Welttag des Gehirns

Keine Gesundheit ohne mentale Gesundheit

Die alternde Bevölkerung ist in einigen Ländern bereits Realität und voraussichtlich im Jahr 2047 wird sie es weltweit sein, dann wird die Anzahl der Alten an der Weltbevölkerung die der Jungen übertreffen. Weitreichende soziale, gesundheitliche und ökonomische Konsequenzen sind vorhersehbar, nicht zuletzt eine Zunahme von neurologischen Erkrankungen, wie Schlaganfall, Demenz und Parkinson. Um darauf aufmerksam zu machen, hat die Weltföderation für Neurologie (WFN) den diesjährigen Welttag des Gehirns (22. Juli) unter das Motto: „Gehirngesundheit in einer älter werdenden Gesellschaft“ gestellt.

Report: Brigitte Dinkloh

Photo: Keine Gesundheit ohne mentale Gesundheit

„Auf der einen Seite sind Politiker und Gesundheitsbehörden besorgt über die alternde Bevölkerung und die damit verbundenen Herausforderungen, aber trotzdem ist die mentale Gesundheit oft nicht auf der nationalen und internationalen Gesundheitsagenda präsent“, beklagt Prof. Raad Shakir, Präsident der WFN, der hofft, dass der diesjährige Welttag zu einem Weckruf für die politischen Entscheidungsträger wird.

Zurzeit sind 800 Millionen Menschen bzw. 12 Prozent der Weltbevölkerung älter als 60 Jahre, im Jahre 2050 rechnet man mit 2 Milliarden Menschen in dieser Altersgruppe, was einem Anteil von 21 Prozent entspricht. Während die Mehrheit von ihnen (70 Prozent) heute in den hoch entwickelten Ländern lebt, wird zur Jahrhundertmitte der überwiegende Teil der über 60-Jährigen (80 Prozent) in den weniger entwickelten Ländern anzutreffen sein. Mit der alternden Bevölkerung erhöht sich auch der Anteil der Gesundheitsausgaben von derzeit etwa 50 Prozent in den Industrienationen auf über 65 Prozent in 2030. Dieser Prozess wird 2050 auch die weniger entwickelten Länder erreichen.

Bei einer alternden Bevölkerung steigt die Häufigkeit von Schlaganfall, Demenz und Parkinson. Neurologische Erkrankungen führen bereits heute zu mehr Beeinträchtigungen als Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Der Schlaganfall ist die häufigste neurologische Erkrankung und die Ursache Nummer 1 für eine Behinderung. 75 Prozent der Schlaganfallpatienten sind 65 Jahre oder älter, oder anders gesagt: 15 bis 20 Prozent dieser Altersgruppe erleidet einen Schlaganfall. „Dabei ist der Schlaganfall eine behandelbare und vermeidbare Erkrankung, Mit einer effektiven Intervention kann das Outcome dieser Patienten verbessert und die Schwere der Behinderung gemindert werden. Als beste Vorsorge gegen einen Schlaganfall gelten die Bluthochdruckkontrolle und der Nikotinverzicht“, erklärt Prof. Mohammad Wasay aus Karachi, Vorsitzender des Komitees für öffentliches Bewusstsein beim WFN. Auch eine Demenz betrachtet er als vermeid-  und behandelbar, obwohl hierbei auch die genetische Präposition eine große Rolle spielt. Etwa jeder Neunte auf dem Planeten leidet heute an Demenz, bei Parkinson ist die Prävalenz mit zwei Prozent wesentlich geringer. Hier können die meisten Betroffenen mit einer guten Medikamenteneinstellung ein normales Leben führen.

