WCN 2013: „Neurologie im Zeitalter der Globalisierung“

21. Weltkongress für Neurologie, Wien, 21.-26. September 2013

Neurologische Erkrankungen verursachen nicht nur erhebliches Leid und Verlust an Lebensqualität, sondern auch enorme Kosten, betont Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Präsident des Weltkongresses für Neurologie.

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Präsident des Weltkongresses für Neurologie auf...
Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Präsident des Weltkongresses für Neurologie auf der Pressekonferenz

Zwölf von 100 Menschen sterben aufgrund einer neurologischen Störung. Zwar sind große Behandlungsfortschritte zu verzeichnen, doch noch herrschen drastische Ungleichheiten beim Zugang zu neurologischer Versorgung. Ein Schlüssel zur Verbesserung ist globale Vernetzung.

„Neurologische Störungen machen laut WHO zwischen elf und 4,5 Prozent der Krankheitslast aus, je nachdem, ob ein Hoch- oder Niedriglohnland betrachtet wird. Das sind weit mehr als Erkrankungen der Atemwege, des Verdauungssystems oder bösartige Tumorerkrankungen. WHO-Prognosen zufolge wird diese Belastung in den nächsten Jahren stark ansteigen. Gleichzeitig haben, global betrachtet, viele Menschen keinen oder nur unzureichenden Zugang zu neurologischer Versorgung. Wir müssen uns daher vehement für mehr globale Zusammenarbeit in der Forschung und der Aus- und Weiterbildung sowie für mehr Mittel in der klinischen Versorgung einsetzen, um die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können. Die Dimension neurologischer Erkrankungen wird nach wie vor unterschätzt, sollte aber größte gesundheitspolitische Priorität genießen“, betonte Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff (AKH/ Medizinische Universität Wien), Präsident des Weltkongresses für Neurologie. Dieses wissenschaftliche Großereignis mit mehr als 8.000 Teilnehmer/-innen findet derzeit in Wien statt.

Verlust von Millionen von (gesunden) Lebensjahren

Laut WHO werden die sogenannten DALYs (Disability Adjusted Life Years: die Zahl der verlorenen Lebensjahre durch vorzeitigen Tod kombiniert mit dem Verlust an Lebenszeit durch Behinderung) aufgrund neurologischer Krankheiten weltweit von 92 Millionen im Jahr 2005 auf 103 Millionen 2030 ansteigen – eine alarmierende Zunahme von 12 Prozent. Drastisch in die Höhe schnellen werden, schon aufgrund der demographischen Entwicklung, vor allem verlorene Lebensjahre in Zusammenhang mit Alzheimer und anderen demenziellen Erkrankungen, und zwar um 66 Prozent. Infektionsbedingten neurologischen Krankheiten wie Poliomyelitis, Tetanus, Meningitis und der Japanischen Enzephalitis wird dagegen ein Rückgang um 57 Prozent vorausgesagt. „Ein gutes Beispiel, was durch gezielte Prävention und Therapie erreicht werden kann, aber von diesen Krankheiten sind vergleichsweise wenige Menschen betroffen. Der Löwenanteil der DALYs aufgrund neurologischer Störungen entfällt mit mehr als 55 Prozent auf zerebrovaskuläre Krankheiten wie Schlaganfall und Hirnblutungen. Zwölf Prozent gehen auf das Konto von Alzheimer oder anderen demenziellen Erkrankungen, acht Prozent jeweils auf Epilepsie und Migräne“, erläuterte Prof. Auff.

12 von 100 sterben an neurologischen Erkrankungen

Neurologische Erkrankungen stellen auch eine bedeutsame Todesursache dar: Sie verursachen laut WHO weltweit zwölf Prozent der Todesfälle, wobei es Unterschiede je nach ökonomischem Status gibt. Länder im unteren mittleren Einkommenssegment sind mit fast 17 Prozent der Todesfälle am meisten betroffen, weil hier infektionsbedingte und nicht-übertragbare neurologische Krankheiten gemeinsam zum Tragen kommen. Schlaganfall und andere zerebrovaskuläre Störungen führen von allen neurologischen Krankheiten mit 85 Prozent mit Abstand am häufigsten zum Tod.

Die Krankheitslast ist ungleich verteilt, manche neurologische Erkrankungen treten in unterschiedlichen Teilen der Welt in unterschiedlicher Häufigkeit auf, oder betreffen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen.

