Lisa Ann Gerdes hält ein Plastikmodell des Gehirns in den Händen. Die...
Neuroimmunologin Lisa Ann Gerdes erforscht die Mechanismen von Multipler Sklerose, die Nerven und Gehirn angreift.

© LMU

News • Rolle von CD8-T-Immunzellen

Zwillings-Studie zeigt Frühwarn-Marker für Multiple Sklerose

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische entzündliche Erkrankung, bei der das Immunsystem das zentrale Nervensystem angreift. Dies beeinträchtigt die Signalübertragung zwischen Gehirn und Körper und kann zu Symptomen wie Sehstörungen, Koordinationsproblemen, Lähmungen oder auch kognitiven Einschränkungen führen.

Ein Team um Privatdozentin Lisa Ann Gerdes (Institut für Klinische Neuroimmunologie am LMU Klinikum und Biomedizinisches Centrum) hat nun eineiige – also genetisch identische – Zwillingspaare untersucht und konnte nachweisen, dass bestimmte Immunzellen – sogenannte CD8-T-Zellen – bereits in frühen Stadien der Krankheit eine Rolle spielen. 

Die Wissenschaftler veröffentlichten ihre Erkenntnise jetzt im Fachjournal Science Immunology

[Eine Patientenkohorte aus eineiigen Zwilligen] bietet eine einzigartige Möglichkeit, Hochrisikopatienten zu untersuchen, bevor sich die Erkrankung bemerkbar macht

Vladyslav Kavaka

Von CD8-T-Zellen ist bekannt, dass sie in Entzündungsherden im Gehirn von MS-Patienten vorkommen. Bisher war aber unklar, welche Rolle sie für die Erkrankung spielen: Sind sie Folgeerscheinung oder Auslöser, und was aktiviert sie für den Sprung aus dem Blut ins Zentrale Nervensystem? Diese Fragen haben die Forschenden nun mithilfe einer einzigartigen Patientenkohorte untersucht: Sie verglichen die CD8-T-Zellen von eineiigen Zwillingspaaren, bei denen ein Zwilling an MS erkrankt ist, während der andere keine klinischen Symptome zeigt. 

Bei MS spielen sowohl genetische als auch Umweltfaktoren eine wichtige Rolle. Deshalb stellen eineiige Zwillinge, bei denen diese Faktoren weitgehend gleich sind, eine wertvolle Vergleichsgruppe dar. Da der gesunde Zwilling ein bis zu 25% erhöhtes Risiko trägt, ebenfalls an MS zu erkranken, lassen sich insbesondere Frühstadien der MS mit dieser Patientenkohorte besser erforschen. „Sie bietet eine einzigartige Möglichkeit, Hochrisikopatienten zu untersuchen, bevor sich die Erkrankung bemerkbar macht“, sagt Vladyslav Kavaka, der Erstautor der Publikation. 

Die Forschenden analysierten CD8-T-Zellen aus Blut- und Nervenwasserproben der Zwillingspaare mithilfe innovativer Methoden wie der Kombination von Einzelzell-RNA-Sequenzierung und T-Zell-Rezeptor-Analysen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass bei MS-Patienten und Personen mit frühen Anzeichen der Erkrankung CD8-T-Zellen mit denselben spezifischen Veränderungen vorkommen: Die Zellen wiesen eine erhöhte Wanderungsfähigkeit auf, waren entzündungsfördernd und stark aktiviert. „Diese Eigenschaften zeigen, dass diese CD8-T-Zellen im Blut migratorisch sind und sich sozusagen schon auf den Weg ins zentrale Nervensystem machen, wo wir dieselben Zellen wiederfinden“, erklärt Dr. Eduardo Beltrán, einer der leitenden Autoren. Auch im Gehirngewebe von MS-Patienten fanden die Forschenden diesen Zelltyp, was darauf hinweist, dass die Veränderungen im ZNS bestehen bleiben. 

Besonders bemerkenswert ist nach Ansicht der Autoren, dass dieselben CD8-T-Zellen nicht nur bei Menschen mit bereits diagnostizierter MS auftraten: Sie fanden sich auch bei Personen, die noch keine eindeutigen klinischen Symptome zeigen, bei denen es aber Anzeichen für eine subklinische Neuroinflammation gibt – also Entzündungen, die keine klinischen Symptome verursachen. Das deutet darauf hin, dass diese Zellen bereits in den frühesten Phasen der Erkrankung eine Rolle spielen könnten – wahrscheinlich lange bevor MS diagnostiziert werden kann. 

Diese Erkenntnisse könnten möglicherweise neue Therapieansätze eröffnen, bei denen gezielt die Funktion von CD8-T-Zellen beeinflusst wird, um das Fortschreiten von MS zu verlangsamen oder zu verhindern, so die Autoren. Darüber hinaus könnten mithilfe der CD8-T-Zellen neue Diagnosemethoden entwickelt werden, die es erlauben, MS schon in einem sehr frühen Stadium zu erkennen, bevor irreversible Nervenschäden entstehen. 


Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München

30.09.2024

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