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Artikel • Künstliche Intelligenz in der Radiologie

Wie man KI in den klinischen Workflow integriert: 7 Lektionen

An Künstlicher Intelligenz (KI) führt im Bereich der Radiologie kein Weg vorbei, wenn es nach Prof. Dr. Tim Leiner vom Utrecht University Medical Center geht: „Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist keine Frage des ,ob‘, sondern eine Frage des ,wann‘.“ Für alle, die noch nicht über eigene Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügen, bot der niederländische Radiologe beim diesjährigen Europäischen Radiologie-Kongress in Wien eine Übersicht über die Lektionen, die er und sein Haus in Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz bislang gelernt haben.

Artikel: Michael Krassnitzer

„Lektion“ war dabei nicht im übertragenen Sinn gemeint: Leiner strukturierte seinen Vortrag tatsächlich in sieben direkt an die Zuhörer gerichtete, voll und ganz praxisbezogene Anleitungen.

Lektion 1: Identifikation der Anwendungsfälle

portrait of tim leiner
Professor Dr. Tim Leiner

„Identifizieren Sie die Use Cases. Künstliche Intelligenz ist kein Selbstzweck, sondern dient der Lösung ganz konkreter Probleme. Konzentrieren Sie sich auf ein Problem, das sie lösen möchten. Fragen Sie sich, wo der Einsatz Künstlicher Intelligenz tatsächlich einen Unterschied macht.“ 

Lektion 2: Zusammenstellung eines Expertenteams

„Stellen Sie ein Team von Menschen mit unterschiedlichen Expertisen zusammen. Dazu gehören klarerweise die Kliniker, die das Grundwissen des betroffenen medizinischen Fachgebietes einbringen. Essentiell sind aber auch Fachleute für Healthcare-IT und Informatikspezialisten (z. B. PACS-Administratoren). Des Weiteren sind Experten auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz ratsam, weil diese die Versprechungen der Anbieter realistisch einschätzen können. Man sollte auch in Betracht ziehen, einen Patientenvertreter miteinzubeziehen. Bei vielen Algorithmen handelt es sich um ,black boxes‘ und auf diese Weise kann man schon im Vorfeld erkennen, ob die Patienten bereit sind, diese für Manche beunruhigende Besonderheit zu akzeptieren.“

Lektion 3: Wahl einer Plattform

„Wählen Sie eine Plattform, die zu Ihnen passt. Hier empfiehlt sich eine langfristige Perspektive: Jene eine Anwendung, um die es jetzt geht, wird nicht die einzige bleiben. In Zukunft werden noch weitere Algorithmen dazukommen. In Utrecht sind wir daher nach der Maxime vorgegangen: ,So offen wie nur möglich‘. Wir wollten eine Plattform, bei der wir entscheiden können, was darauf läuft, und nicht irgendein Anbieter. Für uns war es ein wichtiges Kriterium, dass die Plattform für Algorithmen verschiedener Anbieter und auch für selbst entwickelte Algorithmen tauglich ist.“

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Lektion 4: Wahl eines Testprodukts

„Sobald entschieden ist, auf welcher Plattform der Algorithmus laufen soll, wählen Sie ein Produkt aus, das eine gute Lösung Ihres konkreten klinischen Problems verspricht.“

Lektion 5: Definition von Erfolgskriterien

„Es ist sehr zu empfehlen, vorab möglichst konkrete Kriterien zu definieren, unter welchen Umständen die Einführung der Anwendung als erfolgreich betrachtet werden kann. Überlegen Sie, was Sie mit der Anwendung erreichen wollen: Mögliche Kriterien sind ein höherer Durchsatz, größere Genauigkeit, Zeitersparnis oder Kostenreduktion.“

Lektion 6: Pilotprojekt in der Klinik

Kaufen Sie niemals einen Algorithmus, ohne ihn im eigenen klinischen Workflow erprobt zu haben. Geben Sie sich nicht mit Demos zufrieden

Tim Leiner

„Führen Sie ein Pilotprojekt in der eigenen Klinik durch. Kaufen Sie niemals einen Algorithmus, ohne ihn im eigenen klinischen Workflow erprobt zu haben. Geben Sie sich nicht mit Demos zufrieden. Sammeln Sie so viel Feedback von Radiologen und Klinikern wie nur möglich. Der Test sollte über einen längeren Zeitraum – einige Wochen, wenn nicht Monate – laufen. Beurteilen Sie den Erfolg des Pilotprojekts auf Basis der im Vorfeld festgelegten Kriterien, ansonsten ist eine Enttäuschung auf lange Sicht unvermeidlich. Erwerben Sie den Algorithmus nur nach gründlicher Evaluierung.“

Lektion 7: Reibungslose Implementierung

„Ist man mit der Plattform und dem Produkt zufrieden, so sollte dieses möglichst reibungslos implementiert werden. Ganz wichtig ist es, die Anwender miteinzubeziehen. Es empfiehlt sich, ein Team von ,Botschaftern‘ zu bilden, die im Zuge des Pilotprojektes bereits Erfahrung gesammelt haben und die während und nach dem Rollout praktische Fragen beantworten können.“ 

Leiner ging auch kurz auf Hindernisse ein, die bei der Einführung von Künstlicher Intelligenz in der Radiologie überwunden werden müssen. Eines davon ist das grundsätzliche Problem, dass Algorithmen oft auf Basis nur relativ weniger Fälle entwickelt werden. „Aufgrund der Datenschutz-Grundverordnung, aber auch anderer Überlegungen in Zusammenhang mit dem Schutz der Privatsphäre der Patienten, sind die zugrundeliegenden Datensätze oft sehr klein und biased.“ Dies müsse man immer im Hinterkopf haben. Leiner: „Die Einführung von Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen ist schwierig und mühsam.“ 

15.11.2022

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