Artikel • Health-IT
Umgang mit Gesundheitsdaten: Knifflig, aber lohnend
Neue Ansätze und starke Aussagen beim Health Insurance Hack&Con in Leipzig
Bericht: Michael Reiter
Es war die dritte Ausgabe des „Health Insurance Hack&Con”: Anfang September brachte die Leipziger Kombination von Hackathon und Kongress Vertreter der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), Gesundheitsversorger, Informatik-Experten und Politiker hybrid zusammen. Eingeladen aufs Podium waren auch Vertreter großer Technikfirmen; welche Rolle spielen diese Anbieter auf der Bühne der Gesundheitsinnovation?
Mit innovativen Lösungen sollen Vorgänge rund um die GKV verbessert werden – mehr Prävention, schlankere Abläufe bei den Kassen, bessere Interaktion mit den Leistungspartnern und eine stärkere Bindung und Motivation der Versicherten. Mit diesen Zielsetzungen im Blick machten sich 11 Teams mit insgesamt 80 Hackern in 40 Stunden daran, neue Lösungen zu entwickeln. Sechs Kassen waren als Partner dabei. Die Jury aus Kassenvertretern und das Publikum vergaben insgesamt vier Preise.
„Gesundheit in der Hosentasche“
„Wo stehen wir bei der Innovation im Gesundheitswesen? Viel ist geschafft, noch mehr liegt vor uns“, sagte Yves Rawiel, Geschäftsführer des Health-IT-Unternehmens Davaso, zum Start des begleitenden Kongresses. Der Hackathon diene insbesondere dazu, dem Endverbraucher das Leben zu vereinfachen. Mit dem Stichwort „Gesundheit in der Hosentasche“ fasste Rawiel in seiner Begrüßung das Ziel von Digital Health zusammen. Christian Klose vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) erläuterte, die zahlreichen Gesetze der auslaufenden Legislaturperiode dienten dazu, das Gesundheitswesen fit für die Zukunft zu machen. Hierzu soll die Forschung stärker digital mit der Versorgung verknüpft werden. Die Durchsetzung von elektonischer Patientenakte (ePA), eRezept, eAU & Co. seien laut dem BMG Elemente einer dringend nötigen Aufholjagd im internationalen Vergleich. Kassen agieren dabei als wichtige Treiber bei Teilzielen, die unter anderem Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) über die ePA als Teil des Primärsystems der Ärzte vorsehen. Allerdings wurden die Applikationen für die ePA bislang nur 240.000-mal heruntergeladen – das bedeutet, dass die Attraktivität dieser neuen Angebote gesteigert werden muss, unterstrich Klose. „Digitalisieren ist harte Arbeit – aber einer der besten Jobs für die Welt einer besseren Gesundheitsversorgung.“
Die schwersten Schritte sind die ersten Schritte – dieses Statement Kloses kommentierte Claus Munsch, Vertriebschef beim eHealth-Softwareentwickler HMM Deutschland, mit der Notwendigkeit, die neuen Rahmenbedingungen mit Inhalten zu füllen. So ließen sich Meta-Diskussionen ohne Praxisbezug mit guten Argumenten abbauen. Die Kassen hätten als einzige Akteure in der Gemengelage der Innovation die vorgegebenen Termine bei der Einführung eingehalten, betonte Dr. Hans Unterhuber, Vorstandsvorsitzender der Siemens-Betriebskrankenkasse SBK. Er plädierte dafür, den Nutzen dieser Anwendungen in der Breite zu demonstrieren, anstatt zur Durchsetzung auf Sanktionen zu setzen.
Dr. Stefan Knupfer, einer der Vorstandsvorsitzenden der AOK Plus, betonte, dass sich in der Zeit, in der die ePA noch nicht biete, was von ihr erwartet wird, diese Akzeptanz durch gute Kommunikation schaffen ließe – etwa durch Schulungen in den Zielgruppen. So könne man verhindern, „dass Datenschutz in zehn Jahren zur häufigsten Todesursache wird“.
Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren
Artikel • Verwendung von Gesundheitsdaten
eAkte: Geht Datenschutz vor Patientenwohl?
Eigentlich lautete der Titel des Vortrags von Prof. Dr. Ferdinand M. Gerlach bei der Medica 2020 „EU-weite Verwendung von Gesundheitsdaten – Chancen und Risken“, doch in der anschließenden Diskussion landete der Experte schließlich bei den in seinen Augen überzogenen Datenschutzregelungen in Zusammenhang mit der geplanten Elektronischen Gesundheitsakte.
