Die Risiken sind beherrschbar
Bericht der EU-Kommission zur Aufbereitung von Medizinprodukten - Deutsche Experten nehmen Stellung
Die Aufbereitung von Einmal-Medizinprodukten ist in Europa gängige Praxis. Doch immer wieder tauchen Fragen nach den Risiken für Patienten und Anwender auf. Eine Art Risiko-Bestandsaufnahme hat jetzt die EU-Kommission vorgelegt. Deutsche Experten halten den Bericht für prinzipiell richtig, aber unausgewogen.
Ende August hatte die EU-Kommission ihren "Bericht über die Wiederaufbereitung von Medizinprodukten in der Europäischen Union gemäß Art. 12a der Richtlinie 93/42/EWG" veröffentlicht. Der Bericht basiert im Wesentlichen auf den Untersuchungen des Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks (SCENIHR) und zeigt wesentliche Gefahrenpotenziale bei der Aufbereitung auf. Jetzt melden sich jene Experten aus Deutschland zu Wort, die sich seit Jahren mit der Risikobewertung der Aufbereitung von Medizinprodukten
befassen: die Expert Group for Safety in Medical Devices Reprocessing (smdr). Die Experten begrüßen die zentrale Forderung der EU-Kommission nach der Verbesserung der Patientensicherheit. Dennoch halten sie den Bericht in vielen Punkten für unausgewogen. "Es ist gut und wichtig, auf die Risiken hinzuweisen, aber fairer Weise müsste man auch sagen, dass professionelle Aufbereiter diese Risiken beherrschen", sagt Prof. Axel Kramer, Sprecher der smdr, und Leiter des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Uniklinik Greifswald. "Das aber hat die EU-Kommission nicht getan."
So wird in dem Bericht etwa die Evaluation und Validierung des gesamten Aufbereitungsprozesses von Einmalprodukten gefordert, aber nicht erwähnt, dass das in Deutschland seit langem gesetzlich vorgeschrieben ist. "Diese Forderung ist bereits in der Medizinproduktebetreiberverordnung enthalten und gilt sowohl für die
Aufbereitung von Einweg- als auch von Mehrwegprodukten", sagt Axel Kramer.
Nur das validierte Aufbereitungsverfahren zählt
Für Experten wie Prof. Axel Kramer und Prof. Marc Kraft, Leiter des Fachgebiets Medizintechnik an der TU Berlin, ist das ausschlaggebendeKriterium, dass ein produktspezifisches validiertes Aufbereitungsverfahren existiert. Ob das Produkt als Einmal- oder Mehrwegprodukt gekennzeichnet ist, ist letztendlich unerheblich, sofern die Rahmenbedingungen der Aufbereitung einschließlich der dafür erforderlichen Risikoanalyse eingehalten sind. "Natürlich ist nicht jedes Medizinprodukt aufbereitbar, das gilt leider auch für einige Produkte, die der Hersteller für mehrfache Anwendungen vorgesehen hat", sagt Marc Kraft. "Entscheidend ist, ob man anhand eines Risikomanagementprozesses die Gefährdungspotenziale aus der Anwendung und Aufbereitung analysieren und diese bei Notwendigkeit mit geeigneten Maßnahmen reduzieren kann. Gelingt die Validierung eines Aufbereitungsverfahrens, wird das aufbereitete Produkt keine zusätzlichen Risiken bei seiner Anwendung bewirken." Deshalb will Kraft auch das falsch verallgemeinerte Argument der Kommission nicht gelten lassen, dass die Wiederverwendung von Einmal-Medizinprodukten - im Gegensatz zu wiederverwendbaren Medizinprodukten - unter Gesundheitsaspekten "nicht ohne Risiko" sei. "Die Validierung des Aufbereitungsverfahrens hat eine Erhöhung von Risiken auszuschließen. Ist das der Fall, sind weder hygienische noch technisch-funktionelle Gefährdungen gegeben", so Marc Kraft.
Dies gelte auch im Hinblick auf eine Prionenkontamination. Die EU-Kommission hatte in ihrem Bericht auf das besondere Problem der Beseitigung von Prionen hingewiesen. "Eine vollständige Prionen-Inaktivierung kann nur durch aggressive Reinigungsmethoden erreicht werden, denen die üblicherweise verwendeten Materialien nicht standhalten", heißt es in dem Bericht. Marc Kraft, der selbst für zahlreiche Medizinprodukte validierte Aufbereitungsverfahren entwickelt hat, sagt dazu: "In der Reinigung werden Kontaminationen von der Oberfläche von Medizinprodukten entfernt, dabei ist es egal, ob es sich um Partikel, Mikroorganismen oder Prionen handelt. Sind die Prionen von der Oberfläche entfernt, müssen sie auch nicht inaktiviert werden, was tatsächlich schwieriger ist, als bei anderen Krankheitserregern." Axel Kramer merkt dazu an, dass mit der Anwendung von Guanidinthiocyanat eine materialverträgliche, sichere Möglichkeit der Eiweißauflösung besteht.
