Intraaortalen Gegenpulsation

IABP: Endlich Evidenz

Kardiochirurgen haben jetzt gefunden, was die Kardiologen vor drei Jahren als vermisst gemeldet haben: Evidenz für den Einsatz des ältesten mechanischen Kreislaufunterstützungssystems der Welt, der IABP. Die Folgen werden indes begrenzt sein.

Report: Holger Zorn

Dr. Kevin Pilarczyk ist Oberarzt am Westdeutschen Herzzentrum Essen
Dr. Kevin Pilarczyk ist Oberarzt am Westdeutschen Herzzentrum Essen
Quelle: Dr. Kevin Pilarczyk

Eine kleine Studie der kleinen Universität Halle (Saale) hatte den bislang größten Businesskill des laufenden Jahrzehnts ausgelöst. Durch eine multizentrische Studie bestätigt, führte sie weltweit zu einer Revision der Leitlinien: Die Empfehlung zum Einsatz der Intraaortalen Gegenpulsation (IABP) wurde von einer Klasse 1 Indikation herabgestuft auf das Niveau einer Kann-Empfehlung. Der Grund: Patienten, die infarktbedingt einen kardiogenen Schock erlitten und zusätzlich zur vorgesehenen Therapie eine IABP erhalten hatten, waren sowohl nach 30 Tagen als auch nach einem Jahr genauso häufig verstorben wie die Patienten, die keine Ballonpumpe erhalten hatten (30d, 40% vs. 41%; 1a, 52% vs. 51%). Nimmt man nur die Zahlen für Deutschland, sanken in der Folge die Implantationen um knapp ein Drittel.

Inzwischen widmete sich auch die benachbarte Disziplin Herzchirurgie, die noch Anfang des Jahrhunderts deutlich mehr IABP implantiert hatte, mit neuem Ehrgeiz dem ältesten und am einfachsten einzusetzenden mechanischen Kreislaufunterstützungssystem, veröffentlichte eine spezifische S3 Leitlinie zum Einsatz der intraaortalen Ballongegenpulsation in der Herzchirurgie.

Darin finden sich klare Empfehlungen:
• Hat ein Patient ein hohes operatives Risiko, ist aber hämodynamisch stabil, sollte ihm eine IABP implantiert werden – dies wird begründet mit der zweithöchsten Evidenz, Ib.
• Ist der Patient jedoch präoperativ schon kardial dekompensiert, sollte die Implantationen zumindest erwogen werden – diese Empfehlung ist zwar mit Stufe B von gleichem Grad wie die erste, kann jedoch nur mit einer um vier Stufen schwächeren Evidenz, IV, begründet werden.
• Ebenso schwach ist die Evidenz, wenn es um die Empfehlung zum Zeitpunkt der Implantation geht: Frühzeitig, falls der Patient nur schwer oder gar nicht von der Herz-Lungen-Maschine (HLM) entwöhnt werden kann.
• Ganz stark hingegen ist die Evidenz (Ia) - und stark ist auch die Empfehlung - zum Betrieb der IABP: Wurde sie bereits präoperativ implantiert, soll sie auch während der Herz-OP laufen, um den nichtpulsatilen Fluss der HLM in einen pulsatilen Fluss zu wandeln.

Doktor Kevin Pilarczyk, Herzchirurg und Koordinator dieser Leitlinie, die im Konsens mit den nationalen Fachgesellschaften für Kardiologie, für Intensiv- und Notfallmedizin und für Kardiotechnik erarbeitet wurde, ordnet die neuen Erkenntnisse ein: „Die Ergebnisse des IABP-Schock-II-Trials mit fast ausschließlich interventionell behandelten Patienten sind nicht ohne Weiteres auf kardiochirurgische Patienten zu übertragen. Ein Patient im infarktbedingten kardiogenen Schock, der sich einer Ballondilatation oder Stent-Implantation im Herzkatheterlabor unterziehen muss, ist nicht zu vergleichen mit einem kreislaufstabilen Patienten ohne Herzinfarkt, der aufgrund seiner eingeschränkten Pumpfunktion ein erhöhtes perioperatives Risikoprofil aufweist. Die chirurgische Therapie mit Vollnarkose, Herz-Lungen-Maschine und zeitweiligem Herzstillstand unterscheidet sich grundsätzlich von der kardiologischen Therapie.“

Diese pathophysiologischen Überlegungen werden untermauert durch eine aktuelle Metaanalyse, die mehrere randomisierte Studien zum präoperativen Einsatz der IABP in Hochrisikopatienten vor herzchirurgischem Eingriff untersuchte und einen klaren Nutzen der aortalen Gegenpulsation mit einer Reduktion der Krankenhaussterblichkeit sowie der Liegedauer nachweisen konnte - auch bei Beschränkung auf die aktuellen Studien der letzten Jahre [DOI: 10.1093/ejcts/ezv258]. Ähnlich gute Daten existieren zur Fortführung der IABP-induzierten Pulsatilität während der HLM [Quelle: Int J Artif Organs. 2009;32:50-61]. Im Gegensatz dazu zeigt die IABP in Hochrisikopatienten vor Stentimplantation keinen Vorteil [DOI: 10.1016/j.ijcard.2012.12.027]. Pilarczyk fasst zusammen: „Zwar existieren keine spezifischen Studien für dieses Setting, dennoch halten wir die IABP-Implantation auch im infarktbedingten kardiogenen Schock mit chirurgischer Revaskularisierung aufgrund der Unterschiede zur Kardiologie für erwägenswert.“

Inwieweit dies zu einem erneuten Anstieg der Implantationszahlen führen wird, bleibt abzuwarten. Kardiologen haben sich inzwischen an andere, deutlich aufwändiger zu implantierende Systeme gewöhnt – mit bemerkenswerten Folgen: Vor zwei Jahren noch als Business-Killer beschimpft, sind sie zu Business-Boostern geworden (Grafik). Alle anderen relevanten Systeme - Impella, TandemHeart und ECLS - sind erheblich teurer als die IABP. Für ein ECLS überweist der Versicherer dem Krankenhaus eine mindestens zehnmal höhere Summe. Addiert man die Implantationszahlen der anderen Systeme und schreibt sie für die Zukunft fort, wird ihre Zahl schon im übernächsten Jahr die der IABP übersteigen – und dies, obwohl bislang alle randomisierten Studien keinen Vorteil im Vergleich zur doch selbst als wirkungslos erkannten IABP gezeigt haben.


PROFIL:
Doktor Kevin Pilarczyk studierte Humanmedizin in Gießen, Essen und Houston, forschte an der Mayo Clinic Rochester und arbeitet derzeit als Oberarzt am Westdeutschen Herzzentrum Essen. Klinischer und wissenschaftlicher Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Herzchirurgische Intensivmedizin, hier insbesondere extrakorporale Herz- und Lungenunterstützungssysteme. Er ist Sekretär und Koordinator der interdisziplinären S3-Leitlinie „Einsatz der Intraaortalen Ballongegenpulsation in der Herzchirurgie“.

28.08.2015

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