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Bildquelle: Adobe Stock/LIGHTFIELD STUDIOS

News • Konsensuspapier zu kardiovaskulären Erkrankungen

Erbliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Experten für mehr Gen-Diagnostik

Viele Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind erblich bedingt. Sie lassen sich heute relativ einfach, kostengünstig und schnell mittels Gendiagnostik nachweisen. In Deutschland wird diese Technik jedoch nur unzureichend genutzt.

In einem Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), der Gesellschaft für Humangenetik (GfH) und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK) fordern Fachleute deshalb, die Möglichkeiten der Gendiagnostik für Früherkennung, Diagnose und Therapie besser zu nutzen. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) waren maßgeblich an der Erstellung des Papiers beteiligt. 

Medizinische Forschung braucht oft Jahrzehnte, um in die Praxis umgesetzt zu werden. Dann aber können die neuen Erkenntnisse und Techniken einen großen Unterschied machen, um Krankheiten besser zu erkennen und zu heilen - wie etwa die Gendiagnostik. „Viele Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden durch Defekte in einem oder wenigen Genen verursacht. Zudem manifestieren sich solche Krankheiten oft erst im Erwachsenenalter, weshalb es hilfreich ist, sie frühzeitig zu erkennen“, sagt Prof. Sabine Klaassen. Sie ist Mitautorin des Konsensuspapiers „Gendiagnostik bei kardiovaskulären Erkrankungen“ und Leiterin der Forschungsgruppe Klinische Kardiogenetik am Experimental and Clinical Research Center (ECRC) sowie Fachärztin am Deutschen Herzzentrum Charité (DHZC). 

Wichtig ist, auch Verwandte zu untersuchen und nach dieser Veränderung in deren Erbgut zu fahnden

Sabine Klaassen

Die krankheitsauslösenden Gene sind von Geburt an vorhanden. Ab wann sich daraus eine Krankheit entwickelt und wie stark sie sich ausprägt, ist sehr unterschiedlich. Es hängt davon ab, wie sich die jeweils vorliegende krankmachende Sequenzvariante auswirkt. Modulierende Umweltfaktoren können ebenfalls eine Rolle spielen. Das Konsensuspapier beschreibt Bedeutung, Vorgehen und rechtliche Regelungen der molekulargenetischen Diagnostik und gibt diagnostische Empfehlungen für die wichtigsten genetisch bedingten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, von denen derzeit nur ein kleiner Teil ermittelt wird. „Mit unseren Empfehlungen wollen wir eine bessere Versorgung der Patienten ermöglichen: Eine genaue Diagnose zu stellen, Krankheitsursachen zu finden und zu entscheiden, wie der Patient behandelt werden kann“, sagt Prof. Sabine Klaassen. 

Gendiagnostik wird vor allem zur Differentialdiagnose eingesetzt: Ein krankhaft verändertes Herz kann verschiedene Ursachen haben. Die Genetik hilft einzugrenzen, um welche Erkrankung es sich handelt und welche Ursache ihr zugrunde liegt - etwa bei den Kardiomyopathien, die mit einem verdickten Herzmuskel einhergehen. Meist ist Bluthochdruck die Ursache, es kann aber auch ein Gendefekt vorliegen. Je nach Diagnose gibt es hier wirksame Therapien. 

Eine weitere wichtige Erkrankung, bei der die Gendiagnostik helfen kann, sind erbliche Herzrhythmusstörungen. Sie können, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt werden, zum plötzlichen Herztod führen. Auslöser ist ein defektes Gen. Betroffene Patienten können gut geschützt werden: Sie erhalten vorsorglich einen Defibrillator; auch Betablocker schützen. „Wichtig ist, auch Verwandte zu untersuchen und nach dieser Veränderung in deren Erbgut zu fahnden“, betont Prof. Sabine Klaassen.

Wir müssen Patienten mit FH-Gendefekten herausfiltern, denn bei ihnen kann das Herzinfarktrisiko durch Medikamente wie Statine oder PCSK9-Hemmer deutlich gesenkt werden

Heribert Schunkert

Die häufigste Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems, die durch den Defekt eines einzelnen Gens verursacht wird, ist die familiäre Hypercholesterinämie (FH). Betroffene haben ein erhöhtes Risiko, frühzeitig einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, was bei ihnen nicht auf einen ungünstigen Lebens- oder Ernährungsstil zurückzuführen ist. „Wir müssen Patienten mit FH-Gendefekten herausfiltern, denn bei ihnen kann das Herzinfarktrisiko durch Medikamente wie Statine oder PCSK9-Hemmer deutlich gesenkt werden“, erklärt Prof. Heribert Schunkert, Principal Investigator am DZHK-Standort München und Letztautor des Konsensuspapiers. Mit Prof. Ulf Landmesser und Prof. Benjamin Meder gehören zwei weitere DZHK-Forscher zur Autorengruppe. Prof. Ulf Landmesser vom Deutschen Herzzentrum Charité sagt: "Die genetische Diagnostik wird eine immer wichtigere Rolle im Precision Management von Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielen und gleichzeitig eine frühzeitige Diagnose bei Familienmitgliedern ermöglichen.“ 

Das Papier ist die Neuauflage eines Positionspapiers aus dem Jahr 2015. „Seither hat sich der Wissensstand deutlich verbessert, und technisch wäre eine breitere Anwendung der Gendiagnostik kein Problem“, sagt Prof. Sabine Klaassen. Zudem übernehmen die Krankenkassen inzwischen in vielen Fällen die Kosten für eine Gensequenzierung. Bei der Umsetzung der Empfehlungen zur Gendiagnostik gibt es nach Ansicht des Autorenteams aber noch große Defizite: So gebe es zu wenige spezialisierte Ambulanzen in Krankenhäusern und Kliniken, zudem müsse mehr medizinisches Personal entsprechend geschult werden. „Wir brauchen mehr spezialisierte Ambulanzen, damit Betroffene genauer diagnostiziert, zentraler betreut und besser beraten werden können“, sagt Prof. Sabine Klaassen. Zudem seien die Möglichkeiten der Gendiagnostik in der Bevölkerung noch zu wenig bekannt. 

Derzeit erarbeitet die DGK eine Pocket-Leitlinie mit Empfehlungen für niedergelassene Ärzte und Klinikpersonal. Auch Fortbildungen zur Kardiogenetik sind in Vorbereitung. Diese sollen über die Ärztekammern angeboten werden. 


Quelle: Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung

24.09.2023

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