Hohe Kosten, ungleich verteilte Ressourcen

Die Kosten aufgrund neurologischer Erkrankungen sind empfindlich hoch: Allein für Europa betrugen sie laut den jüngsten, vom European Brain Council und der CDBE2010 Study Group publizierten Zahlen, 798 Milliarden Euro. Diese bestehen nur zu 37 Prozent aus direkten Gesundheitskosten. Der Rest sind direkte nicht-medizinische Kosten (23 Prozent) und indirekte Kosten (40 Prozent), die beispielsweise durch Krankenstände und Frühpensionierungen entstehen. In der Studie wurden Daten zu insgesamt 19 Erkrankungen berücksichtigt.

„Die Ressourcen für neurologische Diagnostik und Therapie und der Zugang zur Versorgung sind weltweit sehr unterschiedlich verteilt, wie auch beim WCN präsentierte Studien zeigen“, so WCN-Präsident Prof. Auff. „Nicht einmal neun Prozent der Weltbevölkerung, so hat die WHO gezeigt, verfügen pro 10.000 Einwohner/-innen über mehr als ein Spitalsbett in einer neurologischen Einrichtung. Besonders große Mängel gibt es in Südostasien und Afrika. Stehen in wohlhabenden Ländern durchschnittlich drei Neurologen/-innen pro 100.000 Personen zur Verfügung, sind es in einkommensschwachen Ländern nur 0,03, was deutlich unter jeder Empfehlung liegt“, so der WCN-Präsident. Besonders bedauerlich ist, wenn Patienten/-innen nicht einmal Zugang zu einfachsten Heilmitteln haben: 90 Prozent der Epilepsie-Patienten/-innen in Entwicklungsländern werden nicht adäquat behandelt, berichteten afrikanische Forscher auf dem WCN. „Bezeichnenderweise fehlen in vielen unterversorgten Ländern auch medizinische Fachgesellschaften und NGOs, die sich für Fortbildung, Behandlungsrichtlinien oder auch Ressourcen für medizinische Einrichtungen und Betroffene einsetzen würden“, so Prof. Auff. „Der Weltkongress für Neurologie steht aus gutem Grund unter dem Motto ‚Neurologie im Zeitalter der Globalisierung‘, er kann in diesem Zusammenhang zu einer positiven Globalisierung beitragen und den internationalen Wissensaustausch anregen“, ist Prof. Auff überzeugt.

Globale Vernetzung in der Forschung

„Um der wachsenden Last neurologischer Erkrankungen angemessen zu begegnen, bedarf es eines gut abgestimmten Generalkonzepts für Grundlagenforschung und klinisch-angewandter Forschung. Die Globalisierung bietet hier eine Chance, sie fördert gemeinsame Anstrengungen für die Etablierung internationaler Forschungsprogramme“, so der WCN-Präsident. „Daraus und aus der länderübergreifenden Kooperation bei Studien und klinischen Prüfungen ist ein Fortschritt für die betroffenen Patienten/-innen zu erwarten.“

Dies sei schon deshalb wichtig, um die enormen diagnostischen und therapeutischen Fortschritte, die die Neurologie in den vergangenen Jahren gemacht habe, weiter voranzutreiben. „Nur einige Beispiele: Die Akutbehandlung des Schlaganfalls hat sich durch wesentliche organisatorische Maßnahmen und die Etablierung von Schlaganfallzentren und die Möglichkeiten der interventionellen Therapie wesentlich gewandelt. Die Folge ist eine deutliche Reduktion der Mortalität bzw. der nachfolgenden Behinderung. Durch die rasche und exakte Diagnostik der Multiplen Sklerose kann nun durch frühzeitige gezielte Therapie mit modernen Medikamenten der weitere Krankheitsverlauf wie nie zuvor beeinflusst, Behinderungen können hintangehalten werden. Neurogenetische Untersuchungsergebnisse haben uns bei vielen neurologischen Erkrankungen neue Erkenntnisse für die systematische Einordnung gebracht, oftmals sind aber auch pathogenetische Zusammenhänge klarer geworden“, fasste Prof. Auff einige Erfolge seines Fachgebiets zusammen.

Quellen: Olesen J et al.: The economic cost of brain disorders in Europe. European Journal of Neurology 2012, 19: 155-162; WHO: Neurological Disorders: Public Health Challenges, Chapter 2, Global Burden of Neurological Disorders. Estimates and Projections; WHO-Atlas, Country Ressources for Neurological Disorders; WCN Abstract: Mbugua, Epilepsy: A Global Cry...Raising up the Volume

23.09.2013

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