Häusern rechnen Ärzte mit unterdurchschnittlichen Einstufungen durch das vorgesehene Qualitätsinstitut und mit einhergehenden Budgetkürzungen (42 Prozent) - an Einrichtungen mit mehr als 500 Betten sind es hingegen nur 18 Prozent.

Qualität im Krankenhaus macht sich für 94 Prozent der Bevölkerung an hohen hygienischen Standards fest. Außerdem müssten die Ärzte auf dem medizinisch neuesten Stand sein (92 Prozent). Für Ärzte, die eine objektive Messung überhaupt für möglich halten, stellen der Behandlungs-/Therapieerfolg (31 Prozent) und die Zufriedenheit der Patienten (26 Prozent) die wichtigsten Qualitätskriterien dar.

Mehr denn je klagen Krankenhausärzte über Personalmangel (68 Prozent; 2014: 63 Prozent). Insbesondere bei der Krankenpflege gibt es große Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu finden (72 Prozent; 2012: 58 Prozent). Die Versorgungsqualität in den Krankenhäusern bewerten die dort tätigen Ärzte aber insgesamt weiterhin sehr positiv (91 Prozent; 2012: 91 Prozent). Große Teile der Bevölkerung sind zufrieden (41 Prozent), wenn auch mit langfristig rückläufigem Trend (1995: 50 Prozent). Zudem sind deutliche Unterschiede im Ländervergleich feststellbar: In Hamburg haben 51 Prozent einen guten Eindruck von den Krankenhäusern, in Hessen hingegen weniger als ein Drittel der Bürger. Bundesweit ist der Anteil der Krankenhausärzte, die laut eigenen Angaben aus Kostengründen bereits auf medizinisch angeratene Behandlungen verzichten mussten, deutlich gestiegen - von 27 Prozent 2014 auf 45 Prozent in diesem Jahr. Zudem geben weiterhin 64 Prozent der Krankenhausärzte an, dass sie Behandlungen aufgrund des Kostendrucks verschieben mussten. Insgesamt sehen 77 Prozent der Ärzte das medizinisch Sinnvolle im Krankenhaus von Budgets, Pauschalen und Regressen dominiert.

Bevölkerung zeigt kein Vertrauen in gesetzliche Pflegeversicherung

85 Prozent der Bürger rechnen mit einer Zunahme pflegebedürftiger Menschen. 60 Prozent der Befragten nennen eine etwaige eigene Pflegebedürftigkeit als wichtigsten Bereich, in dem sie Sicherheit benötigen. Sorgen über die eigene finanzielle Absicherung im Pflegefall machen sich 45 Prozent, während sich 44 Prozent gegenteilig äußern. Dabei bestehen in der Bevölkerung große Zweifel an der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Pflegeversicherung: Für 55 Prozent der Bevölkerung deckt diese nur einen kleinen Teil der Kosten ab. Mehr als jeder Dritte hat daher privat vorgesorgt oder plant dies.


Quelle: MLP Finanzdienstleistungen AG

23.09.2016

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