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Artikel • Strukturanpassungen im Gesundheitssystem
Mehr Wettbewerb bei Krankenhäusern oder Krankenkassen?
Kurz vor dem Europäischen Gesundheitskongress Ende September in München sorgte eine Pressemitteilung des Veranstalters für Aufregung im Bundeskartellamt. „Blockt das Bundeskartellamt sinnvolle Strukturanpassungen im Kliniksektor“ lautete die Überschrift.
Bericht: Sonja Buske
Im darauffolgenden Text war von 40 Krankenhausfusionen die Rede, die das Bundeskartellamt bisher verhindert haben soll. Vor dem Hintergrund der kürzlich veröffentlichten Bertelsmann-Studie, die die Schließung jedes zweiten Krankenhauses in Deutschland fordert, gewinnt diese Aussage zusätzlich an Brisanz. „Diese Zahl ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar“, äußert sich Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, und korrigiert: „Von Anfang 2003 bis September 2019 haben wir 309 Transaktionen geprüft und nur sieben davon untersagt. Das ist eine Quote von nur 2,3 Prozent. Wie soll eine so geringe Untersagungsquote sinnvollen Strukturanpassungen entgegenstehen?“
Sind Krankenhausfusionen aus kartellrechtlicher Sicht kritisch zu beurteilen oder kommen Häuser aus anderen Gründen nicht zusammen, sind Kooperationen eine sinnvolle Alternative
Andreas Mundt
Die Bertelsmann-Studie sieht Mundt kritisch, sie ziehe andere Daten für ihre Analyse heran als das Bundeskartellamt. „In der Studie wurden lediglich die Standorte betrachtet, nicht aber die Träger. Für uns sind hingegen die Träger wichtig, da nur sie im Wettbewerb miteinander stehen.“ Als Beispiel führt er die Stadt Köln an: „Die Studie besagt, im Norden von Köln sei künftig nur eines von den bislang vier Krankenhäusern nötig. Betrachtet man hingegen die Trägerschaft, gibt es dort bereits jetzt schon nur einen Krankenhausträger, allerdings mit vier Standorten. Es wird also eine ganz andere Grundlage herangezogen, als die, die wir aus wettbewerblicher Sicht für wichtig erachten. Vor dem Hintergrund, den wir beleuchten, ist die Bertelsmann-Studie in weiten Teilen nicht aussagekräftig. Ich bin mir sicher, dass die Träger selbst am besten wissen, welche Standorte zusammengelegt werden sollten, um wirtschaftlich arbeiten zu können.“
Bei der Entscheidung, ob eine Fusion zulässig ist oder nicht, spielt für das Kartellamt zunächst eine Rolle, welche Patienten von einem Zusammenschluss betroffen wären. Dazu wird ermittelt, aus welchen Postleitzahlengebieten die Patienten stammen. Für die wettbewerbliche Beurteilung kommt es dann darauf an, welche Häuser aus Sicht dieser Patienten austauschbar sind und im regionalen Wettbewerb miteinander stehen. Hätten die Patienten nach einer Fusion kaum noch Krankenhäuser eines anderen Trägers als Ausweichalternative, ist die Fusion kritisch, denn: „Wir glauben nach wie vor, dass Wettbewerb ein wichtiger Faktor für die Qualitätssicherung im Krankenhaussektor ist. Durch Wettbewerb sind die Häuser stetig gefordert, mehr Qualität zu bieten, um Patienten für sich zu gewinnen, und das kann nur gut sein.“
Der Präsident des Bundeskartellamts erklärt auch, dass wettbewerblich problematische Fusionen auch unter Auflagen genehmigt werden können. Zudem sieht er weitere Möglichkeiten, um Strukturanpassungen im Kliniksektor vorzunehmen wie beispielsweise Kooperationen. Dank Kooperationen könne die Vielfalt erhalten bleiben und es würden Effizienzen generiert – bei der Nutzung von Großgeräten beispielsweise. Mundt: „Kliniken können sich den Betrieb von MRTs teilen und dadurch viel Geld sparen. Sind Krankenhausfusionen aus kartellrechtlicher Sicht kritisch zu beurteilen oder kommen Häuser aus anderen Gründen nicht zusammen, sind Kooperationen eine sinnvolle Alternative.“
Mundt: Keine neuen Wettbewerbsregeln nötig
