Tim Christian Kuhn (l), Assistenzarzt, und Prof. Dr. Florian Leuschner (r),...
Tim Christian Kuhn (l), Assistenzarzt, und Prof. Dr. Florian Leuschner (r), Geschäftsführender Oberarzt, im Labor an der Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie am Universitätsklinikum Heidelberg.

News • Herzinfarktforschung

Wie kommunizieren Herzzellen im Stress?

Forscher des Universitätsklinikums Heidelberg erhalten Wilhelm P. Winterstein-Preis für neue Methode zur Analyse von Eiweißstoffen, die Herzmuskelzellen unter Stress ausschütten.

Eine neue Methode, um gestressten Herzmuskelzellen „zuhören" zu können, haben Forscher des Universitätsklinikums Heidelberg entwickelt. Im Rahmen der Forschungsarbeiten wurden Proteine identifiziert, die bei einem Herzinfarkt eine Rolle spielen und eine Grundlage für mögliche therapeutische Ansätze geschaffen. Die Mediziner Prof. Dr. Florian Leuschner und Tim Christian Kuhn von der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie des Universitätsklinikums Heidelberg haben für ihre Arbeit jetzt den mit 10.000 Euro dotierten Wilhelm P. Winterstein-Preis der Deutschen Herzstiftung erhalten. Mit dem neuen Analyseverfahren, das sie in Kooperation mit weiteren Forschenden des Universitätsklinikums entwickelt haben, lässt sich untersuchen, wie Herzmuskelzellen nach einem Herzinfarkt kommunizieren.

„Die Forschungsarbeit liefert wichtige Erkenntnisse zu den herzschädigenden Mechanismen bei Herzinfarkt und anderen lebensbedrohlichen kardialen Ereignissen wie Herzschwäche. Damit tragen die Preisträger und ihr Team möglicherweise zur Entwicklung neuer Therapieaspekte bei", betont der Kardiologe und stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Herzstiftung, Prof. Dr. Thomas Voigtländer. Das Verfahren der Heidelberger Forscher basiert auf der Massenspektrometrie, eine in der Wissenschaft gängige Methode, mit der man Atome, Moleküle und Proteine analysieren kann. „Bislang war es nicht möglich, die Proteine, die bei der Kommunikation von Herzzellen ausgeschüttet werden, umfassend zu untersuchen", erklärt der Oberarzt und Heisenberg-Professor Florian Leuschner. „Deswegen haben wir die Massenspektrometrie verfeinert." Die Ergebnisse der prämierten Arbeit wurden im Mai 2020 im renommierten Fachjournal „Circulation" veröffentlicht.

Zellen nach einem Herzinfarkt retten

Die beiden Mediziner nahmen sich Herzzellen vor, die im Stress sind. Das ist zum Beispiel bei einem lebensbedrohlichen Herzinfarkt, den in Deutschland jedes Jahr rund 300.000 Menschen erleiden, der Fall. Ursache ist: Ein Herzkranzgefäß, das die Zellen mit Blut versorgt, ist verschlossen. Infolgedessen erhalten die Herzmuskelzellen nicht mehr ausreichend Sauerstoff und geraten in Stress. Herzmuskelgewebe stirbt ab, wie viel Gewebe betroffen ist, hängt davon ab, ob ein größeres Blutgefäß oder nur kleinere abgedichtet sind. „Im Zentrum des Infarktgeschehens sterben die Zellen sofort", sagt Florian Leuschner, der die Experimente geleitet hat. „In weiter entfernten Regionen leiden die Zellen zwar auch an Sauerstoffmangel. Sie sterben jedoch nicht sofort ab. Diese Zellen könnte man noch retten." Dieser Aspekt ist wichtig, um Folgeschäden nach einem Herzinfarkt zu minimieren. Im Herzen ersetzen vermehrt Bindegewebszellen, so genannte Fibroblasten, die abgestorbenen Herzzellen. Es entsteht eine Fibrose. Das Herz wird immer steifer und kann schließlich nicht mehr genügend Blut in den Körper pumpen. Eine Herzschwäche kann die Folge sein. „Um hier therapeutisch eingreifen zu können, ist ein genaues Verstehen der zugrundeliegenden Mechanismen von großer Bedeutung", ergänzt Prof. Dr. Norbert Frey, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie des Universitätsklinikums Heidelberg.

Schlüsselprotein für Fibrosebildung entdeckt

Bei ihren Untersuchungen setzten die Forscher Herzmuskelzellen aus Tiergewebe in eine so genannte Zellkammer. Das ist eine kleine Box, in der lebende Zellen geschützt unter die Lupe genommen werden können. „In der Kammer erhielten die Zellen aber nur 1,5 Prozent Sauerstoff", erläutert Assistenzarzt Tim Christian Kuhn das Vorgehen, „also deutlich weniger als unter physiologischen Bedingungen. Das heißt, die Zellen erlitten wie beim Herzinfarkt Sauerstoffmangel und damit Stress." Das Ergebnis der Untersuchungen: Die Mediziner fanden 42 Proteine, die von den gestressten Zellen entweder weniger oder verstärkt freigesetzt wurden. Einige davon waren im Zusammenhang mit dem Herzinfarkt bislang völlig unbekannt. „Das sind die für uns interessanten Proteine", hebt Kuhn hervor. Eines von ihnen ist das „Proprotein convertase subtilisin/kexin type 6" (PCSK6), dessen Funktion bislang unbekannt war. Die Heidelberger Forscher haben in ihren Experimenten nun entdeckt, dass dieses Eiweiß möglicherweise eine wichtige Rolle bei der Entstehung einer Fibrose im Herzen spielt.

Diese Ergebnisse lassen sich vermutlich auch auf menschliche Herzzellen übertragen. So zeigte sich im Blut von Patienten nach einem Herzinfarkt vermehrt PCSK6. „Am höchsten war der Level im Blut am dritten Tag nach dem Infarkt", so Mediziner Kuhn. Patienten könnte PCSK6 nach einem Herzinfarkt in Zukunft doppelt dienen: Erstens, indem man das Protein therapeutisch blockiert und so eine Fibrose und die damit einhergehende Herzschwäche bremst. Zweitens könnte es als Biomarker im Blut anzeigen, dass die Herzzellen nicht genug Sauerstoff bekommen.

Quelle: Deutsche Herzstiftung und Universitätsklinikum Heidelberg


05.12.2020

Verwandte Artikel

Photo

News • Fortschritt für Forschung

Herzinfarkt: KI liefert Messergebnisse in Sekunden

Um die Größe eines Herzinfarktes in Laborversuchen zu bestimmen, werten Forschende Bilder bislang „von Hand“ aus. Der Einsatz von KI erledigt diesen sehr zeitaufwändigen Schritt in Sekunden.

Photo

News • Faktorenanalyse

Mit Multi-Omics den Signaturen des Herzinfarkts auf der Spur

Ein Forscherteam hat umfassend analysiert, wie sich das Immunsystem nach einem Herzinfarkt verhält. So könnte anhand von Multi-Omics-Analysen aus Blutproben der klinische Verlauf beurteilt werden.

Photo

News • Kein Rückschluss auf Versorgungsmängel in Deutschland

Sterblichkeit nach Herzinfarkt: Entwarnung trotz hoher Zahlen

Wie gut ist die Versorgung nach einem Herzinfarkt in Deutschland? Der OECD-Vergleich zur 30-Tage-Mortalität zeichnet ein düsteres Bild – allerdings nur auf den ersten Blick.

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren