Artikel • Trends in der Krebsdiagnostik
Auf dem Weg zur optischen Biopsie
Bösartig verändertes Gewebe zu erkennen ist schwierig. Bislang bekommt der Patient dafür mittels eines invasiven Eingriffs Gewebe entnommen, das dann mit einer Standardfärbung gefärbt und darauffolgend diagnostiziert wird.
Bericht: Sascha Keutel
Einfach gesagt: wir ersetzen das Herausschneiden des auffälligen Gewebes durch eine direkte Messung an der betroffenen Stelle
Thomas Bocklitz
Inzwischen gibt es eine Vielzahl an Projekten, die nicht-invasive Verfahren erforschen, die optisch prüfen, ob es sich bei einem Verdachtsareal um krebsartiges Gewebe handelt. „Es gibt großes Interesse an einer derartigen optischen Biopsie“, bestätigt Dr. Thomas Bocklitz, Physiker von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Bocklitz leitet eine gemeinsamen Arbeitsgruppe „Statistische Modellierung und Bildanalyse“ am Leibniz-Institut für Photonische Technologien und der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die verschiedene Aspekte der optischen Biopsie erforscht. „Ganz allgemein wird bei der optischen Biopsie ein Lichtstrahl auf das veränderte Gewebeareal gerichtet und die optische Antwort des Gewebes detektiert. Aus dieser optische Antwort werden nachfolgend diagnostischen Parameter extrahiert“, erklärt Bocklitz. „Einfach gesagt: wir ersetzen das Herausschneiden des auffälligen Gewebes durch eine direkte Messung an der betroffenen Stelle.“
Nicht-invasiv und zeitsparend
Die optische Biopsie bietet mehrere Vorteile im Vergleich zur herkömmlichen Biopsie, die sich beispielhaft am HNO-Schnellschnittverfahren darstellen lassen. Beim traditionellen Schnellschnittverfahren wird der Patient unter Vollnarkose operiert. Der Chirurg entfernt den Tumor, nimmt anschließend Biopsien vom Geweberand und schickt diese zum Pathologen. Es kann bis zu 40min dauern, bis der Chirurg das Schnellschnitt-Ergebnis erhält, denn nicht jedes Krankenhaus hat einen Pathologen im Haus. Stellt der Pathologe fest, dass der Geweberand noch nicht tumorfrei ist, muss der Chirurg weiteres Gewebe entfernen und wieder Biopsien einschicken. Dieser Ablauf wiederholt sich so lange, bis der Rand tumorfrei ist.
„Die optische Biopsie dagegen könnte von einem technischen Assistenten direkt am Operationstisch durchgeführt werden. Dabei werden die aufgenommenen optischen Bilder in eine digitale Computerfärbung transferiert, welche direkt zum Pathologen übertragen werden, wodurch Zeit eingespart und der Patient geschont wird. Zudem enthalten die optischen Bilder weitaus mehr Informationen, die sich in mehr als nur eine pathologische Färbung umrechnen lassen“, erklärt Bocklitz die Vorteile der optischen Biopsien. Doch für den Forscher ist das nur eine Vorstufe, denn der nächste Schritt ist, das Messverfahren direkt mittels Fasern zu implementieren und das Gewebe beispielsweise von einem Endoskopiker oder Operateur diagnostizieren zu lassen. „Der Operator legt dann die Fasersensoren auf und beurteilt unmittelbar, ob und wo möglicherweise noch Tumorgewebe vorliegt und legt dementsprechend den Schnittrand neu fest. Auf diese Art würde nur noch tumoröses und kein gesundes Gewebe mehr entfernt.“
Computergestützte Bildanalyse von Gewebeschnitten dank multimodaler Bildgebung
