Bio-Architektur gegen Krebs und Alterung

In der Zellforschung wird ein neues Kapitel aufgeschlagen: Jenseits genetischer und biochemischer Prozesse betrachten Forscher die physikalischen Eigenschaften von Zellen und den Einfluss physikalischer Gegebenheiten wie Kompression, Streckung und Umgebungsbeschaffenheit auf den Gesundheitszustand von Zellen. Die Ergebnisse ermöglichen völlig neue Ansätze für die Krebsbekämpfung.

Das Verhalten von Zellen beruht nicht nur auf biochemischen Prozessen und genetischen Informationen, sondern hängt auch von physikalischen Einflüssen wie Kompression, Streckung oder auch der Beschaffenheit ihrer Umgebung ab. Diese Faktoren sind so stark, dass sie bestimmend dafür sein können, welche Entwicklung eine Stammzelle nimmt: zur Gehirn-, zur Knochenzelle – oder auch zur Krebszelle. Solche Effekte nehmen Forscher als Basis für ganz neue medizinische Ansätze gegen Krebs und Hautalterung.

Als junger Student sah Donald Ingber in den 70er Jahren in einer Vorlesung von Buckminster Fuller, wie dieser eine kleine Skulptur aus Gummibändern und Stäben flach drückte, und als er sie losließ, sprang sie sofort wieder in ihre ursprüngliche Form. Das Bauprinzip der Skulptur nannte Fuller „Tensegrity“ – auf Spannung beruhende Integrität.

Das allein wäre noch kein Schlüsselerlebnis gewesen, das den weiteren Weg des heutigen Professors für Gefäßbiologie an der Havard Medical School in Boston prägen sollte. Aber wenig später machte Ingber beim Züchten von Krebszellen eine frappierend ähnliche Entdeckung: Als er ein Enzym auf die flach „liegende“ Zellkultur gab, um sie von der Schale abzulösen, sprangen die aus ihrer molekularen Verankerung befreiten Zellen in ähnlicher Weise in
ihre Form wie die Skulptur, die er zuvor in der Vorlesung gesehen hatte. Ingber erkannte in dem Aufrichten der Zellen das gleiche Prinzip, wie in dem Verhalten des Skulpturmodells und geht seither von einer Zellarchitektur aus, die sich physikalisch ebenfalls nach Tensegrity-Regeln verhält. Nach jahrelanger Pionierarbeit hat er inzwischen mit seinem Team von der Harvard-Universität nachgewiesen, dass die mechanische Spannung der Zelle für deren
Funktionsabläufe von wesentlicher Bedeutung ist.

Darüber hinaus hängt laut Ingber die gesamte Entwicklung der Zelle stark von mechanischen Einflüssen ab: Wird eine Stammzelle auf eine bestimmte Art und Weise gestreckt, entwickelt sie sich zu einer Hirnzelle; wird sie auf andere Art gezerrt, so entwickelt sich sich eher zu einer Knochenzelle. Die Forscher konnten sogar Krebszellen durch mechanische Einflüsse dazu bewegen, sich wie eine gesunde Zelle zu verhalten.

Die Forschungsergebnisse bieten einen neuen Blick auf die physikalischen Eigenschaften desKörpers und können wichtige medizinische Verfahren wie Krebstherapie, Zelltherapie und
Gewebezucht revolutionieren. Ingber: „Zweifellos sind die Erkenntnisse aus dieser Forschung in den letzten fünf Jahren geradezu explodiert.

05.11.2009

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