Kommunikation fördert Wohlbefinden von Patient und Behandlern

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Artikel • Dialog mit Krebspatienten

Kommunikation fördert Wohlbefinden von Patient und Behandlern

Die Heidelberger Thoraxklinik erprobt ein neues strukturiertes longitudinales Kommunikationskonzept, um proaktiv auf die komplexen Bedürfnisse von Lungenkrebspatienten Stadium IV und deren Angehörigen eingehen zu können.

Dadurch will man das prognostische Verständnis erhöhen und die Grundlage für eine vorausschauende Vorsorgeplanung, eine frühzeitige Einbeziehung palliativer Versorgung sowie Shared-Decision-Making ermöglichen und ultimativ die Versorgung verbessern. Die ersten Erfahrungen damit sind erfolgversprechend: Patienten und Behandler sprechen von einer besseren Patienten-Arzt Beziehung und zudem von einem positiven Einfluss auf das Wohlbefinden der Erkrankten und einer reduzierten psychischen Belastung der Mitarbeiter.

Laut einer Studie gehen mehr als 60 Prozent aller ärztlichen Behandlungsfehler auf mangelnde Kommunikation zwischen Behandlern und Patienten zurück. Auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat die Bedeutung der Kommunikation für den Erfolg einer Therapie erkannt, als es in dem 2008 von ihm etablierten Nationalen Krebsplan die „Stärkung der Patientenorientierung/Patienteninformation“ als eines der vier Handlungsfelder formulierte, die zu einer besseren Versorgung der an Krebs Erkrankten beitragen soll. 

Dr. Antonius Helou, BMG, erläuterte anlässlich des Heidelberger Symposiums „HeiMeKOM Heidelberger Meilenstein Kommunikation“, das Ende Januar in der dortigen Thoraxklinik stattfand, dass das BMG mit dem Ziel, die Position der Patienten auszubauen, explizit auch die Kommunikation zwischen Arzt, Pflegekraft und Patient im Blickfeld hatte. Aufgrund des Stellenwertes, den das BMG der Kommunikation beimisst, fördert es auch die „HeiMeKOM“ Initiative. Die bisherigen Einsichten und Erfahrungen, die im Rahmen dieses Projektes gesammelt wurden, waren Gegenstand des Symposiums. Die Initiative wird von der Thoraxklinik des Universitätsklinikums Heidelberg, deren Abteilung Allgemeinmedizin & Versorgungsforschung und dem Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) getragen.

Wegweisendes Konzept

Die Wahl des Titels „Meilenstein Kommunikation“ bezieht sich auf ein neuartiges Format der Interaktion mit an Lungenkrebs erkrankten Menschen mit einer begrenzten Prognose (mediane Überlebenszeit < 12 Monate). Es setzt an den für den Behandlungsverlauf zentralen Gesprächen – eben jenen vier Meilensteinen – an: 

  • dem Aufklärungsgespräch, 
  • Konzeptgespräch, 
  • Perspektivengespräch
  • Konsensgespräch. 

Neu ist, dass zusätzlich zu dem Arzt immer auch eine Pflegekraft an den Gesprächen mit dem Patienten teilnimmt, wobei das Behandlungsteam zuvor spezielles Kommunikationstraining erhalten hat. Darüber hinaus telefonieren die Pflegenden eine Woche nach jedem Meilenstein-Gespräch und danach monatlich mit dem Patienten, um den Stand des Krankheitsverständnisses und der -verarbeitung zu eruieren bzw. den palliativen Bedarf zu erheben und die Versorgung so nahtlos wie möglich zu managen. 

Im Übrigen zielt HeiMeKOM darauf ab, die interprofessionelle Zusammenarbeit der Behandler zu stärken und allen Involvierten beizustehen, sich bei der Bewältigung der herausfordernden Gesprächssituationen gegenseitig zu stützen.

Präferenzen der Patienten werden erstmals erfasst

Dieser Ansatz, der auch bewusst die Angehörigen mit einschließt, soll dazu befähigen, dass der Patient besser gehört wird und sensible Inhalte (wie Stellenwert von Therapiemaßnahmen mit begrenztem Effekt, vorausschauende Versorgungsplanung und palliative Maßnahmen) rechtzeitig und strukturiert in den Therapieplan integriert und erfolgreich implementiert werden können. Dafür ist gerade der Austausch mit dem Patienten in stabileren Phasen der Erkrankung wichtig, insbesondere, da es sich bei der Zielgruppe um Menschen mit einer begrenzten Lebenserwartung handelt. Hier wird dem Wohlbefinden und dem Erhalt respektive der Verbesserung der Lebensqualität eine zentrale Bedeutung beigemessen. Aus diesem Grund werden im Rahmen des Projektes auch erstmals Patienten nach ihren Präferenzen befragt und diese dokumentiert. Dabei kristallisierte sich heraus, dass der Wunsch nach Kontinuität sowie gesehen zu werden, die Sicherheit, dass das Behandlungskonzept stimmt und die Gelegenheit wahrnehmen zu können, über das eigene Lebensende sprechen zu können, zentrale Bedürfnisse der Betroffenen sind.

Das HeiMeKOM-Konzept stößt auch außerhalb der Thoraxklinik auf Anerkennung und so wurde ihm im Rahmen des 7. Interprofessionellen Gesundheitskongresses in Dresden der "Innovationspreis 2019 - Interprofessionelle Projekte im Gesundheitswesen" von Springer Medizin verliehen.

HeiMeKOM im Einsatz

Seit Mai 2018 werden einige der Lungenkrebspatienten im fortgeschrittenen Stadium mithilfe dieses Ansatzes in der Thoraxklinik betreut. Zentrales Anliegen ist es, deren Versorgung mithilfe des neuen Ansatzes zu verbessern und dafür Evidenz zu generieren. Zur Evaluierung bedient man sich einer Palette qualitativer und quantitativer Tools, beispielsweise des Unterstützungsbedarfs eines Patienten sowie dessen Lebensqualität als auch der Messung gesundheitsökonomischer Aspekte, die zum Teil durch Interviews, Workshops sowie Fragebögen erfasst werden.

Bislang sind die Gespräche, die anlässlich des ersten (133) und zweiten (172) Meilensteins geführt wurden sowie deren Follow-up Konversationen (insgesamt 146) ausgewertet worden. Die Gespräche zu den beiden anderen Meilensteinen sowie die mit der Kontrollgruppe sind noch nicht abgeschlossen, sodass noch keine endgültigen Ergebnisse des Projektes vorliegen.

Erste Erkenntnisse

Das Behandlunsgsteam der Thoraxklinik verweist auf viele positive Rückmeldungen seitens der Patienten und Kollegen, die für die hohe Akzeptanz des Unterfangens sprechen. Insbesondere deutet die Auswertung der Meilensteingespräche auf die folgenden Effekte hin:

  • Verbesserte individuelle Lebensqualität von Patienten & Angehörigen
  • Geringerer Distress von Patienten & Angehörigen
  • Bessere Orientierung im Gesundheitssystem, inkl. verbesserter sektorenübergreifender Vernetzung
  • Stärkung informierter Entscheidung: größere Therapieadhärenz, höhere Prognostic Awareness, effizientere Nutzung der für die Gesundheitsfürsorge zur Verfügung stehenden Ressourcen (u. a. weniger Notfallaufnahmen nachts und an Wochenenden)
  • Stärkung der Patientenkompetenz
  • Stärkung der interprofessionellen Zusammenarbeit und der Teamprozesse
  • Stärkung der kommunikativen Kompetenzen des behandelnden Teams.

Gemessen an den Kosten, die pro Quartal für die pharmakologische Versorgung eines Krebspatienten aufgewendet werden, fallen die des ärztlichen Gesprächs kaum ins Gewicht. So rechnet einer der Mitarbeiter der Thoraxklinik den Anwesenden vor, dass die vierteljährlichen Kosten für Medikamente sich in der Regel um die €20.000 belaufen, hingegen die der ärztlichen Behandlung zwischen €80 bis €150 liegen.

Ein guter Grund, HeiMeKOM weiterzuführen bzw. noch auf andere Krankheitsbilder auszuweiten, und das Meilensteinkonzept mittelfristig fest in der Regelversorgung zu verankern, damit mehr Patienten davon profitieren können. „HeiMeKOM soll in die Breite der medizinischen Landschaft hereinkommen,“ wünscht sich Prof. Dr. Michael Thomas, Chefarzt Internistische Onkologie, Thoraxklinik. Er ist sicherlich nicht der Einzige. (CWM)

22.04.2020

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