Alle optischen Biopsien hängen entscheidend davon ab, wie die optischen Bilder prozessiert werden. Dies ist der eigentliche Arbeitsschwerpunkt an dem Bocklitz forscht. Neben der weiter oben beschriebenen Umrechnung optischer Bilder in pathologische Färbungen hat er in einer Kooperation mit der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Uniklinikum Jena ein Klassifikationsmodell entwickelt, das eine direkte automatisierte Gewebevorhersage aus den ex-vivo oder perspektivisch in-vivo erzeugten optischen Bilder ermöglicht. Als bildgebenden Methoden wurden dabei mehrere optische Verfahren gleichzeitig angewandt: „Wir haben multimodale Bilder aus der simultanen Aufnahme von drei Kontrastmechanismen der Kohärente Anti-Stokes-Raman-Streuung, die Zwei-Photonen-angeregte Fluoreszenz und die Zweite Harmonische Frequenz erzeugt. Diese drei Prozesse bilden die Lipid- und Protein-Verteilung, die Verteilung von Gewebe-eigenen Fluorophoren und Faserstrukturen ab. Neben einer Auswertung dieser multimodalen Bilder hinsichtlich der automatisierten Abgrenzung von Krebs- von gesundem Gewebe haben wir Algorithmen entwickelt, die quantitative medizinische Informationen aus den Messdaten ziehen“, berichtet Bocklitz und fügt an: „Es handelt sich praktisch um Radiomics für Pathologen.“
Wir versuchen mit diesen Klassifikatoren die signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen zu berechnen und diesen Unterschied vorherzusagen
Thomas Bocklitz
Bei all diesen Bildauswertealgorithmen haben die Forscher versucht, das Verfahren, das der Pathologe bei der Standarddiagnostik von Hämatoxylin-Eosin-Bildern (HE-Bilder) anwendet, auf den Computer zu transferieren. Der Pathologe schaut auf den Schnitt und prüft lokal die Gewebe-struktur und -morphologie. „Diese Mustererkennung können wir Computern beibringen. Dazu nehmen wir bestimmte Bildmerkmale, die die Morphologien oder Texturen der Bilder quantifizieren und extrahieren diese Werte. Dann nutzen wir Standard-Klassifikatoren, um das kranke vom gesunden Epithel-Gewebe zu trennen. Wir versuchen mit diesen Klassifikatoren die signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen zu berechnen und diesen Unterschied vorherzusagen“, beschreibt der Forscher die Methode. Mit Hilfe dieser Mustererkennung soll der Computer eindeutige von schwierigen Fällen differenzieren und damit den Arbeitsaufwand der Pathologen reduzieren.
In einer ersten Studie lag die Präzisionsrate der Diagnosen im Falle von zehn Patienten bei 90 Prozent. In einer geplanten multizentrischen präklinischen Studie sollen jetzt hunderte Patienten analysiert werden. Durch die Erhöhung der Patientenzahl erhofft sich Bocklitz auch eine Steigerung der Genauigkeit auf über 95 Prozent. Zudem will das Team mit der geplanten Studie die Messungen direkt im Schnellschnittraum neben dem Operationssaal durchführen, um die optische Biopsie direkt in den klinischen Arbeitsablauf während einer Operation zu implementieren. Zukünftig soll die Messung per Endoskop dann direkt am Operationstisch erfolgen.
Zukunft der optischen Biopsie
Für den Forscher sind die bisher erzielten Ergebnisse der optischen Biopsie sehr vielversprechend. Die erzeugten optischen Daten enthalten viele unterschiedliche Informationen, die in letzter Instanz zu einer Verbesserung der Patientenversorgung führen. „Zunächst wird es zu einer Kombination aus verschiedenen Mess-Methoden kommen. Jede Methode liefert unterschiedliche Informationen, die wir in Kombination nutzen können. Dies funktioniert jedoch nur durch die Erforschung geeigneter leistungsstarker Auswerte-Algorithmen, da ein mehrdimensionaler Datenraum entsteht, der analysiert werden muss“, sagt Bocklitz voraus. „Ich glaube, dass die optische die normale Biopsie langfristig an Genauigkeit und Aussagekraft übertreffen wird.“
Profil:
PD Dr. Thomas Bocklitz, Leiter der gemeinsamen Arbeitsgruppe „Statistische Modellierung und Bildanalyse“ am Leibniz-Institut für Photonische Technologien und der Friedrich-Schiller-Universität Jena, erhielt den Preis als bester Nachwuchswissenschaftler 2016. Die Jury ehrte ihn für seine Forschung an computergestützten Verfahren, mit denen er biomedizinische Informationen aus physikalischen Messdaten gewinnt. Im November 2016 schloss er seine Habilitation mit dem Titel „Extraktion biomedizinischer Informationen aus photonischen Daten“ erfolgreich ab.
16.02.2018