Interventionelle Gefäßmedizin: Ein Heimspiel für den Radiologen

In den 1960ern entwickelte der US-amerikanische Radiologe Charles Dotter die transluminale Angioplastie und erfand die Stent-Implantation. Seine bahnbrechenden Erkenntnisse revolutionierten nicht nur die therapeutische Gefäßmedizin, sondern läuteten auch die Geburtsstunde der Interventionellen Radiologie ein.

Prof. Dr. Hans-Joachim Wagner
Prof. Dr. Hans-Joachim Wagner

Noch heute sieht der Leiter der Institute für Radiologie und interventionelle Therapie der Vivantes Region Berlin Mitte/Ost, Prof. Dr. Hans-Joachim Wagner, sein Fach deshalb als wichtigen Schrittmacher in der Behandlung von peripheren arteriellen Verschlusskrankheiten. Für ihn ist und bleibt die Gefäßintervention das Hoheitsgebiet der interventionellen Radiologen.

„Jede Technik in der Medizin kann natürlich prinzipiell von jedem Arzt eingesetzt werden“, meint Prof. Wagner. „So wird beispielsweise der Ultraschall als diagnostisches Verfahren heute von fast jeder medizinischen Fachdisziplin genutzt. Es sollte aber immer derjenige mit der größten Expertise auf diesem Gebiet die Verantwortung tragen.“ Für Radiologen bilden die Kathetertechniken einen integralen Bestandteil ihrer Facharztausbildung. Hier lernen sie von Anfang an den fließenden Übergang zwischen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen. Ein großer Pluspunkt, findet Wagner: „Viele Gefäßchirurgen und Angiologen überspringen die erste Stufe und gehen direkt zur Therapie über. Das halte ich nicht für sinnvoll.“
Auch im späteren Klinikalltag geht jeder Gefäßintervention eine Gefäßdiagnostik voraus, die maßgeblich von den Radiologen mitbestimmt wird. Zwar wird die bildgebende Diagnostik heute weitgehend mittels CT- und MR-Angiografie durchgeführt, sie beruhte aber lange Zeit auf der katheterbasierten Gefäßdarstellung. Bei den minimal-invasiven Verfahren kommen dieselben Materialien zum Einsatz, die auch bei der Behandlung von Gefäßverschlüssen und -einengungen genutzt werden. Für Radiologen also ein Heimspiel.

Hybridverfahren sind Teamarbeit

Daher werden die endovaskulären Therapien am Berliner Vivantes Klinikum ausschließlich von Radiologen durchgeführt. „Selbstverständlich kann ein Angiologe oder Gefäßchirurg die Technik bei uns erlernen, aber immer unter Aufsicht eines Radiologen“, betont der Institutsleiter. Dieselbe Auffassung vertritt er auch, wenn es um Hybridverfahren geht, bei denen chirurgische und endovaskuläre Verfahren kombiniert werden, z.B. bei der Behandlung von Aortenaneurysmen: „Früher sind solche Arterienausweitungen offen operiert worden, heute können sie mithilfe von Stentgrafts endovaskulär versorgt werden. Solche Eingriffe sollten idealerweise in einem Team vorgenommen werden, in dem Gefäßchirurg und Radiologe ihren jeweiligen Part übernehmen.“

In der Interdisziplinarität an seinem Gefäßzentrum sieht der Interventionist Prof. Wagner darüber hinaus ein wichtiges Qualitätsmerkmal: „Wenn man den Patienten gar nicht mehr aus der Hand lässt, dann führt das dazu, dass man sich einer Kontrolle von außen entzieht. Wenn ich dagegen einen anderen Facharzt um seine Meinung frage, wird er die Indikation noch einmal überprüfen. Das ist ein gegenseitiger Austausch, der für den Patienten sicherstellt, dass verschiedene Experten aus unterschiedlichen Blickwinkeln für ihn die bestmögliche Entscheidung treffen. Ich bin absolut damit einverstanden, dass der Internist den Patienten betreut, aber für die spezialisierte Leistung der endovaskulären Therapie sollte der Patient in die Hände des interventionellen Radiologen gegeben werden.“

Spitzenexperten in der Strahlenfachkunde

Prof. Wagner erkennt aber noch einen weiteren Vorteil, wenn der Radiologe die Verantwortung für die Gefäßintervention trägt: den fundierten Umgang mit Röntgenbildgebungsverfahren. Zwar ist der Erwerb der Strahlenfachkunde nicht an einen bestimmten Facharzttitel gebunden, dennoch kennt sich auf diesem Gebiet keiner so gut aus wie der Radiologe. Zurzeit sorgen immer neue Entwicklungen wie z. B. verbesserte Röhren- und Detektortechnologien oder innovative Rekonstruktionsalgorithmen dafür, dass sich die Strahlenexposition während einer Untersuchung drastisch reduzieren lässt. Das setzt jedoch voraus, dass der Arzt diese kennt und umsetzt.

Eine Frage des Equipments

Zuletzt verweist der Spezialist noch darauf, dass nicht in jeder chirurgischen Abteilung eine Angiografieeinheit vorhanden ist, dafür aber in jeder Röntgenabteilung: „Einige Einrichtungen rüsten ihre Operationssäle dahingehend nach. Was wiederrum zeigt: Gefäßchirurgen und Angiologen standen die diagnostischen Möglichkeiten früher gar nicht zur Verfügung. Viele Operationssäle sind nur mit einem mobilen C-Bogen ausgestattet. Es gibt aber schwierige anatomische Regionen, z.B. das Abdomen, die mit diesem Gerät nicht gut darzustellen sind. Um endovaskuläre Therapien durchführen zu können, braucht man daher eine Angiografieeinheit.“

 

Veranstaltungshinweis
Do, 17.05., 11:05 - 11:30 Uhr
Warum Radiologen interventionelle
Gefäßmedizin machen sollten
Wagner HJ / Berlin
Session: Interventionelle
Radiologie – Quo vadis?

 

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Im Profil

Prof. Dr. Hans-Joachim Wagner ist Chefarzt am Institut für Radiologie und interventionelle Therapie für die Vivantes Region Berlin Mitte/Ost. Von 1998 bis 2004 war er Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Interventionelle Radiologie der Deutschen Röntgengesellschaft (AGIR, jetzt DeGIR). Er war Mitglied des „Standard of Practice Committee“ Cardiovascular and Interventional Radiological Society of Europe (CIRSE) und Vorsitzender der Berlin-Brandenburgischen Röntgengesellschaft e.V., Berlin.

Wagner hatte Universitätsprofessuren für Interventionelle Radiologie an der Humboldt Universität Berlin (Charité) und Radiologie an der Philipps-Universität Marburg, bevor er 2006 Chefarzt bei Vivantes wurde.
 

09.05.2012

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