Bei stumpfen Bagatelltraumata weniger CT

Wie lassen sich überflüssige radiologische Untersuchungen, vor allem CT-Untersuchungen, bei Patienten mit stumpfem Bagatelltrauma vermeiden?

Dr. Janis Lucas Vahldiek
Dr. Janis Lucas Vahldiek

Dieser Frage geht Dr. Janis Vahldiek, Arzt in Weiterbildung am Campus Benjamin Franklin an der Berliner Charité, in seinem Vortrag „Primärversorgung von Patienten mit stumpfem Bagatelltrauma – sind kombinierte CT-Untersuchungen von Schädel und Halswirbelsäule gerechtfertigt?“ nach. An allen drei Standorten der Berliner Charité werden täglich Patienten mit einem stumpfen Bagatelltrauma eingeliefert. „Die Ursache ist meist ein Sturz in der Häuslichkeit oder auf der Straße, bei der es für den unfallchirurgischen Kollegen schwierig ist, richtig einzuschätzen, bei welchen Patienten ein Risiko für innere Verletzungen an Kopf und Halswirbelsäule besteht und bei welchen nicht. Viele dieser Patienten bekommen eine Computertomographie des Schädels und der Halswirbelsäule“, erklärt Janis Vahldiek. Von März 2011 bis Mai 2012 hat er in einer Studie mit 1.342 Patienten untersucht, wie häufig mithilfe dieser Untersuchungen tatsächlich eine Verletzung diagnostiziert wurde und wie schwerwiegend diese war.

Eine Computertomographie verschlingt Res- Traumata der Leber und der Niere treten meist als Folge von Verkehrsunfällen auf. In der Nacht und am Wochenende stellt das eine Herausforderung dar, weil die Abteilung mit nur einem diensthabenden Radiologen dann dünn besetzt ist. „Wir hatten die Erwartung, dass es in der stressigen Traumasituation von Vorteil wäre, wenn der untersuchende Radiologe strukturiert nach einer vorgegebenen Checkliste den Befund abarbeiten kann. Allerdings hat sich gezeigt, dass die Studienergebnisse hinter unseren Erwartungen zurückbleiben, und dass die Akzeptanz unter den eigenen Kollegen noch schwierig ist“, erklärt Dr. Georg Homann, Studienleiter und Assistenzarzt am Institut für Klinische Radiologie der Universität Münster. Bislang findet die OIS in der klinischen Routine in Deutschland keine Anwendung, einige wenige Zentren nutzen sie zu Studien- und akademischen Zwecken.

Zum einen gibt es das eher pragmatische Problem des Mehraufwands, der durch das zusätzliche Beachten und Ausfüllen der Score-Anforderungen entsteht, andererseits hat die OIS aber auch ein Akzeptanzproblem. „Es gibt ein paar größere Studien aus der Schweiz und dem amerikanischen Raum, in denen man die Klassifikation und die daraus resultierenden Therapien untersucht hat. Das Ergebnis ist eine sehr inhomogene Beurteilung des Verletzungsgrads zwischen den verschiedenen Zentren und auch in den Krankenhäusern selbst. Hinzu kommt, dass die OIS einen relativ alten Score beinhaltet, der aktuelle Fragestellungen nicht zu 100 Prozent berücksichtigt. Mancher Kollege arbeitet da lieber nach seinem eigenen Schema weiter“, erklärt der Münsteraner Studienleiter. Denn als der AAST-Score entwickelt wurde, waren viele Therapieverfahren, die heute zum Einsatz kommen, wie die Embolisation der Milz vor der Resektion, noch gar nicht bekannt und fanden somit auch keine Berücksichtigung. Zwar gibt es inzwischen auch jüngere adaptierte Scores, die die aktive Extravasation – also eine fokale, starke arterielle Blutung – oder die Entsourcen und Kosten und setzt die Patienten ionisierender Strahlung aus. Bisher lagen für Deutschland keine Zahlen vor, wie hoch die Verletzungsrate bei dieser Patientenpopulation ist, und auch die Kriterien der Unfallchirurgen für eine CT-Anforderung sind weitgehend unbekannt. In Kanada liefern die „Canadian C-Spine Rule“ und in den USA die „NEXUS Low-Risk Criteria“ den Traumatologen klare Regeln für eine CT-Anforderung in Abhängigkeit von der Symptomatik. In Deutschland haben sich diese Entscheidungspfade bislang nicht flächendeckend durchgesetzt – das zeigt die hohe Anzahl der Anforderungen bei vergleichsweise geringer Inzidenz. Denn nur selten liegt bei diesen Patienten ein therapiebedürftiger Befund vor.

„Tatsächlich haben nur durchschnittlich 8 Prozent der Patienten eine Verletzung, kombinierte Verletzungen von Kopf und Halswirbelsäule stellen eher eine Rarität dar. Bei den jüngeren Patienten ist die Verletzungsrate sogar noch deutlich niedriger: Sie liegt zwischen 2 und 4 Prozent. Dem gegenüber steht eine nicht geringe Strahlenexposition mit durchschnittlich 3,3 mSv und zum Teil noch deutlich höheren Werten. Das ist eine relevante Strahlenexposition, besonders wenn man bedenkt, dass in dem Untersuchungsareal die sensiblen Organe Augen, Gehirn und Schilddrüse liegen“, sagt Vahldiek. Vor allem sind es ältere Patienten, die mit stumpfen Bagatelltraumata eingeliefert und untersucht werden. Wenn sie sich während der Untersuchung bewegen, muss der Scan wiederholt werden, wodurch die Strahlenexposition noch zunimmt.

Der junge Berliner Radiologe vermutet, dass es sehr von der Klinik und der Erfahrung der Unfallchirurgen abhängt, wie häufig eine CT angefordert wird. Selbst zwischen den drei Standorten der Charité gibt es große Unterschiede: „An zwei Standorten werden sehr viel weniger Untersuchungen angefordert, obwohl die Patientenzahlen gleich sind. Das liegt wohl an vielen Faktoren, aber im Gros wird die CT von Schädel und Halswirbelsäule einfach zu häufig angefordert.“

In einem weiteren Schritt will man an der Charité untersuchen, welche klinischen Parameter für die CT wichtig sind, wie die Klassifikationen aus Kanada und den USA hier angewendet werden können, oder ob für Deutschland neue Kriterien entwickelt werden müssen. Die Schlussfolgerung der Studie von Janis Vahldiek lautet erst einmal: Ernsthafte Verletzungen von Schädel und Halswirbelsäule sind bei stumpfen Bagatelltraumata selten, und die Kriterien für eine Klassifikation müssen in Deutschland wahrscheinlich besser implementiert werden. Trauma ohne

IM PROFIL
Nach Ableistung seines Zivildienstes in der Rheumatologischen Studienambulanz der Charité hat Dr. Janis Lucas Vahldiek 2004 sein Medizinstudium in Berlin aufgenommen. 2010 absolviert er die 2. Ärztliche Prüfung und ein Jahr später promoviert er mit einer Arbeit über die „Frühdiagnose der axialen Spondyloarthritis – Validierung eines neuen Screening-Verfahrens bei Patienten mit chronischem Rückenschmerz“. Seit Mai 2011 ist er Arzt in Weiterbildung in der Klinik für Radiologie von Prof. Dr. Bernd Hamm am Campus Benjamin Franklin.

30.05.2013

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