Auf dem Europäischen Gesundheitskongress, der am 26. und 27. September in München stattgefunden hat, warf Prof. Achim Wambach, Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Vorsitzender der Monopolkommission in seinem Vortrag die Frage auf, ob neue Wettbewerbsregeln für die gesetzliche Krankenversorgung gebraucht werden. Eine Frage, die das Bundeskartellamt ganz klar mit nein beantwortet. „Dank vieler Gespräche mit Krankenhausträgern haben wir eine gute, verlässliche Praxis zur Sicherung des Wettbewerbs entwickelt und haben nicht den Eindruck, dass uns Fälle entgehen, die wir prüfen sollten. Wir arbeiten auch nicht statisch, sondern entwickeln uns weiter. So befragen wir inzwischen auch niedergelassene Ärzte, auf welcher Grundlage sie den Krankenhäusern Patienten zuweisen und schauen uns genau an, welche Maßnahmen Krankenhäuser zur Qualitätssicherung durchführen. Das Gesetz ist für die Praxis sehr brauchbar und gut umzusetzen.“
Wambach sieht das ähnlich, moniert aber Handlungsbedarf in der Umsetzung: „Krankenhäuser konkurrieren über Qualität, doch diese kann auch durch Größe verbessert werden. Das sollte das Kartellamt bei seiner Einschätzung berücksichtigen und nicht prinzipiell Zusammenschlüsse verhindern, nur weil sie im regionalen Wettbewerb miteinander stehen.“
Der Vorsitzende der Monopolkommission und Präsident des ZEW sieht allerdings noch dringenderen Handlungsbedarf an anderer Stelle: die Reform des Wettbewerbs zwischen den Krankenversicherern. „Die Krankenkassen sind auf Regionalebene oft sehr mächtig und einflussreich. Das ist nicht immer im Sinne des Patienten. Die Wettbewerbsbedingungen sind hier nicht fair. Die wichtigste Frage ist doch: Wer steht für den Versicherten ein? Das sollten die Krankenkassen sein, aber ihnen fehlen entsprechende Instrumente oder sie setzen diese nicht ein.“ Wambach stellt sich daher vor, dass Krankenkassen sämtliche Tarife diskriminierungsfrei als Wahltarife anbieten, und nicht wie bisher dem Kunden eine Regelversorgung vorlegen, zu der er dann noch zusätzliche Tarife wählen kann.
Qualitätsverträge mit Krankenhäusern
Zudem sollten Krankenversicherer laut Wambach Qualitätsverträge mit Krankenhäusern aushandeln und ihren Versicherten nur in eben diesen Häusern elektive Behandlungen ermöglichen. Berufe sich ein Patient auf die freie Krankenhauswahl, könne er selbstverständlich auch in ein anderes Haus gehen, müsse dann aber einen Aufschlag bezahlen. Mittels dieser Maßnahmen würden die Patientenströme geleitet und die Qualität gesichert. Auf diesem Weg könnten auch Krankenhäuser praktisch erfahren, dass ihr Geschäftsmodell vielleicht nicht das richtige ist. Dann würden die Wettbewerbskräfte wirken und die Frage nach der Krankenhausschließung, Stichwort Bertelsmann-Stiftung, regele sich über kurz oder lang von ganz allein, weil der freie Markt entscheidet. „Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg“, konzediert Wambach.
Von der Politik wünscht sich der Vorsitzende der Monopolkommission mehr Vertrauen in die Wettbewerbskraft unter den Krankenkassen. „Im Moment gibt es diesen Wettbewerb nur auf Kostenebene. Das Bundesversicherungsamt muss nicht immer intervenieren, wenn sich ein Vertrag nicht wirtschaftlich gestaltet. Die Versicherer sollten mehr ausprobieren dürfen und mehr Freiraum haben. Das führt dann auch dazu, dass nicht alle Kassen gleichauf liegen. Aber: Alle werden produktiver und innovativer – zum Wohle des Patienten.“
Profile:
Der Jurist Andreas Mundt ist seit 2009 Präsident des Bundeskartellamts mit Sitz in Bonn. 2010 wurde er Mitglied im Bureau des OECD Competition Committee und übernahm 2013 den Vorsitz der Leitungsgruppe des International Competition Network (ICN).
Professor Achim Wambach, Ph.D., ist seit April 2016 Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. 2014 wurde er Mitglied der Monopolkommission, deren Vorsitz er seit 2016 innehat. Von 2017-2018 war er Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs beim Bundesversicherungsamt und an der Erstellung des Sondergutachtens zu den Wirkungen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs sowie des Gutachtens zu den regionalen Verteilungswirkungen des Risikostrukturausgleichs beteiligt.
29.10.2019