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Sucht: Was geschieht im Gehirn?
Glücksspiele, Pornos oder Shopping können Süchte auslösen. Was die Forschung darüber weiß, diskutieren 300 führende Wissenschaftler aus aller Welt auf der International Conference on Behavioral Addictions (ICBA).
Sie findet erstmals in Deutschland statt und wird organisiert durch Prof. Dr. Matthias Brand von der Universität Duisburg-Essen (UDE) und Prof. Dr. Dr. Astrid Müller von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Prof. Brand leitet das UDE-Fachgebiet „Allgemeine Psychologie: Kognition“ mit dem Forschungszentrum CeBAR (Center for Behavioral Addiction Research).
Über Botenstoffe aktiviert das Verhalten das Belohnungssystems und löst so starke Glücksgefühle aus, die wieder und wieder erlebt werden wollen
Matthias Brand
Exzessives Verhalten ist problematisch für die Betroffenen und ihre Angehörigen, sei es unkontrolliert im Internet zu spielen oder Soziale Medien zu nutzen, kauf- oder sexsüchtig zu sein. Prof. Brand: „All dies hat in den letzten Jahren stark zugenommen, schließlich sind die entsprechenden Angebote jederzeit online verfügbar. Deshalb befasst sich jetzt auch die psychologische Grundlagen- und klinische Forschung damit. Wir diskutieren in Köln, wie Verhaltenssüchten vorgebeugt oder wie sie therapiert werden können.“ Verhaltenssüchtig ist man, wenn man bestimmte substanzungebundene Tätigkeiten (Glücksspiel, Online-Rollenspiele, soziale Medien, Shopping, Porno) exzessiv ausführt und dies zum Problem für die Betroffenen und deren Angehörige wird. Obwohl die Betroffenen negative Folgen erleben – wie z. B. familiäre Konflikte, Probleme in der Schule, bei der Ausbildung, im Beruf, oder auch Verschuldung – können sie nicht aufhören.
Doch was passiert im Gehirn? Prof. Brand: „Das hängt mit dem unwiderstehlichen, schwer oder gar nicht kontrollierbaren Drang zusammen, die jeweilige Aktivität auszuführen. Er wirkt im Hirn der Betroffenen ähnlich wie Alkohol oder andere Drogen: Über Botenstoffe aktiviert das Verhalten das Belohnungssystems und löst so starke Glücksgefühle aus, die wieder und wieder erlebt werden wollen.“
Die Risiken einer zunehmenden Digitalisierung des Alltagslebens sind zentral auf der Tagung. Prof. Brand: „Die große Anzahl von Beiträgen zu internetbezogenen Störungen zeigt ganz klar, dass dieses Thema die internationale Forschungsgemeinschaft stark bewegt." Etwa eine Mio. erwachsene Deutsche leiden unter einer Form von Internetsucht. Ein besseres Verständnis der Verhaltenssüchte und daraus abgeleiteter Therapien erfordert disziplinübergreifende Forschung: „Viele Konferenzbeiträge wurden gemeinsam von Medizinern, Psychologen, Neurowissenschaftlern und Therapeuten eingereicht“, betont Müller und ergänzt: „Die Vielzahl der vorgestellten klinischen Studien zeigt auch, dass Verhaltenssüchte längst in der Praxis angekommen sind. Der Ausbau des Hilfesystems ist dringend erforderlich.“ Sie spricht sich dafür aus, die Problematik der Verhaltenssüchte ausgewogen zu betrachten: „Überpathologisierung und Hysterie sind unangemessen; wenngleich das Problem nicht verharmlost werden darf, damit den Betroffenen auch geholfen werden kann“.
Auch Sport kann süchtig machen
Auf dem Kongress werden deshalb auch die Behandlungsmöglichkeiten besprochen, z.B. erfolgsversprechende Ansätze in der Psychotherapie. Weitere Themen sind Sportsucht und suchtartiges Essverhalten (Food Addiction). „Dies wird ja durchaus kontrovers diskutiert. Interessant ist beispielsweise, wie häufig eine reine Sportsucht völlig unabhängig von einer Essstörung auftritt. Ob bestimmte Nahrungsmittel ähnlich abhängig machen können wie Drogen, wird ebenfalls auf dem Kongress besprochen.“, bemerkt Müller.
Quelle: Universität Duisburg-Essen
23.04.2018