Interview • Komplexe Räume
Lost in Space(s)
In der Ausgabe zum MR-Symposium in Garmisch 2015 berichteten wir über die „Angst des Radiologen vor den Räumen“, denn nur wer die Räume kennt, findet sich auch im Kopf-Hals-Bereich zurecht. Diese Erkenntnis gilt für den banalen Alltag, ganz sicher aber auch für die radiologische HNO-Diagnostik – ob man nun mit dem MRT oder CT arbeitet.
Prof. Dr. Birgit Ertl-Wagner, die Leiterin des Bereichs Magnetresonanztomographie am Institut für Klinische Radiologie, Klinikum Großhadern, berichtet in dieser Ausgabe über die Besonderheiten der einzelnen Kompartimente: Welche Krankheitsbilder und Verläufe müssen in den spezifischen Räumen berücksichtigt werden?
Was muss bei der Diagnose beachtet werden?
Das klingt kompliziert – hilft aber dabei, die richtigen Diagnosen zu stellen.
Prof. Dr. Birgit Ertl-Wagner
Im Kopf-Hals-Bereich sprechen wir von den sogenannten Kompartimenten oder auch „spaces“, in die der Bereich von der Schädelbasis bis zum Thoraxeingang eingeteilt ist. Das klingt kompliziert – hilft aber dabei, die richtigen Diagnosen zu stellen. Die häufigste Diagnose in den verschiedenen Kompartimenten des Kopf-Hals-Bereichs sind Tumoren. Dabei handelt es sich sehr oft um Plattenepithelkarzinome. Als zweithäufigste Krankheitsentität treten Entzündungen auf. Schwere Entzündungen können zu Einschmelzungen und Abszessen führen. Die Kenntnis der Kompartimente ist deshalb so wichtig, weil wir damit etwas über die Ausbreitungswege sagen können. So führt ein Weg über den sogenannten „Danger Space“ ins Mediastinum hinein, auf dem dann eine Mandelvereiterung über einen Retropharyngealabszess sehr schnell – quasi wie auf einer Autobahn – vordringen kann. In das Mediastinum ausgebreitete Entzündungen oder Tumoren lassen sich in der Regel deutlich schwieriger behandeln.
Welches sind die häufigsten Krankheitsbilder?
Der Kopf-Hals-Bereich - soweit er die HNO betrifft - wird in supra- und infrahyoidala Anteile, also in solche ober- und unterhalb des Zungenbeins, gegliedert. Ein zentraler Bereich im suprahyoidalen Teil ist der Parapharyngealraum. Dabei handelt es sich um ein eher unscheinbares Fettpolster, das aber an Bedeutung gewinnt, weil sich die einzelnen Kompartimente um dieses herum gruppieren. Der Parotisraum liegt beispielweise lateral vom Parapharyngealraum. Einen Tumor, eine Entzündung oder andere Veränderungen an der Parotis können wir dadurch erkennen, dass diese den Parapharyngealraum medial vor sich herschieben. So können wir uns als Radiologen orientieren, um eine korrekte Zuordnung und Diagnose zu stellen.
Die Zusammenarbeit mit dem zuweisenden HNO-Arzt ist wichtig, da er diese Eisberg-Tumore im Normalfall als erster zu sehen bekommt.
Prof. Dr. Birgit Ertl-Wagner
Die häufigste Raumforderung in der Parotis ist das pleomorphe Adenom; zudem können Warthin-Tumore auftreten, aber auch Lymphknotenmetasen oder adenoid-zystische Karzinome. Auch entzündliche Veränderungen müssen im Auge behalten werden: In den Ausführungsgängen der Speicheldrüsen bleiben gerne mal Speichelsteine hängen, die Abflussbehinderungen oder einen Rückstau hervorrufen und zu Abszessbildungen führen können.
Bei den meisten Abszessen oder Parotitiden ist die ganze Speicheldrüse betroffen. Abszesse zeigen eine charakteristische Einschmelzung. Eine MRT mit diffusionsgewichteter Sequenz kann darüber hinaus helfen, Entzündungen und Tumore zu differenzieren, da letztere klassischerweise solide sind, wohingegen Abszesse eitrige Einschmelzungen mit einer deutlichen Diffusionsrestriktion aufweisen. Eine Besonderheit der Parotis ist das tiefe Blatt der Speicheldrüse; bei einem pleomorphen Adenom in diesem medial gelegenen Anteil der Parotis verschiebt sich der Parapharyngealraum weit medial; der Tumor ist in der klinischen Untersuchung dann als Vorwölbung in den Oro- bzw. Nasopharynx zu sehen. Diese werden auch als Eisberg-Tumore bezeichnet, da man nur deren Spitze sieht. Deswegen ist auch die Zusammenarbeit mit dem zuweisenden HNO-Arzt wichtig, der diese Eisberg-Tumore im Normalfall als erster zu sehen bekommt.