Die Zahl der Zwischenfälle ist nachweislich gering
In Deutschland dürfen Einmalprodukte dann aufbereitet und wiederverwendet werden, wenn eine produktspezifische Verfahrensvalidierung vorliegt und sich der Aufbereiter an die Medizinprodukte-Betreiberverordnung und an die gemeinsame Empfehlung von RKI und BfArM hält. "Die Anforderungen sind sowohl bei Mehrfach- als auch bei Einmal-Medizinprodukten gleich. Sie gelten für Betreiber genauso wie für externe Aufbereiter. Es gibt in Deutschland etliche professionelle Aufbereiter, die diese Anforderungen erfüllen", sagt Dr. Christian Jäkel, Fachanwalt für Medizinrecht. "Wie die Vorkommnismeldungen des BfArM und der US-Behörden zeigen, ist das Risiko bei professioneller Aufbereitung nicht erhöht." Die EU-Kommission räumt zwar ein, dass die Zahl der dokumentierten Zwischenfälle gering sei, doch sie geht davon aus, dass nicht alle
Zwischenfälle gemeldet werden. "Damit bleibt dieser Punkt jedoch ebenfalls spekulativ", wendet Jäkel ein.
Auch die im Bericht getroffene Aussage, die Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten führe zur Ungleichbehandlung von Patienten, wollen die Experten so nicht stehen lassen. "Im Gegenteil, es gibt einige Therapien wie etwa im Bereich der kardiologischen Elektrophysiologie, deren Fallpauschale noch nicht einmal die
Sachkosten der notwendigen Katheter decken", meint smdr-Mitglied, Dr.Dipl. Oec. Colin M. Krüger, Oberarzt an der Klinik für Chirurgie, Visceral- & Gefäßchirurgie des Vivantes Humboldt-KIinikums in Berlin. "Diese teuren Therapieverfahren könnten heute gar nicht mehr allen Patienten angeboten werden, wenn die dafür erforderlichen Instrumente jedes Mal neu gekauft werden müssten." Insofern leiste gerade die Wiederaufbereitung von teuren Medizinprodukten einen Beitrag zur Gleichbehandlung aller Patienten.
Dies unterstreicht auch Gesundheitsökonom Prof. Wilfried von Eiff vom Centrum für Krankenhaus Management an der Universität Münster. Er sagt: "Der Bericht unterschlägt die Tatsache, dass eine professionelle Aufbereitung dazu beiträgt, eine größere Zahl von Patienten qualifiziert zu versorgen und damit eine Kosten motivierte
Rationierung reduziert." Genau wie die EU-Kommission bemängelt aber auch von Eiff: " Es fehlt eine Studie, die den ökonomischen Nutzen für eine professionelle Aufbereitung nach einem produktbezogen validierten Verfahren nachweist."
Fazit: Die Risiken sind beherrschbar
"Wir nehmen die im Bericht der EU-Kommission aufgezeigten Risiken und die damit verbundenen Gefahren für Patienten und Anwender sehr ernst. Nicht zuletzt weil wir uns seit Jahren mit den Anforderungen an eine sichere Aufbereitung von Medizinprodukten beschäftigen, können wir feststellen, dass die aufgezeigten Risiken von der Industrie mit validierten Aufbereitungsverfahren und einem produktspezifischem Risikomanagement beherrschbar sind. Bei einer sach- und fachgerechten Aufbereitung besteht daher kein erhöhtes Risiko für Patient und Anwender. Wir hätten uns gewünscht, die EU-Kommission hätte diesen
Aspekt in ihrem Bericht stärker berücksichtigt."
Über die Expert Group for Safety in Medical Devices Reprocessing (smdr)
Unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) und der Deutschen Gesellschaft für Sterilgutversorgung (DGSV) hat die smdr Mitte 2006 ihre Arbeit aufgenommen. Die Gruppe will mit ihrer Arbeit die Rahmenbedingungenfür die Aufbereitung von Medizinprodukten sowohl unter fachlichen als
auch unter juristischen Aspekten festschreiben. Ziel ist es, die Aufbereitungssicherheit von Medizinprodukten in Praxen, ZSVen und bei industriellen Aufbereitern zu erhöhen. Zu den Mitgliedern der smdr gehören Ärzte aus den Bereichen Hygiene, Kardiologie, Chirurgie und Zahnmedizin; Gesundheitsökonomen, Werkstoff- und Medizinproduktespezialisten sowie Anwälte für Medizinrecht.
30.09.2010