© W. Palm / DKFZ
News • Umstellung der Nährstoffquelle erforscht
Wie der Krebs dem Hungertod entgeht
Bösartige Tumoren sind oft schlecht an die Blutversorgung angeschlossen, daher leiden Krebszellen häufig unter Nährstoffmangel. Unter diesen Bedingungen sichern sie ihr Überleben, indem sie auf alternative Nahrungsquellen wie Proteine umsteigen.
Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien konnten nun in Laborversuchen ein Protein identifizieren, das den Krebszellen diese Umstellung ermöglicht. Die Entdeckung könnte einen Weg aufzeigen, Krebszellen gezielt auszuhungern. Die Ergebnisse wurden nun in der Zeitschrift Science veröffentlicht.
Wenn ausreichend Nährstoffe aus dem Blut zur Verfügung stehen, importieren die Zellen unseres Körpers als bevorzugtes Nahrungsmittel freie Aminosäuren, die Bausteine von Proteinen. Doch Tumoren sind oft unzureichend mit Blut versorgt, den Krebszellen stehen dann wenig Nährstoffe zur Verfügung. Darauf können sie mit Stoffwechselanpassungen reagieren und bei Hungerzuständen auf alternative Nährstoffquellen umschalten. Unter diesen Bedingungen nutzen sie insbesondere den Abbau von Proteinen aus ihrer Umgebung als Nahrungsquelle. Die Mechanismen, mit denen Krebszellen dies gelingt, sind jedoch nur unzureichend erforscht.
Um die molekularen Schritte, die dieser Stoffwechselanpassung zugrunde liegen, besser zu verstehen, haben sich Wissenschaftler vom DKFZ in Heidelberg und vom IMP in Wien zusammengetan. Das Team untersuchte Krebszellen unter streng kontrollierten Nährstoffbedingungen, die einen Aminosäuremangel imitierten, wie er in vielen Tumoren auftritt. Mit der „Genschere" CRISPR-Cas9 schalteten die Forscher die Expression fast aller Gene im Erbgut einzeln aus. Auf diese Weise konnten sie die genetischen Komponenten der Signalwege identifizieren, die am Umschalten auf die neue Nährstoffquelle beteiligt sind.
LYSET und der Mannose-6-Phosphat-Stoffwechselweg erweisen sich als besonders wichtig für Krebszellen und könnten daher ein molekularer Ansatzpunkt sein, um einen wichtigen Stoffwechselengpass bei Krebs therapeutisch anzugreifen
Johannes Zuber
Dabei entdeckten die Forscher ein bislang nicht charakterisiertes Gen, das ausschließlich dann für das Überleben erforderlich ist, wenn sich die Krebszellen von extrazellulären Proteinen ernähren. Das Gen stellt den Bauplan für das Membranprotein „LYSET" (Lysosomal Enzyme Trafficking Factor), das sich als entscheidend für die Funktion der Lysosomen erwies. Diese kleinen Zellstrukturen dienen der Zelle als Magen und verdauen Proteine. LYSET stellte sich als Kernkomponente des so genannten Mannose-6-Phosphat-Wegs heraus, der für die Befüllung der Lysosomen mit Verdauungsenzymen erforderlich ist. Fehlt LYSET, fehlen den Krebszellen die Enzyme in ihren Lysosomen und sie sind nicht mehr in der Lage, die Nährstoffquelle zu wechseln. Für das Wachstum von Tumoren hat das dramatische Auswirkungen: An Mäusen, bei denen Krebs ausgelöst wurde, konnten die Forscher zeigen, dass ein Verlust von LYSET die Tumorentwicklung stark verlangsamt.
Wilhelm Palm vom DKFZ sagt: "Mit LYSET haben wir eine zentrale Komponente eines Stoffwechselweges entdeckt, der den Krebszellen die Anpassungen an verschiedene Nährstoffe ermöglicht. Das ist ihre Schlüsselfähigkeit, um in einer kargen Tumorumgebung zu überleben und zu wachsen."
„Das macht die Entdeckung so spannend", sagt Johannes Zuber vom IMP. „LYSET und der Mannose-6-Phosphat-Stoffwechselweg erweisen sich als besonders wichtig für Krebszellen und könnten daher ein molekularer Ansatzpunkt sein, um einen wichtigen Stoffwechselengpass bei Krebs therapeutisch anzugreifen."
Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrum
12.09.2022