Welche Rolle spielt die CT in der Diagnostik?
Die CT ist der MRT oft bei klassischen Kehlkopftumoren und Tumoren des Hypopharynx überlegen, weil diese Patienten beim Liegen schlecht Luft bekommen und häufig Probleme haben, nicht zu schlucken. In den Abschnitten Nasopharynx, Oropharynx und Hypopharynx hilft die CT weiter, während bei der Tumordiagnostik im Bereich der Mundhöhle und Zunge eher das MRT eingesetzt wird. Auf diesem Gebiet hat die CT große Limitationen, weil durch Zahnmetall, Inlays und ähnlichem oft starke Artefakte entstehen.
In welchen Kompartimenten droht noch Unheil?
Im Carotisraum finden wir typischerweise andere Läsionen als in den übrigen Kompartimenten. Hier kommen vor allem gefäß- oder nerven-assoziierte Tumore wie Glomustumore (Paragangliome) oder Schwannome vor, aber auch Aneurysmen, Thormbosen oder Dissektionen. Gefäß- oder nerven-assoziierte Tumore des Carotidsraums drücken den Parapharyngealraum nach vorn und sind im CT in der Regel gut zu erkennen. Der Mastikatorraum umfasst die Kaumuskulatur. Am häufigsten treten Tumoren auf, manchmal Metastasen, aber auch Sarkome oder Entzündungen muss man im Blick behalten.
Im pharyngealen Mukosaraum, dem Schleimhautraum, können ebenfalls Tumoren auftreten wie beispielsweise nasopharyngeale Karzinome, die sich gerne intrakraniell ausbreiten. Weitere Entitäten sind Lymphome, Adenoide oder Entzündungen. Bei Raumforderungen im Mukosaraum wird der Parapharyngealraum nach außen gedrückt.
Der Retropharyngealraum liegt hinter dem Schlund und ist im gesunden Zustand eher unscheinbar. Hier siedeln sich sehr gerne Entzündungen an, die sehr gefährlich sein können, da – wie schon beschrieben – der Weg ins Mediastinum frei ist. Als behandelnder Arzt muss man hier sehr schnell eingreifen. Denn die sogenannte fasziale Falltür kommuniziert direkt mit dem „Danger Space“. Sobald Infektionen, aber auch Tumoren den Weg ins Mediastinum gefunden haben, ist die Prognose deutlich schlechter. Im Paravertebralraum finden wir Veränderungen, die meist aus der Wirbelsäule kommen wie Tumoren, Metastasen, Entzündungen bzw. Spondylodiszitiden. Im posterioren zervikalen Raum zeigen sich gerne Lymphknoten und zum Teil auch Nerventumoren. Im Viszeralraum sind u.a. Kehlkopf- und Schilddrüsentumoren zu finden.
Generell gilt: für eine gute radiologische Differentialdiagnose im HNO-Bereich ist die Kenntnis der Krankheitsbilder der einzelnen Kompartimente und deren Ausbreitungswege von Vorteil.
Profil:
Seit 2009 leitet Prof. Dr. Birgit Ertl-Wagner den Bereich Magnetresonanztomographie am Institut für Klinische Radiologie, Klinikum Großhadern. Im November 2012 folgte die Berufung auf die W2-Professur für klinische und experimentelle Magnetresonanztomographie, seit 2013 ist sie zudem geschäftsführende Oberärztin des Instituts. Zu Ihren Spezialgebieten gehören neben der strukturellen MR-basierten Diagnostik die zerebrale Fluss-, Perfusions- und Druckquantifizierung mit der MRT sowie die Diffusions-Tensor-Bildgebung. Seit 2005 führt die Münchnerin die Schwerpunktbezeichnung für Neuroradiologie. Die Fachärztin für diagnostische Radiologie forschte mehrfach in den USA, zuletzt 2012 als William R. Eyler Fellow der RSNA. 2013 wurde Ertl-Wagner mit dem Therese von Bayern Preis und dem Felix-Wachsmann-Preis der Deutschen Röntgengesellschaft ausgezeichnet.
Veranstaltung
Samstag, 23.01.2016, 11:30 Uhr
Hals CT - Differentialdiagnosen anhand der Kompartimente
Birgit Ertl-Wagner, München
Session: HNO
21.01.2016