Interview • Knifflige Knoten
Nach wie vor nicht ohne – das Schilddrüsenkarzinom
Seit Speisesalz im deutschsprachigen Raum mit Jod angereichert wird, haben sich Schilddrüsenerkrankungen stark verändert.
Interview: Lena Petzold
Aggressive, follikuläre Tumore sind seltener geworden, das papilläre Schilddrüsenkarzinom hingegen tritt vergleichsweise häufig auf. Bessere Ultraschallsysteme und spezifische Klassifizierungskriterien helfen bei der Detektion, so das Urteil des Nuklearmediziners und Schilddrüsenspezialisten Univ. Doz. Dr. Georg Zettinig.
Wie oft werden Schilddrüsenknoten entdeckt?
Schilddrüsenknoten sind gerade im deutschsprachigen Raum eine weitverbreitete Pathologie, sie werden meist zufällig im Rahmen von Screening-Untersuchungen detektiert. Nur ein geringer Prozentsatz ist weiter behandlungsbedürftig, jedoch können sich aus Schilddrüsenknoten auch Karzinome entwickeln. In Österreich ist dieser Tumor inzwischen bei Frauen das acht-, bei Männern das zwölfhäufigste Karzinom, allerdings mit verschwindend geringer Mortalität. Ein Teil des Anstiegs erklärt sich durch die verbesserte Diagnostik und optimierte histologische Aufarbeitung. Die Schwierigkeit besteht heute darin, trotz des hohen Aufkommens, jene Patienten mit malignomsuspekten oder funktionell autonomen (heißen) Knoten schnell zu identifizieren und sie der weiteren Diagnostik und Behandlung zuzuführen.
Wie lässt sich erkennen, ob ein Knoten gutartig oder bösartig ist?
Der Ultraschall dient als Basisuntersuchung zur Knotenabklärung. Bei Bedarf müssen zusätzlich andere Verfahren wie Szintigrafie und ultraschallgezielte Feinnadelpunktion eingesetzt werden. Ein heißer Knoten, der ohne Regelkreis autonom-funktionell Schilddrüsenhormon produziert, kann beispielsweise nur durch eine Schilddrüsen-Szintigrafie detektiert werden. Ein kalter Knoten kann ein malignes Schilddrüsenkarzinom darstellen, wobei drei Arten des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms unterschieden werden: das papilläre Schilddrüsenkarzinom, das fast 80 Prozent der Befunde ausmacht, das follikuläre und das medulläre Karzinom.
Zur Klassifizierung von Schilddrüsenknoten im Ultraschall werden zunehmend Scoring-Modelle verwendet, die durch die Weiterentwicklung der Sonografie in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen haben. Die ersten Modelle wurden 2007 von zwei unabhängig agierenden Arbeitsgruppen in Chile und Korea entwickelt und in den Folgejahren intensiv verfeinert. Leider gibt es kein typisches sonografisches Muster für ein Schilddrüsenkarzinom. Mittlerweile hat sich eine Gruppe klar definierter Merkmale, die auf Bösartigkeit eines Knotens hinweisen, durchgesetzt: eine rein solide Komponente, eine deutlich hypoechogene Struktur, das Vorliegen von Mikrokalk, das „more tall than wide“ Phänomen (Wachstum gegen die Architektur der Schilddrüse) und der irreguläre bzw. mit Mikrolobuli begrenzte Randsaum. Diese Kriterien finden sich sowohl in den 2016 neu zusammengefassten Guidelines der amerikanischen Schilddrüsengesellschaft als auch in den von der Europäischen Schilddrüsengesellschaft im August 2017 publizierten Richtlinien zur Risikostratifizierung von Schilddrüsenknoten. In Korea und den USA ist zusätzlich eine mild herabgesetzte Echostruktur im Knoten ein Kriterium für Bösartigkeit, in Europa scheint dies – möglicherweise aufgrund der unterschiedlichen Jodversorgung - kein starkes Malignitätskriterium zu sein.
Welche Ultraschalltechniken werden zur Klassifizierung eingesetzt?
