Auf Messers Schneide
Ambulante Radiochirurgie mit dem Cyberknife
Nicht nur die Automobilindustrie hat er revolutioniert, sondern auch die moderne Medizin.
Die Rede ist vom Roboterarm. Aus der radiochirurgischen Behandlung von Tumoren in besonders sensiblen Körperbereichen ist er heute nicht mehr wegzudenken. PD Dr. Alexander Muacevic, Mitbegründer des Europäischen Cyberknife Zentrums München-Großhadern, hat mit dem mechanischen Assistenten täglich zu tun. Seine 2005 gegründete Klinik war der erste Standort in Deutschland, der die robotergeführte Cyberknife-Technologie für die Radiotherapie anbot.
Die Behandlungsschwerpunkte des Cyberknife-Zentrums liegen bei den Neuroindikationen, darunter gutartige Hirntumoren wie Akustikusneurinome oder Meningeome sowie Wirbelsäulen und Rückenmarkserkrankungen. Vermehrt werden aber auch Lungen und Leberpatienten im Frühstadium ihrer Erkrankung behandelt, wenn Läsionen und Metastasen ausschließlich in isolierter Form vorhanden sind. „Während bei statischen Behandlungen des Kopfes die Bildortung über eine digitale Röntgenkamera ausreicht, können mit dem Cyberknife Tumor und Patientenbewegungen durch ein Infrarotbildführungssystem kontinuierlich erfasst, verfolgt und ausgeglichen werden“, erklärt Dr. Muacevic.
Das Cyberknife-Verfahren ist eine Kombination aus einem Präzisionsroboter, an dem ein Linearbeschleuniger befestigt ist, und einem automatischen Bildführungssystem, das die Steuerung des Roboterarms übernimmt. Durch die Exaktheit der Bestrahlung wird das umliegende gesunde Gewebe geschont und die Dosis kann hochkonzentriert in den Tumor appliziert werden. Weil Tumoren in Lunge oder Leber durch die Atmung ständig in Bewegung sind, kommt in diesen Fällen zusätzlich zur Röntgenkamera eine Infrarotbildgebung zum Einsatz. „Dahinter verbirgt sich ein komplizierter iterativer Algorithmus, der die Röntgenbilder und Infrarotaufnahmen koppelt und die Bestrahlung des Gewebes in einem Track-Detect-CorrectV-erfahren permanent und in Echtzeit an die Atembewegung anpasst“, erklärt der Neuro- und Radiochirurg.
Nur etwa 30 Prozent der Fälle, die Muacevic insgesamt begutachtet, sind jedoch überhaupt für die lokale Therapie mit dem Cyberknife geeignet. „Unsere Expertise besteht hauptsächlich darin, die Fälle auszuwählen, bei denen sich entsprechend gute Ergebnisse erzielen lassen – oft interdisziplinär in direkter Kooperation mit unseren Fachkollegen im Klinikum Großhadern“, schildert Muacevic, „denn im Gegensatz zum operativen Eingriff werden die Behandlungserfolge im Cyberknife erst nach einem längeren Zeitraum sichtbar. Wir müssen also schon vorher genau wissen, wie die Therapie ausgehen wird.“ Wenn eine Indikation aber gegeben ist, sind die Vorteile gegenüber der Chirurgie beeindruckend. Der Radiochirurg gibt ein Beispiel: „Eine Hirnoperation zur Entfernung eines Schädelbasistumors bedeutet acht Wochen stationärer Aufenthalt von der Intensivstation bis zur Rehaklinik. Mit dem Cyberknife verkürzt sich die Behandlungszeit auf eine einzige ambulante Sitzung und am nächsten Tag ist der Patient wieder vollständig fit.“ Die Behandlungsdauer liegt zurzeit zwischen 30 und 70 Minuten. Bis zu 80 Prozent der Zeit beansprucht dabei die Roboterfahrzeit. Der Roboterarm kennt 1.600 verschiedene Positionen und nimmt während einer Sitzung manchmal 100 verschiedene davon ein. In einer herkömmlichen Strahlentherapie werden im Vergleich dazu maximal acht Einstrahlrichtungen angesteuert. Trotzdem ersetze das Cyberknife nicht die Strahlentherapie, sondern nur in bestimmten Fällen eine Operation, betont der Münchner Experte.
Häufig wird das Cyberknife in Konkurrenz zur Protonentherapie gesetzt. Nach Meinung von Dr. Muacevic handelt es sich dabei aber um eine müßige Debatte: „Es gibt keine einzige randomisierte Studie weltweit, die wissenschaftlich belegt, dass die Protonenbestrahlung der Photonenstrahlung auch nur in einer einzigen Indikation überlegen wäre. Deshalb habe ich berechtigte Zweifel, ob die Anschaffung einer 150 Millionen Euro teuren Protonenanlage durch irgendeinen Vorteil gerechtfertigt ist.“ Es stehe jedoch eine neue Generation von Protonenbeschleunigern in den Startlöchern, räumt er ein, die ein Zehntel der Kosten verursachen sollen, die von den heutigen Geräten verschlungen werden. „Unter diesen Umständen könnte ich mir durchaus vorstellen, dass das Verfahren kombiniert mit einem Bildführungssystem interessant wird. Aber bis es soweit ist, vergehen noch mindestens fünf Jahre.“ Muacevic setzt deshalb auch in Zukunft mehr auf Photonen statt auf Protonen. Zumal hier eine neue Entwicklung vor der Einführung steht: „Es wird auf dem Gebiet der Robotertechnologie noch in diesem Jahr eine Weltneuheit geben. Damit werden die Prozesse noch schneller und noch einfacher.“ Der Launch findet Ende Oktober auf der Jahrestagung der American Society of Radiation Oncology (ASTRO) in Boston statt. Und diesmal wollen die Münchner nicht nur in Deutschland, sondern weltweit die Ersten bei der Einführung sein.
IM PROFIL:
Der 43-jährige PD Dr. Alexander Muacevic beschäftigte sich schon früh während seiner Facharztausbildung zum Neurochirurgen mit bildgeführten minimal-invasiven Therapietechniken und habilitierte mit dem Thema „Interstitielle MRT-geführte Laser-Thermotherapie“. Von 2003 bis 2005 absolvierte er die Fachkunde zum Radiochirurgen in mehreren Spezialzentren im In- und Ausland. 2005 etablierte er zusammen mit Prof. Dr. Berndt Wowrund in Kooperation mit dem Klinikum der Universität München das erste Cyberknife-Zentrum in Deutschland in München-Großhadern. Muacevic hat einen Lehrauftrag an der Universität München und ist seit 2011 Präsident der Radiosurgery Society.
29.10.2012