Chirurgie
Hirnschrittmacher gegen Depressionen
Fast zehn Prozent aller Depressionen verlaufen so schwer, dass die Patienten auf keine gängige Behandlungsmethode ansprechen. Hoffnung macht in jüngster Zeit die gezielte Stimulation von Bereichen im Gehirn mit einer Art "Hirnschrittmacher". Mediziner der Universität Bonn haben nun zusammen mit US-Kollegen eine neue Zielstruktur für die tiefe Hirnstimulation vorgestellt. Sie hoffen auf eine noch bessere Erfolgsquote bei geringeren Nebenwirkungen.
Bei der tiefen Hirnstimulation implantieren Mediziner Elektroden ins Gehirn. Mit einem elektrischen Schrittmacher, den die Betroffenen unter das Schlüsselbein eingesetzt bekommen, können die Ärzte so dauerhaft die Funktion bestimmter Hirngebiete beeinflussen. Ursprünglich wurde die Methode zur Behandlung von Parkinsonkranken entwickelt, um die typischen Bewegungsstörungen zu mildern.
Dauerhafte Besserung
Seit einigen Jahren wird die Methode auch bei der Behandlung schwerster Depressionen erforscht. Mit erstaunlichem und völlig unerwartetem Erfolg: Bei Patienten, die einen jahrelangen erfolglosen Behandlungsmarathon hinter sich hatten, bildeten sich die Symptome mitunter deutlich zurück. Das erstaunlichste dabei: "Die Depression kommt bei den Patienten, die auf die Stimulation angesprochen haben, nicht wieder", betont Professor Dr. Thomas Schläpfer von der Bonner Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. "Die Methode scheint dauerhaft zu wirken - und das bei der therapieresistentesten Patientengruppe, die in der Literatur beschrieben wurde. Das hat es bislang noch nicht gegeben."
Die tiefe Hirnstimulation wurde bislang bei drei verschiedenen Hirnregionen erprobt: dem Nucleus accumbens, der Capsula interna und einer Struktur namens cg25. Erstaunlicherweise sind die Effekte nahezu identisch - unabhängig davon, welches dieser Zentren die Ärzte reizen. Die Bonner Forscher konnten inzwischen zusammen mit Kollegen aus Baltimore und Washington aufklären, warum das so ist: Mit Hilfe einer neuartigen Tomographie-Methode konnten sie die "Verkabelung" der drei Hirnzentren sichtbar machen. "Dabei haben wir festgestellt, dass zumindest zwei dieser drei Gebiete - wahrscheinlich sogar alle drei - an ein und demselben Kabelstrang hängen", erklärt der Bonner Hirnchirurg Professor Dr. Volker Coenen.
Die Rede ist vom so genannten Medialen Vorderhirnbündel, einer Struktur, die bei Tieren schon lange bekannt ist. Das Vorderhirnbündel bildet eine Art Rückkopplungsschleife, die uns positive Erfahrungen antizipieren lässt. "Dieser Schaltkreis motiviert uns dazu, in Aktion zu treten", sagt Coenen. "Bei Depressiven ist er augenscheinlich gestört. Die Folge ist unter anderem eine extreme Antriebsarmut - ein charakteristisches Symptom der Krankheit."
Nucleus accumbens, Capsula interna und cg25 scheinen alle mit dem medialen Vorderhirnbündel verbunden zu sein - etwa so wie Blätter mit dem Ast, dem sie entspringen. Wer eine dieser Hirnregionen reizt, beeinflusst gleichzeitig in einem gewissen Maß auch die anderen Komponenten des Motivations-Schaltkreises. Coenen, der das Vorderhirnbündel als erster beim Menschen anatomisch beschrieben hat, schlägt nun vor, die Elektrode für die tiefe Hirnstimulation direkt in diese Struktur zu implantieren. "Wir würden damit die Strompulse an die Basis des Netzwerkes senden und nicht wie bisher an die Peripherie", erläutert Schläpfer. "So könnten wir möglichweise mit geringeren Stromstärken arbeiten und dennoch größere Erfolge erzielen."
Vergleichsweise risikoarmer Eingriff
Beobachtungen an Parkinson-Kranken scheinen diese Idee zu stützen: Dort reizt man ein Netzwerk von Hirnstrukturen, die für Bewegungen zuständig sind. Je grundständiger (bildlich gesprochen: je näher am Ast) die elektrischen Reize gesetzt werden, desto größer ist ihr Effekt. Gleichzeitig verringert sich die Gefahr unerwünschter Nebenwirkungen.
Weltweit tragen inzwischen über 80.000 Parkinson-Patienten einen Hirnschrittmacher in ihrem Körper. "Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass der dazu erforderliche Eingriff am Gehirn relativ risikoarm ist", betont Professor Coenen. "Es spricht also aus ärztlicher Sicht nichts dagegen, mit dieser Methode auch Menschen mit schwersten Depressionen zu helfen."
Die Arbeit ist in den renommierten "Neuroscience and Biobehavioral Reviews" erschienen (doi: 10.1016/j.neurobiorev.2010.12.009).
Bildquelle: pixelio / geralt
01.02.2011