Zentren im, am und um das Krankenhaus herum – radiologische Strukturen in 10 Jahren

„Die Technik ist immer nur ein Vehikel. Wenn wir uns über Straßenverkehr unterhalten, dann geht es ja nicht darum, wie die Autos aussehen, sondern um strukturelle Themen.“ Wird Univ.-Prof. Dr. Bernd Hamm gebeten, einen Ausblick auf die Bildgebung im Jahr 2020 zu wagen, will er daher weniger über Technik, sondern viel mehr über Versorgungsstrukturen sprechen.

Prof. Dr. Bernd Karl-Heinz Dieter Hamm
Prof. Dr. Bernd Karl-Heinz Dieter Hamm

„Wie könnte die Radiologie 2020 prinzipiell strukturiert sein?“, haben wir den Direktor der drei Universitätskliniken für Radiologie der Berliner Charité (Campus Mitte, Campus Virchow-Klinikum und Campus Benjamin Franklin) gefragt.

Seine Antwort: „Die Radiologie wird zunehmend in großen Zentren, ambulant sowie stationär, organisiert sein und dies vor allem um, am oder im Krankenhaus.“ Wobei „im Krankenhaus“ bedeute: tatsächlich vom Krankenhaus, gegebenenfalls mit MVZ, betrieben; „am Krankenhaus“: zwar auch im Krankenhaus durchgeführt oder in Kooperation von/mit niedergelassenen Radiologen; und „um das Krankenhaus“: Praxen bzw. Praxisverbünde mit sektorübergreifender Gerätenutzung. Die Verzahnung zwischen ambulantem und stationärem radiologischen Bereich werde also intensiver, prophezeit Hamm.

„Es wird zu einer Konzentrierung kommen im ambulanten, im stationären und auch im kombinierten Bereich – mit deutlich größeren Einheiten als heute“, analysiert der Klinikdirektor. Kleinere Einheiten würden in der Zukunft durch überörtliche Gemeinschaftspraxen, beziehungsweise durch Teleradiologie versorgt. Ambulanten Zentren im niedergelassenen Bereich mit mehr als 20 Fachärzten sagt Hamm daher durchaus gute Chancen voraus.

„Diese Zentrumsbildung unterliegt nicht nur wirtschaftlichen Diktaten, sondern begründet sich auch in der zunehmenden Spezialisierung“, erklärt Hamm und verweist damit auf eine weitere Entwicklung des Faches: „Die diversen klinischen Fächer wünschen zunehmend eine spezialisierte Radiologie und sind auf einen guten radiologischen Service und Qualität angewiesen. Das wird allerdings manchmal durch wirtschaftliche Interessen unterlaufen.“ Die zunehmende Spezialisierung gehe auch einher mit einer besonderen klinischen Kompetenz. „Die Radiologie hat eine extreme diagnostische Kompetenz und übernimmt in Form der Interventionellen Radiologie auch immer stärker eine hohe klinische Verantwortung. Diese beiden Kompetenzen müssen genutzt werden. Dies fordert allerdings mehr direkte Patientenverantwortung und Patientenführung“, unterstreicht der Klinikdirektor. Für die nächsten Jahre erwartet er ein deutliches Anwachsen der Anzahl bildgesteuerter minimal-invasiver Therapien.

Umgekehrt gebe es immer wieder Bestrebungen anderer Disziplinen, Teile der Radiologie in ihr Fach zu integrieren, wie zum Beispiel die Kernspintomografie oder diverse interventionelle Eingriffe. „Hier ist in den Weiterbildungsausschüssen, bei den Ärztekammern und in den Selbstverwaltungsgremien intensiv daran zu arbeiten, dass die Radiologie ihr breites Profil und Spektrum aufrecht erhält“, betont Hamm.

Großes Zukunftspotential sagt Hamm auch der Hybridbildgebung, also den Kombinationen PET/CT, MR/PET oder SPECT/CT voraus. Aber auch hier interessiert den Professor weniger der technische Aspekt als der strukturelle: „Ich rechne mit einer immer stärkeren Verzahnung zwischen Radiologie und Nuklearmedizin. Mittelfristig sehe ich den kombinierten Facharzt für diagnostische Radiologie und Nuklearmedizin“, bekräftigt Hamm. „Auch die Bildfusion stellt die Radiologie vor die Herausforderung, ihre Kompetenzen auszubauen – und zwar in allen Bereichen der Schnittbildgebung inklusive Ultraschall.“ Hamm ist davon überzeugt, dass der Ultraschall durch die Bildfusion, aber auch durch Kontrastmittel-Ultraschall oder Ultraschall-Elastrografie zunehmend an Gewicht in der Radiologie zurückgewinnen wird.

Und schließlich äußert sich Hamm doch noch über eine methodische Entwicklung, nämlich die molekulare Bildgebung: „Wir befinden uns momentan in der Phase der Ernüchterung. Die molekulare Bildgebung hat sensationelle experimentelle Ergebnisse gezeitigt, verfehlt aber – mit Ausnahme der Nuklearmedizin – die Translation in die Klinik.“ Molekulare Verfahren würden sich nur dann durchsetzen, wenn sie nicht nur rein diagnostische, sondern auch therapeutische Relevanz aufwiesen. Als negatives Beispiel nennt er die derzeit in Entwicklung befindlichen Tracer zur Diagnostik der Alzheimer-Erkrankung: „Was nützt es, wenn wir Alzheimer diagnostizieren können, aber diese Diagnose zu keinerlei therapeutischen Konsequenzen führt, weil derzeit keine spezifische Therapie verfügbar ist.“


Veranstaltungshinweis
Saal Holzknecht
Sa, 19.05., 10:45 - 11:45 Uhr
Hamm B / Berlin (Vorsitz)
Session: Uroradiologie II –
Niere und weibliches Becken

 

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Im Profil

Prof. Dr. Bernd Karl-Heinz Dieter Hamm leitet seit Oktober 2010 den Lehrstuhl für Radiologie und ist Direktor der fusionierten Radiologie der Charité. Bereits zum Studium kam der gebürtige Frankfurter nach Berlin an die Freie Universität. Nach der Anerkennung als Arzt für Radiologie arbeitete er als Oberarzt der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin im Klinikum Steglitz. Nach seiner Habilitation über den „Einsatz paramagnetischer Kontrastmittel in der kernspintomographischen Diagnostik von Lebertumoren – Grundlagen, tierexperimentelle Studien und klinische Ergebnisse“ berief ihn die Freie Universität 1993 zum C3-Professor für klinische Radiologie. Im März 1994 folgte er dem Ruf der Humboldt-Universität zu Berlin für die C4-Professur für Röntgendiagnostik an der Charité.

Seit 2004 ist Prof. Hamm wissenschaftlicher und klinischer Leiter des Imaging Science Instituts der Charité in Kooperation mit Bayer Schering HealthCare und seit 2006 Leiter des Charité Centrums 6 sowie fachlicher Leiter mehrerer MVZ der Charité für die Fächer Radiologie und Nuklearmedizin

 

09.05.2012

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