Willkommen in der neuen Realität
„Alle reden immer von der Wirtschaftskrise. Das ist keine Krise, sondern die neue Realität“: Davon ist der griechische Gesundheitsminister Spyridon-Adonis Georgiades überzeugt.
So gesehen ging es beim diesjährigen European Health Forum Gastein (EHFG) nicht darum, wie man Gesundheitssysteme krisensicher machen kann, sondern wie die Zukunft der Gesundheitssysteme aussieht. „Resilient and Innovative Health Systems for Europe“ lautete der Titel der Tagung in den österreichischen Alpen, bei der die Folgen wachsender Ressourcenknappheit auf das Gesundheitswesen und die daraus folgenden Reformnotwendigkeiten diskutiert wurden. Der aus der Physik stammende Begriff „Resilienz“ beschreibt die Fähigkeit eines Materials oder einer Struktur, einer Erschütterung standzuhalten, indem sie sich verformt.
Der Handlungsbedarf ist offensichtlich: Nicht weniger als zehn der 28 EU-Länder haben infolge der Finanzkrise ihre Gesundheitsbudgets zum ersten Mal seit Jahrzehnten reduziert. „Die zum Teil dramatischen Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Gesundheit der Bevölkerung und die Gesundheitssysteme haben deutlich gemacht, dass die vorhandenen Lösungsansätze dringend neu überdacht werden müssen“, erklärt Prof. Dr. Helmut Brand, Präsident des EHFG.
Einer der vorgetragenen Ansätze lautet „Mehr privat, weniger Staat“. Effizienzsteigerungen allein würden für öffentlich finanzierte Gesundheitssysteme nicht ausreichen, meint Prof. Dr. Richard B. Saltman, Professor für Gesundheitspolitik und Management an der Rollings School of Public Health, Emory University in Atlanta (USA): „Ein wesentlicher Teil der Gesundheitskosten muss vom Staat ausgelagert werden. Neue, nicht-öffentliche Gelder müssen gefunden werden, und einige von der öffentlichen Hand erbrachte Leistungen werden von privaten Stellen übernommen werden müssen.“ „Self-Care“ lautet eines der neuen Schlagworte: Laut diesem Konzept sollen die Bürger Maßnahmen zu Gesundheitsvorsorge, Erhalt der Gesundheit und Krankheitsvermeidung wie Selbstmedikation und das Beschaffen von Gesundheitsinformationen eigenverantwortlich – und auf eigene Kosten – vornehmen.
„Das Konzept, Gesundheit immer nur im Zusammenhang mit Kosten und Ausgaben zu sehen, muss als Relikt des vorigen Jahrhunderts gesehen werden“, wendet der litauische Gesundheitsminister Vytenis Povilas Andriukaitis ein: Stattdessen solle man die Ausgaben für die Gesundheit als Investitionen betrachten. Tatsächlich empfiehlt die EU-Kommission im Rahmen ihrer aktuellen Initiative „Investing in health“ unter anderem Investitionen in Health Technology Assessment (HTA) und eHealth. „Zielgerichtete Investitionen in die Gesundheit der Menschen und die europäischen Gesundheitssysteme sind eine unerlässliche Bedingung für gesellschaftliche Prosperität und die Produktivität der Erwerbsbevölkerung“, sagt Paola Testori Coggi, Generaldirektorin für Gesundheit und Verbraucherschutz (DG SANCO) in der Europäischen Kommission. HTA helfe, in die geeigneten Gesundheitsprodukte und –dienstleistungen zu investieren und Verschwendung von Mitteln zu vermeiden, erklärt Testori Coggi, eHealth schaffe eine effizientere und kosteneffektivere Gesundheitsversorgung.
„Kosten von der Gesamtheit der Steuerzahler zum einzelnen Individuum zu schieben, ist kein gangbarer Weg“, bekräftigt Prof. Dr. Martin McKee, Professor für europäische Public Health an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Der einzige Weg, Kosten im Gesundheitssystem zu reduzieren, bestehe darin, die durch Erkrankungen entstehenden finanziellen Belastungen zu reduzieren: „Unsere Fähigkeit, die Sozial- und Gesundheitssysteme krisenfest und nachhaltig finanzierbar zu machen, steht und fällt nicht zuletzt damit, ob es gelingt, die globale epidemische Verbreitung von nichtübertragbaren Erkrankungen erfolgreich einzudämmen.“ Als vorrangig zählt McKee den Kampf gegen das Rauchen, die Reduktion des Salzkonsums und die Vorbeugung von Herzinfarkten und Schlaganfällen bei Risikopatienten auf: „Diese Maßnahmen müssen von allen Regierungsressorts mit starker Unterstützung der politischen Spitze geplant, getragen und umgesetzt werden – das ist keinesfalls nur Aufgabe der Gesundheitspolitik allein.“
28.10.2013