Artikel • Bildgebung mit enormem Potenzial
Niedrigfeld-MRT: Wenn weniger mehr ist
Scanner mit Feldstärken im Bereich von 0,05 bis 0,5 Tesla erweitern die Möglichkeiten der Magnetresonanztomographie (MRT) in mehrfacher Hinsicht.
Bericht: Michael Krassnitzer
Zwei gegenläufige Entwicklungen zeichnen sich derzeit auf dem Gebiet der MRT ab: Zum einen geht der Trend bei der Standard-MRT in der klinischen Anwendung von der ursprünglich gängigen Feldstärke von 1,5 Tesla hin zu Geräten mit einer Feldstärke von drei Tesla. Zum anderen kamen in den letzten zwei Jahren Geräte mit einer geringeren oder sogar deutlich geringeren Feldstärke auf den Markt. Niedrigfeld-MRT im Bereich von einem halben Tesla sowie Ultraniedrigfeld-MRT, deren Feldstärke nochmal um etwa das Zehnfache niedriger liegt, waren Thema in einer Session des Europäischen Radiologiekongresses (ECR 2021).
„Die große Herausforderung bei diesen MRT ist das ungünstigere Signal-Rausch-Verhältnis“, sagt Prof. Dr. Andrew G. Webb, Direktor des Zentrums für Hochfeld-MRT am Universitätsklinikum Leiden (Niederlande). Im Vergleich zu 1,5T ist das Signal-Rausch-Verhältnis bei 0,55T um den Faktor sechs geringer, bei 0,055T reduziert es sich sogar um den Faktor 300. Und naturgemäß strebt man auf dem Gebiet der MRT zu einem möglichst guten Verhältnis der bildgebenden Anteile (Signal) zu den statistisch bedingten Störsignalen (Rauschen). Niedrigfeld-bzw. Ultraniedrigfeld-MRT verfügen jedoch auch über Vorteile gegenüber den Standard-MRT.
Webb legt die Trümpfe der Niedrigfeld-MRT auf den Tisch: An erster Stelle stehen dabei die geringeren Anschaffungs- und Standortkosten. Niedrigfeld-MRT ist auch weniger anfällig für Artefakte, die durch medizinische Implantate entstehen, sowie für die unerwünschten Effekte von mit Luft gefüllten Hohlräumen (Lunge, Nasenraum). Die spezifische Absorptionsrate liegt um das Zehnfache niedriger, die Wellenlänge der magnetischen Wellen liegt über der kritischen Länge für Implantate. „Aus diesem Grund müssen wir uns wenig Sorgen um Kontraindikationen machen“, betont Webb. Das Gradientenrauschen ist leiser, so dass die Lärmbelastung deutlich geringer ausfällt. Auch bei den Kernspinrelaxationszeiten bietet Niedrigfeld-MRT Vorteile: Die T1-Zeit ist signifikant kürzer als bei 1,5T, die T2*-Relaxationszeit wiederum signifikant länger.
Gewissermaßen einen neuen Standard hat Siemens Healthineers mit dem Magnetom Free.Max gesetzt, der im Vorjahr auf den Markt gekommen ist und über eine Feldstärke von 0,55T verfügt. Mit diesem Gerät können Lunge, Abdomen, Gehirn sowie kardiovaskuläre Strukturen untersucht werden, überdies können auch bildgestützte Interventionen durchgeführt werden. „Es handelt sich im Grunde um einen Standard-MRT-Scanner“, meint Prof. Dr. Matthieu Sarracanie vom Departement Biological Engineering der Universität Basel. Dessen Vorteile sieht der Physiker in seinem geringen Gewicht (3.200 kg) sowie in seiner Kompaktheit, der weiten Tunnelöffnung und dem geschlossenen Kühlsystem, so dass kein flüssiges Helium nachgefüllt werden muss. Die Nachteile des Systems seien die im Vergleich zu einer Feldstärke von 1,5T limitierte Auflösung und dass es in Sachen Standort und benötigter Infrastruktur kaum einen Unterschied zu Standard-Scannern gibt.
Bildquelle: Siemens Healthineers
Im Sektor der Ultraniedrigfeld-MRT hat der Hyperfine-Scanner, der 2019 auf den Markt kam, mit einer Feldstärke von 0,054 Tesla neue Maßstäbe gesetzt. Mit einem Gewicht von 630 Kilogramm und der Größe eines Nachtkästchens ist dieser Scanner mobil und erlaubt den Einsatz direkt am Patientenbett, in erster Linie im Notfallsetting. Keine Standortkosten, keine spezielle Stromversorgung, keine speziellen Kühlungserfordernisse, noch weniger Artefakte, die durch medizinische Implantate entstehen, sowie keine unerwünschten Effekte aufgrund von Luft: dies sind die Vorteile des Geräts, die Webb auflistet.
„Die Länge der magnetischen Wellen ist so groß, dass die kritische Länge für Implantate 75 Meter beträgt – das ist aus medizinischer Sicht irrelevant“, sagt der Physiker. „Dieses Gerät hat ein enormes Potenzial“, schwärmt Sarracanie, der Hyperfine mitbegründet hat. Auch er verweist auf die geringen Kosten – diese liegen bei 30.000 Dollar plus einer monatlichen Gebühr –, den Wegfall eines fixen Standortes, den kleinen ökologischen Fußabdruck und die Tatsache, dass das Gerät über eine gewöhnliche Steckdose mit Strom versorgt werden kann. Er nennt allerdings auch Nachteile: So ist jedes Gerät für eine spezifische Untersuchung maßgeschneidert. Und bislang könnten nur Untersuchungen von Gehirn und Extremitäten durchgeführt werden. Überdies handle es sich um ein proprietäres System, in dem zum Beispiel die Bilder nur über die unternehmenseigene Cloud verfügbar sind.
Open-source-Projekte sollen Scanner für jeden verfügbar machen
Es gibt freilich auch nicht-kommerzielle Ultraniedrigfeld-Systeme. Am Universitätsklinikum Leiden haben Webb und sein Team ein tragbares Gerät mit einer Feldstärke von 0,05 T gebaut, das für Neuroimaging eingesetzt wird. „Unser Ansatz basiert nicht auf großen und schweren Magneten, sondern auf einer Vielzahl von kleinen Magneten mit den Maßen einer Cent-Münze“, erklärt Webb. Die zwölf Millimeter kleinen würfelförmigen Magneten werden auf Plexiglasringen angeordnet, insgesamt kommt der Scanner auf 23 derartiger Ringe mit 2848 Magneten. Die Kosten: 4.000 Euro plus ein paar weitere Tausend Euro für Gradienten- und RF-Spulen, Gradientenverstärker sowie RF-Verstärker. „Es handelt sich um ein Open-source-Projekt. Jeder, der will, kann einen solchen Scanner nach unseren Plänen bauen.“ Auch diese Geräte sind jeweils für eine bestimmte Untersuchung maßgeschneidert, etwa für den Einsatz bei pädiatrischem Hydrocephalus.
Gedacht ist das System vor allem für den Einsatz in Entwicklungsländern. „70 Prozent der Weltbevölkerung haben keinen Zugang zu MRT“, unterstreicht Webb. Aufgrund der geringen Kosten, der Mobilität und der einfachen Stromversorgung könnte Ultraniedrigfeld-MRT die Segnungen der Magnetresonanztherapie auch in die unterentwickelten Länder tragen.
ESR/EFOMP – High-field vs low-field MRI: time for a re-think?, ECR 2021, Wien 4. 3. 2021
11.03.2021