Die klassische B-Mode-Sonografie mit einer Zehn- oder Zwölf-Megaherz-Sonde ist optimal für die Klassifizierung. Höherfrequente Sonden können problematisch sein, weil ihre Eindringtiefe bei großen Strumen zu gering ist, um die gesamte Schilddrüse abzubilden. Ebenfalls essenziell für die Diagnose ist die Farbdoppler-Technik. Nach der Risikostratifizierung im Ultraschall schließt sich häufig eine Szintigrafie, die Interpretation der Blutparameter und/oder eine Feinnadelpunktion zur abschließenden Beurteilung an. Das medulläre Karzinom ist das einzige Schilddrüsenkarzinom, das durch abnorme Blutwerte auffällt. Hier ist der Kalzitonin Wert im Blut erhöht. Im deutschsprachigen Raum bleiben Sonografie, Punktion, Szinitigrafie und die Interpretation der Blutparameter oftmals in einer Hand. Diese stringente Betreuung aus einer Hand bietet große Vorteile für die Patienten.
Warum entstehen Schilddrüsenknoten?
Bei der Entstehung von Schilddrüsenknoten spielt Jodmangel eine entscheidende Rolle. Österreich und Deutschland waren jahrtausendelang Jodmangel-Gebiet, bis in beiden Ländern prophylaktisch das Speisesalz jodiert wurde. Österreicher, die vor der Nahrungsmittelergänzung 1963 geboren wurden, sind deshalb noch wesentlich häufiger von Schilddrüsenknoten betroffen als jüngere Jahrgänge. Im Zuge der Jod-Prophylaxe hat sich das Muster bei Schilddrüsenerkrankungen wesentlich verändert. Die aggressiven follikulären Karzinome nahmen ab, Kröpfe bildeten sich zurück und anaplastische Karzinome verschwanden fast vollständig von der Bildfläche. Die Häufigkeit von kleinen papillären Karzinomen hat in Relation dazu allerdings zugenommen.
Muss ein Karzinom immer operativ entfernt werden?
Deutschland und Österreich sind die Länder, in denen weltweit am häufigsten Schilddrüsenoperationen durchgeführt werden. In Japan und inzwischen auch in Amerika gibt es hingegen Therapiekonzepte, die nicht unmittelbar operativ eingreifen. Bei bestimmten Konstellationen des papillären Mikrokarzinoms, einer Vorstufe des Karzinoms, wird der Ansatz der „active surveillance“ verfolgt, bei der statt eines direkten Eingriffs zunächst eine präzise und engmaschige Überwachung angeordnet wird. Inzwischen gibt es langjährige Beobachtungen zur Effektivität des Konzepts aus dem japanischen Raum. In Österreich und Deutschland kommt diese Form der Therapie noch nicht zum Einsatz. Da Operationen immer ein Risiko darstellen – bei Schilddrüseneingriffen können neben den gängigen Komplikationen vor allem eine Rekkurensparese und eine Schädigung der Nebenschilddrüsen auftreten – könnte die Anwendung von „active surveillance“ bei entsprechend erfolgreichen Studien auch bei uns bei speziellen ausgewählten Patienten durchaus sinnvoll sein.
Profil:
Univ. Doz. Dr. Georg Zettinig ist Gründer und Betreiber der Schilddrüsenpraxis Josefstadt. Er ist niedergelassener Facharzt für Nuklearmedizin und Arzt für Allgemeinmedizin, Gründungsmitglied der Österreichischen Schilddrüsengesellschaft und hat mehrere anerkannte Fachbücher und einen Patientenratgeber zum Thema Schilddrüse verfasst. Seit 2014 ist er außerdem Leiter des Arbeitskreises Kopf-Hals der Österreichischen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (ÖGUM).
Veranstaltungshinweis:
Freitag, 13. Oktober 2017, 8:30 10:00
Raum: Split-Meeting 11
RK 27 Leitliniengerechte Abklärung von Schilddrüsenknoten
Sonografische Dignitätsbeurteilung von Schilddrüsenknoten
Georg Zettinig (Wien/AT)
13.10.2017