Big Tech im Gesundheitswesen: Status Quo, Ambitionen & Herausforderungen
Was leisten Anbieter, wie lauten ihre Erwartungen – und wie werden ihre Aktivitäten im Markt bewertet? Diese Fragen diskutierte ein Panel mit Hans-Jürgen Bruhn, Bereichsleiter Kundenservice der Krankenkasse Viactiv; Jens Dommel, Leiter des Healthcare-Bereichs EMEA bei Amazon Web Services (AWS); Timo Levi, IT-Mitarbeiter bei T-Systems International; Dieter Loewe, Geschäftsführer des GKV-Dienstleisters itsc; Thilo Mahr, Experte für Digitale Gesundheitsdienstleistungen bei Siemens Healthineers, und Kai Swoboda, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der IKK classic.
IT-gestützte Innovation brauche ein Rückgrat, so die zentrale Botschaft von Dommel; AWS, auch als Partner von Startups, ermögliche es Regierungen, Dienstleistungen in kurzer Zeit in Betrieb zu nehmen und IT-Abläufe aufrechtzuerhalten. Dank der Siemens-Lösung „Teamplay“ lasse sich die Interaktion zwischen Akteuren im Gesundheitswesen abbilden, sagte Mahr. Als Beispiel nannte er die Befüllung der ePA mit Daten durch Ärzte. Loewe betonte, IT-Lösungen könnten eine Möglichkeit für GKV darstellen, sich am Markt gegenüber ihren Mitbewerbern abzuheben.
Swoboda zeigte sich erfreut darüber, dass sich Big-Tech-Unternehmen in diesen zerstückelten, regulierten Markt hineintrauen. Die Pandemie habe dessen gesellschaftliche Relevanz hervorgehoben, die mehr Beachtung finden sollte. Dafür bedürfe es eines „gesamthaften Ansatzes“. Seine Größe mache diesen Markt attraktiv, unterstrich Bruhn, und der Datenschatz trage ein enormes Potenzial. Mit seiner Hilfe lasse sich Vorsorge verbessern und das Gesundheitssystem insgesamt auf ein zeitgemäßes, Digital-basiertes Fundament stellen.
Das Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichem Wettbewerb und Kooperation zur Nutzung digitaler Potenziale sprach Löwe an. Er sah die größte Herausforderung in der Aufgabe, einen Konsens herzustellen, der beiden Seiten gerecht werde. Dommels Vorschlag lautete, den Kunden – ob Patient oder gesund – und seine Probleme in den Mittelpunkt zu stellen und für die Entwicklung von Angeboten an die Zielgruppe Kooperationspartner zu suchen. Die Cloud sei dabei das Fundament der technologischen Zukunft – so müsse man sich keine Gedanken mehr machen über Infrastruktur. Das europäische Dateninfrastrukturprojekt Gaia-X liefere die Basis dafür, Cloud-Anbieter interoperabel zu machen und die Wertschöpfung, die sich aus dem Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) ergibt, unter Kontrolle behalten, sagte Mahr. Datenschutz-Hürden müssten gelöst werden, „sonst graben uns internationale KI-Anbieter das Wasser ab“. Und er betonte, dass auch die Nichtnutzung von Daten für den medizinischen Fortschritt eine ethische Herausforderung darstelle.
Big-Tech-Panel: Rahmenbedingungen für F&E verbessern, Akzeptanz schaffen
Die Liste der vom Panel aufgestellten Forderungen war ambitioniert: Landeskrankenhausgesetze harmonisieren, um länderübergreifende Forschung zu vereinfachen; gleichberechtigten Zugang zu Forschungsdaten auf Bundes- und EU-Ebene für öffentliche und private Forschung. Als Beispiel dafür, wie sich diese Ziele erreichen ließen, wurden das Forschungsdatenzentrum des statistischen Bundesamts herangezogen; Dort lassen sich Gesundheitsdaten DSGVO-konform in einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem erheben; darüber hinaus sollte ihre Nutzung durch die öffentliche Hand ebenso wie von privater Seite möglich sein. Um Ängste hinsichtlich der Verarbeitung von Gesundheitsdaten auszuräumen, sei die Stärkung digitaler Kompetenz im Umgang mit Daten in Schule, Lehre und Fachausbildung der Schlüssel, so die Experten. Dies schaffe die Grundlage für den Zugang zu großen Mengen hochwertiger Daten für die Entwicklung hochwertiger Algorithmen und eine nachhaltige Entwicklung von KI in Deutschland und Europa, lautete der abschließende Ausblick der Runde.
15.09.2021