Das große Zittern

Wie die Epilepsiediagnostik im MRT beim Kampf gegen den Krampf hilft

Über eine halbe Million Deutsche leiden unter Epilepsie. Zur genauen Planung der Therapie gilt es zunächst einmal intensive Ursachenforschung zu betreiben. Oberarzt PD Dr. Tobias Engelhorn von der Abteilung für Neuroradiologie des Universitätsklinikums Erlangen bekommt solche kniffligen Fälle jeden Tag zu Gesicht. Mithilfe der Hochfeld-MRT-Diagnostik leistet er detektivische Arbeit bei der Spurensuche nach auffälligen Veränderungen im Gehirn, die bei Standarduntersuchungen unentdeckt geblieben sind.

1 MRT-Aufnahme: Schizenzephalie (angeborene Fehlbildung des Gehirns mit...
1 MRT-Aufnahme: Schizenzephalie (angeborene Fehlbildung des Gehirns mit Spaltbildung) der rechten Hemisphäre mit typischer Anordung von Kortex entlang des Spalts bis zum Seitenventrikel bei einem jungen Patienten mit epileptischen Anfällen seit der frühen Kindheit. Dabei zeigt sich in der DTI (Diffusion Tensor Imaging) eine Aussparung der cortikospinalen Fasern auf Höhe der Fehlbildung (untere Reihe links).

Am Kongressfreitag gibt Dr. Engelhorn spannende Einblicke in das komplexe Feld der MRT-Diagnostik bei Epilepsie – von Schlaganfällen über die Tumoren bis hin zu seltenen Krankheitsformen.

„Die Epilepsie-Bildgebung ist ein Spiel mit eigenen Regeln“, betont der Neuroradiologe. „Das fängt mit den besonders dünnschichtigen Sequenzen an, die wir verwenden. Das geht weiter mit der besonderen Schichtführung im MRT, die anders gekippt ist als bei anderen Standard-Schädel-Untersuchungen üblich, nämlich entlang des Temporallappens und nicht in Richtung der vorderen Schädelbasis. Und das endet damit, dass wir mit neuen funktionellen Techniken nach allerkleinsten Auffälligkeiten suchen.“

Damit der Facharzt beim Durchforsten der großen Menge an hauchdünnen Schichtaufnahmen nicht völlig im Dunkeln tappt, muss er erst einmal wissen, wonach er eigentlich sucht. Im Dialog mit dem Kliniker sammelt er deshalb schon vor der Untersuchung wichtige Informationen, welche begleitenden Symptome mit den Krampfanfällen einhergehen. So weiß Dr. Engelhorn zum Beispiel, dass er bei Krampfanfällen, die mit Lachen einhergehen, besonderes Augenmerk auf die Region des Hypothalamus legen sollte.

Durch die rasante Weiterentwicklung von immer leistungsstärkeren MRT-Geräten verbessern sich die Möglichkeiten zum Teil extrem subtile Strukturveränderungen nachzuweisen allerdings stetig. „Jedoch streiten sich die Gelehrten zum jetzigen Zeitpunkt noch darüber, wie viel mehr man in einem 3- oder 7-Tesla-Gerät tatsächlich sieht“ räumt Dr. Engelhorn ein. „Fakt ist, dass wir dank höherer Magnetfeldstärken überhaupt erst in der Lage sind, bestimmte Abweichungen zu detektieren. Dazu zählt die kortikale Heterotopie, bei der die graue Substanz im Zuge der Entwicklung des Gehirns nicht nach außen an den Mantel gewandert ist, sondern in der weißen Substanz versprengt liegt. Die Gefahr, die sich hinter der besseren Bildauflösung jedoch auch verbirgt, ist, dass wir möglicherweise auch anatomische Varianten oder bei vielen Menschen zu findende Marklagerläsionen als Ursache für Epilepsien verantwortlich machen, die in Wirklichkeit harmlos sind.“ In Anbetracht der Tatsache, dass in Folge solcher Fehleinschätzungen auch operative Eingriffe stattfinden, ein nicht unerheblicher Einwand.

Die größte Herausforderung in der Epilepsiediagnostik ist und bleibt, dass jedes Gehirn wie ein Fingerabdruck ist: Keines gleicht dem anderen. Das heißt, jeder Mensch hat einzigartige Normvariationen, die ihn von anderen unterscheiden. „Für uns stellen sich daher immer dieselben Fragen: Ab wo hört die Abweichung von der Norm auf und wo fängt die Pathologie an? Ist eine bestimmte Asymmetrie im Hirngewebe wirklich verantwortlich für den Krampfanfall oder nicht?“

Deshalb setzen die interdisziplinären Profis in Epilepsiezentren zur Absicherung ihrer Ergebnisse auf verschiedene Untersuchungsverfahren: Die Kliniker im EEG-Labor auf die Hirnstromableitung, die Nuklearmediziner u.a. auf die Perfusions-Szintigraphie und die Neuroradiologen eben auf das MRT. Die Uniklinik Erlangen ist ein Epilepsiezentrum der höchsten Leistungsklasse, das dieses komplette Untersuchungspaket anbietet. Da die Patienten während ihres stationären Aufenthalts rund um die Uhr überwacht werden, können bildgebende Untersuchungen auch unmittelbar nach einem Krampfanfalls vorgenommen werden und so wichtige Aufschlüsse geben.

Ein weiterer Vorteil hoher Feldstärken bei der Epilepsiediagnostik im MRT sind die vielen funktionellen Verfahren, die sich dadurch realisieren lassen: Darunter das Messen von Molekularbewegungen (Diffusion) und der Gehirndurchblutung oder Darstellung der Stoffwechselmetabolite mittels der MR-Spektroskopie. Mithilfe der Diffusions-Tensor-Imaging-(DTI)-Traktographie lässt sich zudem überprüfen, ob die großen Faserverläufe im Gehirn richtig angelegt oder an bestimmten Stellen ausgedünnt sind.

Wenn schlussendlich alle Befunde der verschiedenen Fachdisziplinen auf eine bestimmte Auffälligkeit hinweisen, werden weitere detaillierte Nachforschungen angestellt. Denn auch ein so typischer Befund wie etwa eine Hippocampus-Sklerose bedarf weiterer Tests. Liegt die Malformation im linken Schläfenlappen, gilt es abzuklären, inwieweit Sprache oder Gedächtnis durch einen chirurgischen Eingriff beeinträchtigt werden könnten. „Gerade die Strukturen im Schläfenlappen sind sehr komplex. Hier könnten noch höhere Feldstärken in Zukunft helfen, einzelne veränderte Zellcluster zu visualisieren“, hofft Dr. Engelhorn. „Unser Ziel ist es, bei jedem Patienten, der die Hoffnung auf eine Diagnose schon aufgegeben hat, bis an die Gerätegrenzen zu gehen, um auch das letzte Fünkchen Information darüber herauszukitzeln, wo sich die entscheidende Veränderung im Gehirn nun tatsächlich abspielt“
 

12.10.2011

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