Aber Demenz ist nicht gleich Demenz. Darauf legt Prof. Gunhild Waldemar, Direktorin des dänischen Zentrums für Demenzforschung in Kopenhagen großen Wert. „Es handelt sich um einen Sammelbegriff für Erkrankungen, die alle durch einen Verlust von Gedächtnis charakterisiert sind. Die Alzheimer Erkrankung ist die häufigste und bekannteste Form, aber es gibt viele weitere Gehirnerkrankungen, die eine Demenz verursachen können.“ Demenz ist nicht gleichzusetzen mit dem natürlichen Alterungsprozess des Gehirns und sie bedeutet auch mehr als einen Erinnerungsverlust. Zur Demenz gehören Sprach- und Orientierungsschwierigkeiten, ein gemindertes Urteilsvermögen und eine Veränderung im Verhalten und der Persönlichkeit. „Das führt zu einem Autonomieverlust des Betroffenen, ein Stigma, das mit dem Rückgang sozialer Kontakte einhergeht. Familie und Freunde sind besonders betroffen, denn in steigendem Maße sind sie an der Versorgung der Erkrankten beteiligt“, schildert Prof. Waldemar.

Die Demenz ist jedoch ebenso eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, denn die Erkrankten benötigen zunehmend mehr Pflege und Pflegeeinrichtungen. Schon jetzt ist die Erkrankung mit geschätzten 818 Milliarden Dollar für 46 Millionen Betroffene weltweit die teuerste Gehirnerkrankung. Bis 2050 gehen Prognosen von bis zu 131 Millionen Demenzerkrankten aus. Deshalb ist es nach Meinung von Waldemar höchste Zeit zu handeln. So müsse in die Forschung investiert werden, um neue Heilungsansätze zu finden. Derweil kann nur das Ausbrechen der Krankheit mit einem gesunden Lebensstil hinausgezögert werden. „Betroffene mit Symptomen müssen Zugang zu diagnostischer Bewertung haben, zu oft gibt es keine Diagnose und damit keine adäquate Unterstützung und personalisierte Pflege. Wissenschaftler, Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen und Regierungen müssen sich zusammenschließen für einen internationalen Aktionsplan gegen Demenz“, fordert die Professorin.

Auch der Generalsekretär der WFN, Prof. Wolfgang Grisold, fordert mehr Investitionen in die neurologische Behandlung und Pflege. “Die Begrenzung der Gesundheitsausgaben ist keine geeignete Antwort auf die zunehmende Zahl von Erkrankten. Die Gesellschaft muss die Kosten von adäquater und menschenwürdiger Pflege älterer Menschen übernehmen, wir Neurologen müssen die Fürsprecher dieser Patienten sein“, so Grisold. Oberste Priorität einer alternden Gesellschaft sollten die Ausweitung von Rehabilitationskapazitäten und die Möglichkeiten der Langzeitpflege haben. Auch die Palliativmedizin wird eine immer wichtigere Rolle spielen, denn nur eine neurologisch orientierte Palliativmedizin ist in der Lage, die Effekte einer unheilbaren Krankheit abzumildern und die Lebensqualität zu verbessern. „Auch wenn wir bereits große Schritte in der Diagnose und Therapie neurologischer Erkrankungen gemacht haben, besteht nach wie vor eine große Ungleichheit im Zugang zur Behandlung. Die Verteilung neurologischer Krankenhausbetten weltweit macht das besonders deutlich. In Afrika gibt es nur 0,3 Betten auf 100.000 Einwohner, in Südostasien sind es 0,8 Betten. Je niedriger das Haushaltseinkommen einer Region ist, desto geringer ist die Anzahl an Krankenhausbetten für Neurologie, Neurochirurgie und Kinderneurologie. Am allerschlimmsten ist es in Kambodscha, Myanmar und Teilen Afrikas, das ist absolut inakzeptabel“, sagt Grisold. Das erklärte Ziel der Weltföderation ist es, für Patienten weltweit den Zugang zu einer guten neurologischen Diagnose und Therapie sicherzustellen. „Ich hoffe, der Welttag des Gehirns kann uns bei diesem Anliegen unterstützen.“  


Die Weltföderation für Neurologie (WFN) wurde am 22. Juli 1957 mit dem Ziel gegründet, die  Qualität der Neurologie und die Gehirngesundheit weltweit zu fördern. Die NGO ist ein Zusammenschluss von 119 nationalen neurologischen Gesellschaften und sie kooperiert eng mit anderen Gesundheitsorganisationen, wie der WHO und der Alzheimer Gesellschaft. Der World Brain Day findet seit 2014 mit einem jährlich wechselnden Schwerpunktthema statt.

25.07.2016

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