Artikel • Herz über Kopf
Gute Aussichten – Big Data in der Herz-CT
Die CT-Angiographie entwickelt sich zusehends von einer morphologischen, anatomischen zu einer funktionellen Bildgebungsmodalität. In den vergangenen zwei Jahren wurden verfeinerte Techniken für den Einsatz der CT-Perfusionsmessung am Herzen entwickelt, die eine Vorhersage erlauben, welche Läsion tatsächlich eine Verringerung des Blutflusses nach sich zieht.
„Wir kommen dem Ziel bereits sehr nah, bei der koronaren Herzkrankheit auf nicht invasive Weise festzustellen, was eine Verengung der Herzkranzgefäße für den einzelnen Patienten bedeutet, die Chancen abzuschätzen, ob bei diesem Patienten eine Intervention hilfreich ist, und auch noch die passende Art der Therapie zu eruieren“, fasst Prof. Dr. Uwe Joseph Schöpf, Professor für Radiologie, Kardiologie und Kinderheilkunde und Direktor der Abteilung für Kardiovaskuläre Bildgebung der Medizinischen Universität South Carolina (USA), den aktuellen Entwicklungsstand zusammen: „Das ist tatsächlich personalisierte Medizin.“
Man kann auf ein einzelnes Photon schauen und wie es sich verhält. Das bietet ganz neue Möglichkeiten für die Gewebecharakterisierung.
Prof. Dr. Uwe Joseph Schöpf
Mittlerweile können bei einer Herz-CT sowohl Röhrenspannung als auch Röhrenstrom automatisiert an den individuellen Patienten angeglichen werden. Auch die neuen Multidetektor-CT-Geräte eröffnen neue Perspektiven: Mittels Dual Energy – also des gleichzeitigen Einsatzes von zwei Röhren an einem Patienten – lässt sich der Blutgehalt des Herzmuskels bestimmen. „Auch sind heutzutage direkte dynamische Blutflussmessungen im Herzen möglich, indem man schnell über das Herz hin- und herscannt, während der Kontrastmittelbolus durch den Herzmuskel hindurchfließt“, berichtet Schöpf. Vielversprechend ist auch die Technologie der Einzelphotonendetektoren, an denen die Gerätehersteller derzeit arbeiten. „Man kann damit auf ein einzelnes Photon schauen und wie es sich verhält“, erläutert Schöpf, „das bietet ganz neue Möglichkeiten für die Gewebecharakterisierung, zum Beispiel für den Nachweis der Jodverteilung im Körper.“
Aber auch die Entwicklung von Algorithmen und statistischen Verfahren hat rasante Fortschritte gemacht. So werden zum Beispiel thermodynamische Modelle genutzt, um den Blutfluss vorauszusagen. Noch beeindruckender sind Maschinenlernverfahren, bei denen der Computer nach dem Studium von Hunderten von Koronarstenosen eigenständig herausfindet, welche Stenose eine Gefahr für den Patienten darstellt. Schöpf: „Wir sprechen hier von Big-Data-Anwendungen – und das ist keine Zukunftsmusik. Zu diesem Thema werden die ersten Publikationen noch in diesem Jahr erwartet.“
Die neuen Verfahren haben einen positiven Nebeneffekt: Die Strahlungsbelastung für den Patienten sinkt noch mal deutlich. Eine komplette Herzangiographie kann derzeit bereits oft bei 80 kV mit 30 ml Kontrastmittel durchgeführt werden. Laut einer aktuellen Studie der Medical University of South Carolina, an der Schöpf beteiligt war (Spearman et al, Radiology 2015, Oct 16), hat die Einführung der automatisierten kV-Selektion die durchschnittliche Strahlendosis bei weltweit insgesamt 80.000 Untersuchungen um 14 Prozent reduziert. Das ist ein Ergebnis, das noch vor wenigen Jahren für großes Aufsehen gesorgt hätte – allerdings spielt das Thema „Strahlenbelastung“ heute keine so große Rolle mehr. „Hier in den USA wird die Dosisdiskussion gerade weitgehend zu den Akten gelegt“, so Schöpf. Dass die Strahlendosis – vor allem in den USA – vor einigen Jahren so stark in den Fokus gerückt war, hatte offenbar vor allem innenpolitische Gründe. „Viele Radiologen vermuten, dass das Thema ‚Strahlendosis‘ dazu diente, ,ObamaCare‘ vorzubereiten: als Argument, um den Einsatz der Bildgebung herunterzufahren, um zeitgleich mit der Reform des US-Gesundheitswesens möglichst viel Geld einzusparen.“ Inzwischen ist die Gesundheitsreform des US-Präsidenten Barack Obama etabliert. „Seitdem hat man von der Strahlenbelastung kaum mehr etwas gehört“, konstatiert Prof. Schöpf.
Auf technischem Gebiet jedoch bleibt die weitere Dosisreduktion im Fokus, bekräftigt der deutsch-österreichische Radiologe. Die Frage lautet: Wie kann man Strahlendosis und Kontrastmitteldosis weiter verringern und trotzdem dieselbe Bildqualität erreichen? Bislang jedenfalls sei das gelungen, betont Schöpf: In manchen Fällen sei die Bildqualität sogar noch gesteigert worden. „Jetzt geht es darum, unsere diagnostischen Fähigkeiten auszubauen“, sagt er. Gewebecharakterisierung, Dual Energy, Einzelphotonendetektion – das seien derzeit die wichtigsten Schlagworte auf der Forschungsagenda.
Aber auch andere Fragen hält Schöpf für ganz wesentlich: „Wir wissen, dass wir mit der Herz-CT eine gute, genaue und schonende Technik haben. Nun müssen wir über folgende Fragen nachdenken: Wie setzen wir diese Technik am besten ein? Wie verhält es sich mit der Kosteneffizienz dieser Tests? Wie sehen die klinischen Szenarien aus? Welche Patientenpopulation profitiert am meisten von diesen neuen Untersuchungsmethoden? Wo sind diese Tests anzusiedeln? Das sind die großen Themen, die uns in den nächsten Jahren beschäftigen werden.“ Dazu liege bereits eine gute Evidenzgrundlage vor, erklärt Schöpf: „Die Schaffung noch größerer Evidenz dafür, wo die Herz-CT eingesetzt werden kann, ist derzeit unser Hauptschwerpunkt.“
Profil:
Aufgewachsen in München, studierte Prof. Dr. Uwe J. Schöpf hier Medizin und absolvierte seine Facharztausbildung am Institut für Klinische Radiologie der Ludwig-Maximilians-Universität. 2001 verließ er Bayern, im Gepäck sein leidenschaftliches Interesse an kardio-thorakaler Bildgebung und im wahrsten Sinne des Wortes bereits ausgezeichnete Kenntnisse. Schöpf siedelte an die Ostküste der USA um: Bis 2004 in Massachusetts als Radiologe am Brigham & Women’s Hospital tätig, ist er inzwischen in Charleston Professor für Radiologie, Kardiologie und Kinderheilkunde und Direktor der Cardiovascular-Imaging-Abteilung der Medizinischen Universität South Carolina.
08.04.2016