E-Health-Fortschritte in Österreich
von Michael Krassnitzer
In vielen Staaten wird am Aufbau von elektronischen Health-Record-Systemen gearbeitet, in die sämtliche Gesundheitseinrichtungen eines Landes eingebunden sind. In Österreich verbirgt sich diese Vision hinter dem Kürzel ELGA (Elektronische Gesundheitsakte). „E-Health kommt schrittweise und unaufhaltsam“, ist der österreichische Gesundheitsminister Alois Stöger dipl. überzeugt.
Nach einer langen Vorbereitungsphase wurde zu Jahresbeginn endlich der Startschuss für ELGA gegeben. Eine Gesellschaft wurde gegründet, die mit der Umsetzung des Projektes betraut ist. Und mit dem staatlichen Gesundheitsportal www.gesundheit.gv.at ist das erste ELGA-Teilprojekt online gegangen. Wie bei einer Suchmaschine sollen mittels ELGA alle über einen Patienten vorliegenden Gesundheitsinformationen, die in Krankenhäusern, bei niedergelassenen Allgemeinmedizinern und Fachärzten sowie in anderen Gesundheitseinrichtungen gespeichert sind, von dazu Berechtigten jederzeit abgerufen werden können. „Ein Schwerpunkt dabei ist die Erstellung eines klaren Berechtigungsregelwerkes mit strengen Zugangsbedingungen“, erklärt Dr. Susanne Herbek, Geschäftsführerin der ELGA-GmbH: „Der Datenschutz und die Patientenautonomie müssen gewahrt werden.“
Den Bürgern wird die Möglichkeit eingeräumt, dem ELGA-System den Zugriff zu seinen Gesundheitsdaten zu verweigern, das heißt ihm steht ein Opt-out frei. Patienten können aber auch einzelne Daten unzugänglich machen, etwa heikle Dokumente über den Aufenthalt in psychiatrischen Einrichtungen. Vom einzelnen Bürger einsehbare Zugriffsprotokolle darüber, wer wann auf welche Daten zugegriffen hat, sollen Missbrauch vorbeugen. Die missbräuchliche Verwendung der elektronischen Gesundheitsakte soll schwere strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, kündigt der für ELGA zuständige leitende Beamte im Gesundheitsministerium, Dr. Clemens Martin Auer, an.
„In seiner endgültigen Ausbauphase wird das Gesundheitsportal die Eingangstür für den Zugang aller Österreicher zu ihrer persönlichen ELGA sein“, erklärt Susanne Herbek. Vorerst bietet das im Januar online gegangene Portal Zugang zu qualitätsgesicherten und unabhängigen Gesundheitsinformationen, wie beispielsweise ein Lexikon, Informationen zu Patientenrechten und einen Laborteil.
Die erste ELGA-Anwendung, die realisiert werden soll, ist die eMedikation, also die Verschreibung von Medikamenten auf elektronischem Weg. Die Verordnung und die Abgabe von Medikamenten werden gespeichert und sollen in Krankenhäusern und Ordinationen abrufbar sein. Dies soll sowohl für rezeptpflichtige Medikamente gelten als auch für frei verkäufliche, sofern sie Wirkstoffe enthalten, die zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten führen können. Automatische Prüfvorgänge während der Verschreibung bzw. bei der Ausgabe der Medikamente in den Apotheken sollen Wechselwirkungen und Mehrfachverschreibungen von Medikamenten rechtzeitig erkennen und verhindern. Ein genauer Zeitplan für die e-Medikation liegt noch nicht vor. Wann die Verhandlungen zwischen den betroffenen Berufsgruppen abgeschlossen sind, ist nicht absehbar. Die Standesvertretungen der Ärzte und Apotheker in Österreich sind einander traditionellerweise nicht freundlich gesonnen.
Die Festlegung einheitlicher technische Standards, eine Grundvoraussetzung, ist hingegen schon passiert. Alle beteiligten Informationssysteme müssen IHE-konform sein, also den Interoperabilitätsrichtlinien IHE-Initiative (Integrating the Health Enterprises) entsprechen. Als Standard für Dokumente wurde CDA (Clinical Document Architecture) festgelegt.
Die österreichischen Krankenhäuser bzw. Krankenhausverbände sind unterschiedlich auf die Einführung von ELGA vorbereitet. Das Bundesland Tirol zum Beispiel ist ein Vorreiter auf dem Gebiet der e-Health. Hier wurde in den letzten Jahren schon eine Art Mini-ELGA aufgebaut. Zum „Gesundheitsnetz Tirol“ gehören sieben Krankenhäuser unterschiedlicher Träger. In den beteiligten Spitälern ist der elektronische Zugriff auf alle Arzt-, Labor- und Radiologiebefunde, die dort seit 2001 erstellt wurden, möglich. Weil die Verantwortlichen schon seit Jahren auf IHE und CDA gesetzt haben, ist das „Gesundheitsnetz Tirol“ jederzeit in eine österreichweite ELGA integrierbar.
Problematischer ist die Situation in Österreichs Hauptstadt. Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV), der mit zwölf Spitälern und elf Geriatriezentren zu den größten Gesund¬heitsein¬richtungen in Europa zählt, verfügte schon lange vor den ersten Plänen zu ELGA über ein eigenes System elektronischer Krankenakten. Dieses allerdings basiert nicht auf den technischen ELGA-Standards. Der KAV muss nun mühsam CDA als zusätzliches Format für ausgewählte Dokumententypen einführen, ein zusätzliches IHE-basiertes Archiv aufbauen und proprietäre Schnittstellen durch IHE-Lösungen ersetzen.
Ein Projekt wie ELGA ruft freilich auch Kritiker hervor. Datenschützer und niedergelassene Ärzte sind jene, die sich am lautesten zu Wort melden. Sie fürchten unter anderem Nachteile für Patienten am Arbeitsmarkt, wenn sich Arbeitgeber Zugang zu ELGA verschaffen, oder Nachteile für Patienten, denen anhand ihrer elektronischen Akte schlechte Compliance nachgewiesen werden kann. „Sobald diese Daten grundsätzlich zugänglich sind, werden Begehrlichkeiten geweckt. Im Umfeld unzähliger Daten- und Bespitzelungsskandale in ganz Europa muss vor solchen Datenzusammenführungen gewahrt werden“, erklärt Dr. Christian Euler, Präsident des Österreichischen Hausärzteverbandes (ÖHV). Die niedergelassenen Ärzte befürchten außerdem, dass sich die Fülle von elektronischen Patientendaten nicht in angemessener Zeit analysieren lässt und sie dafür haftbar gemacht werden können, wenn sie eine unter Hunderten von Dokumenten versteckte Information übersehen.
„Man muss die bestehenden Sorgen und Ängste ernst nehmen und sich damit auseinandersetzen“, betont Susanne Herbek: „Die Sorge allerdings, dass ELGA als Kontrollsystem verwendet wird, halte ich für unbegründet.“
Bildquelle: pixelio/RainerSturm
17.05.2010