Artikel • Tuberkulose

Die Rückkehr eines alten Feindes

"Die Tuberkulose wird uns wieder beschäftigen“, ist PD Dr. Dag Wormanns, Ärztlicher Direktor der Evangelischen Lungenklinik Berlin und Chefarzt des Radiologischen Instituts, überzeugt.

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PD Dr. Dag Wormanns, Ärztliche Direktor der Evangelischen Lungenklinik Berlin und Chefarzt des Radiologischen Instituts.

Resistenzen, veränderte Genotypen und Migrationsbewegungen machen eine neue Auseinandersetzung mit der „Schwindsucht“ erforderlich, die viele Jahre als überwunden galt.

„Tuberkulose ist alles andere als besiegt, sie ist wieder auf dem Vormarsch“, betont Dr. Wormanns. Mit bundesweit rund 4500 Neuerkrankungen pro Jahr ist Tuberkulose zwar noch eine relativ seltene Erkrankung, für den Radiologen dennoch von Interesse: „Zum einen sehen wir die Folgen einer früher abgelaufenen Tuberkulose deutlich häufiger als ihre aktive Ausprägung, zum anderen werden die Fallzahlen in den kommenden Jahren ansteigen.“ Ein Blick in die Statistik belegt den aktuellen Trend nach oben: während über Jahrzehnte hinweg die Zahl der Neuerkrankungen sank, wird seit 2013 ein jährlicher Anstieg der Inzidenz registriert.

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Primärtuberkulose bei einem 17-Jährigen mittelöstlicher Herkunft.

Ursache dafür sind die Migrationsbewegungen aus den Tuberkulose-Epidemie-Gebieten in Asien und Schwarz-Afrika. Außerdem kommen auch in steigender Anzahl Patienten mit multiresistenten Tuberkulosekeimen nach Deutschland. Normalerweise wird eine Tuberkulose über sechs Monate mit einer Dreifach-Therapie behandelt, die deutliche Nebenwirkungen mit sich bringt. „Meistens geht es dem Patienten nach einigen Wochen schon besser. In Regionen, in denen Patienten die Behandlung selbst bezahlen müssen und kein hinreichend stabiles Gesundheitssystem besteht, ist es schwierig den Patienten zu motivieren, die unangenehme Therapie durchzuhalten. Etliche hören früher auf – und so werden Resistenzen herangezüchtet“, berichtet Wormanns. Die XDR-TB (extensively drug resistent tuberculosis) ist gegen alle bekannten Klassen von Tuberkulostatika resistent. „Dagegen haben wir nichts mehr im Köcher und können praktisch nur noch den Spontanverlauf begleiten; eine effektive Behandlung ist kaum mehr möglich.“

Darüber hinaus sind in den vergangenen Jahren, zunächst in Ostasien, neue Stämme mit veränderten Genotypen aufgetaucht, die hoch kontagiös sind. Der Radiologe erläutert: „Früher hieß es, man müsse sich acht Stunden mit einem Tuberkulose-Kranken in einem Raum aufhalten, um sich zu infizieren. Das hat sich geändert: Bei den neuen Stämmen reichen wenige Minuten, beispielsweise einmal U-Bahn-Fahren mit einem Erkrankten.“

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Das andere Ende des Spektrums: Miliartuberkulose.

Die Infektion erfolgt meistens über die Lunge. Eine Besonderheit der Tuberkulose ist, dass die Mykobakterien durch die Behandlung nicht abgetötet werden, sondern sich lediglich abkapseln und bei Schwächung des Immunsystems durch Diabetes oder altersbedingt wieder ausbrechen können. „Der Patient trägt lebenslang eine Zeitbombe im Körper.“ Für das praktische Handeln ist daher wichtig, ob es sich um eine aktive oder inaktive Tuberkulose handelt. Darüber hinaus muss geklärt werden, ob es sich um eine offene Tuberkulose handelt, bei der der Patient isoliert und das Gesundheitsamt eingeschaltet werden muss.

Wormanns beschäftigt daher die Frage: Wie geht man mit Kranken und Verdachtsfällen um und welche Rolle spielt die Radiologie? Die Kliniken sind seiner Meinung nach gut darauf vorbereitet, auch mit XDR-Patienten zurechtzukommen. Verdachtsfälle werden isoliert, bis das Gegenteil bewiesen ist. Problematisch ist eher die „Laufkundschaft“ beispielweise in einer Rettungsstelle. „Daher möchte ich auch zum Nachdenken anregen: Schauen Sie sich die Abläufe an und schicken Sie den Patienten lieber mit Mundschutz zum Röntgen – mehr ist auch erstmal nicht zu tun.“

Die Radiologie bleibt bei der Tuberkulose gefordert. In der Diagnostik liefert sie den Hinweis darauf, ob eine Tuberkulose vorliegen könnte, die
Diagnosesicherung erfolgt dann über biologische bzw. mikrobiologische Verfahren. „Insbesondere im Screening hat die Radiologie eine wichtige Aufgabe: Das Röntgenbild stellt die Weichen für eine weitere Abklärung.“ Ansonsten spielt die Radiologie in der Verlaufskontrolle eine Rolle und dokumentiert Veränderungen über einen längeren Zeitraum. „Die Radiologie ist an vielen Stellen Stichwortgeber für das weitere Procedere.“


Profil:

PD Dr. Dag Wormanns studierte Humanmedizin in Berlin und Münster. Seine berufliche Laufbahn begann er am Institut für Klinische Radiologie des Uniklinikums Münster; von 2002 bis 2006 war er dort als Oberarzt tätig. 2006 wechselte Dr. Wormanns ans Radiologische Institut der Evangelischen Lungenklinik Berlin, die er als Ärztlicher Direktor leitet. Seine wissenschaftliche Arbeit konzentriert sich auf die praxisnahe computergestützte Diagnostik pulmonaler Rundherde mittels Computertomographie. Seit 2003 ist er im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Thorax der DRG.

Veranstaltungshinweis:
Raum: Tagungsraum 1+2
Freitag, 04.11.2016, 10:15 - 11:00 Uhr
Tuberkolose – Pathogenese und Diagnostik
Dag Wormanns, Berlin
Session: MRT-Fortbildung

02.11.2016

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