Eröffnung des Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrums (HIT)
Am 2. November wurde das Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) feierlich eröffnet. Die am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt entwickelte Krebstherapie steht nun erstmals im Routinebetrieb einer großen Patientenzahl zur Verfügung. Bislang wurden Patienten ausschließlich am Therapieplatz bei GSI behandelt. Die Therapie mit Ionenstrahlen ist präzise, hochwirksam und für die Patienten sehr schonend. HIT wird vom Universitätsklinikum Heidelberg betrieben und steht in einem eigens errichteten Gebäude von etwa 60 Metern mal 80 Metern Grundfläche. Die Beschleunigeranlage und die Bestrahlungstechnik haben GSI-Wissenschaftler und -Techniker entwickelt und gebaut.
Die Behandlung mit Ionenstrahlen am HIT ist weltweit einmalig. Derzeit gibt es nur noch in Japan die Möglichkeit eine Krebstherapie mit Ionenstrahlen durchzuführen, allerdings mit einer weniger wirkungsvollen Bestrahlungstechnik. Im Rahmen eines Lizenzvertrages des GSI Helmholtzzentrums mit der Siemens AG sind weitere Anlagen nach dem Vorbild von HIT in Marburg und in Kiel bereits im Bau.
In Zukunft können jährlich 1.300 Patienten am HIT behandelt werden. Am GSI Therapieplatz wurden seit 1997 bisher rund 440 Patienten mit Tumoren vorwiegend an der Schädelbasis mit Kohlenstoff-Ionenstrahlen behandelt. In klinischen Studien wurde der Erfolg der Therapie mit Heilungsraten von bis zu 90 Prozent belegt. Sie ist inzwischen als Heilverfahren anerkannt und wird von den Krankenkassen erstattet.
Herzstück von HIT ist eine für die Therapie maßgeschneiderte Beschleunigeranlage, die für einen medizinischen Routinebetrieb geeignet ist. Sie ist wesentlich kleiner als die mehrere hundert Meter große GSI Beschleunigeranlage, die bislang für die Therapie benutzt wurde, und an der hauptsächlich Schwerionenexperimente für die Grundlagenforschung in der Kern- und Atomphysik durchgeführt werden. Vor der ersten Behandlung bei GSI betrieben Wissenschaftler jahrzehntelange Grundlagenforschung über die strahlenbiologische Wirkung von Ionen auf Zellen und entwickelten eine Bestrahlungstechnik, um den Ionenstrahl präzise und sicher in den Tumor zu lenken.
"Seit den 1970er Jahren haben wir die Wirkung von Ionenstrahlen an mehr als 100.000 Zellproben systematisch untersucht, immer mit dem Ziel einer optimierten Ionentherapie. Die meisten haben es damals kaum für möglich gehalten, die hervorragenden biologisch-medizinischen Eigenschaften von Ionenstrahlen technisch für die Therapie nutzbar zu machen. Dies war nur möglich durch das Zusammenwirken vieler Disziplinen wie Kern- und Atomphysik, Strahlenbiologie und -medizin, Beschleunigerphysik, Informatik und noch vielen mehr" sagt Gerhard Kraft, Initiator und Wegbereiter für die Therapie mit Ionenstrahlen und Helmholtz-Professor im Bereich Biophysik bei GSI.
"Mit der Eröffnung des HIT geht eine Vision in Erfüllung, die die Wissenschaftler um Professor Kraft vor fast 40 Jahren hatten: Menschen mit unheilbaren Tumoren im Routinebetrieb mit Ionenstrahlen zu behandeln. Die Therapie bietet höhere Heilungschancen, kürzere Behandlungsdauer und weniger Nebenwirkungen. Sie ist ein großartiges Beispiel für gelungenen Technologiertransfer aus der Grundlagenforschung zum Wohle der Menschheit", sagt Horst Stöcker, wissenschaftlicher Geschäftsführer des GSI Helmholtzzentrums und Vizepräsident der Helmholtz-Gemeinschaft.
HIT besteht aus einer Beschleunigeranlage mit einem 5 Meter langen Linearbeschleuniger und einem Ringbeschleuniger von 20 Metern Durchmesser. Daran schließen sich drei Behandlungsplätze an. Zwei Behandlungsplätze sind direkte Weiterentwicklungen der bei GSI verwendeten Technik. Ein dritter Behandlungsplatz besitzt ein drehbares Strahlführungssystem für Ionenstrahlen, eine so genannte Gantry, welche aus einem bei GSI entwickelten Prototypen hervorgegangen ist. Diese erlaubt es, den Ionenstrahl aus jeder beliebigen Richtung auf den Tumor eines Patienten zu lenken, was die Behandlungsmöglichkeiten erheblich erweitert.
Für die Behandlung am HIT werden Ionen, das heißt positiv geladene Kohlenstoff- oder Wasserstoffatome, verwendet. Ionenstrahlen dringen in den Körper ein und entfalten ihre größte Wirkung erst tief im Gewebe, dort wo sie in einem nur stecknadelkopfgroßen Bereich stecken bleiben. Damit sie das Tumorgewebe erreichen, werden sie in Beschleunigeranlagen auf sehr hohe Geschwindigkeiten von bis zu 75 Prozent der Lichtgeschwindigkeit gebracht. Das entspricht fast 1 Milliarde Kilometer pro Stunde. Die Ionenstrahlen können so gesteuert werden, dass Tumore bis zur Größe eines Tennisballs millimetergenau Punkt für Punkt bestrahlt werden können. Das umliegende gesunde Gewebe wird weitgehend geschont. Damit eignet sich die Methode vor allem für tiefliegende Tumore in der Nähe von Risikoorganen wie z.B. dem Sehnerv oder dem Hirnstamm. Projektpartner der Therapie mit Ionenstrahlen sind das Universitätsklinikum und das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg, das Forschungszentrum Dresden-Rossendorf und das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung.
Über die Entwicklung der Therapie
Am GSI Helmholtzzentrum wurden ab 1980 grundlegende Studien auf den Gebieten der Strahlenbiologie, Kernphysik und Beschleunigertechnik für die Therapie durchgeführt. Im Jahr 1993 begann der Bau des Therapieplatzes bei GSI in Darmstadt. In Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Heidelberg, dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und dem Forschungszentrum Dresden-Rossendorf wurden seit 1997 etwa 440 Patienten erfolgreich behandelt. Parallel dazu wurde die dedizierte Klinikanlage HIT für den Routinebetrieb in Heidelberg geplant. HIT ist ein direkter Technologietransfer aus dem GSI-Pilotprojekt.
Die weltweit einzigartigen Innovationen des GSI-Pilotprojektes sind
- das Rasterscan-Verfahren, das eine tumorkonforme Bestrahlung des Tumors mit einem Strahl aus Kohlenstoff-Ionen ermöglicht
- ein Beschleuniger mit dem eine schnelle und aktive Energievariation des Ionenstrahls möglich ist, wodurch eine Tiefenvariation des Strahls im Tumor erreicht wird
- ein schnelles Kontrollsystem, das den Strahl im Patienten in einem Zeittakt von Millisekunden sicher steuert
- eine "biologiebasierte" Bestrahlungsplanung, die die physikalische Dosis und die effektive biologische Wirkung des Ionenstrahls an jedem Punkt im Tumor berechnet
- eine Kontrolle der Bestrahlung durch eine PET-(Positronen-Emissions-Tomographie)-Kamera, die überwacht, dass der Strahl den Tumor trifft
03.11.2009